- Traum [1]
Traum, nennt man die Vorstellungen u. Vorstellungsreihen, welche während des Schlafs unabhängig ebenso von einer gegenwärtigen äußeren sinnlichen Anregung, als von der absichtlichen u. willkürlichen Thätigkeit des Vorstellenden entstehen. Da die Frage, ob während des Schlafs ein T. stattgefunden habe, sich lediglich an die nach dem Erwachen zurückgebliebene Erinnerung an den T. beantworten läßt, so kann die Streitfrage, ob ein ganz normaler u. gesunder Schlaf den T. ausschließt, od. ob der schlafende Mensch immer träume, auch wenn er sich seiner Träume nicht erinnert, ob also die Thätigkeit der Seele durch die mit dem Schlafe eintretende Veränderung der leiblichen Zustände ganz gehemmt wird od. nicht, wenigstens durch die Erfahrung nicht zu Gunsten der letzteren Behauptung beantwortet werden, u. ihre Vertheidiger haben sich daher vorzugsweise auf theoretische Meinungen über das Wesen u. die Wirkungsart der Seele berufen, welche während des Schlafs unabhängig vom Körper ihre Functionen ausübe, womit sich bisweilen eine gewisse Hochschätzung u. Verehrung der Träume verbunden hat, als ob während des Schlafs die träumende Seele freier u. fesselloser thätig sei, als im Wachen, u. Gebiete durchdringe, welche ihr während des letzteren unzugänglich seien. Der durchschnittliche Charakter des T-s rechtfertigt eine solche Bevorzugung des T-s vor dem wachenden Vorstellen u. Denken keineswegs. Während des Wachens ist der Vorstellungslauf, wenigstens bei dem gefunden Menschen, durch den Verkehr mit der Außenwelt, sowie durch das Bewußtsein der Zwecke u. Aufgaben, welche, wie geringfügig sie auch häufig sein mögen, ihn geradejetzt beschäftigen, normirt u. regulirt; der Schlaf schließt ihn ebenso von den äußeren sinnlichen Empfindungen ab, als er die absichtliche u. willkürliche Fortsetzung seiner Thätigkeit aufhebt, u. das im T-e sich darstellende Spiel der Vorstellungen sammt den dasselbe begleitenden Gefühlen u. Begehrungen ist nicht sowohl eine Vermehrung u. Steigerung der geistigen Thätigkeit, als vielmehr der Ausdruck dessen, was übrig bleibt, wenn die regelmäßigen u. vollständigen Bedingungen der geistigen Regsamkeit, welche dem wachenden Menschen zu Gebote stehen, während des Schlafs nicht mehr vollständig vorhanden sind. Daher gibt es einerseits keinen T., dessen Elemente nicht irgendwie mit der umgebenden wirklichen Welt in Zusammenhang ständen; Blindgeborene träumen nie, Blindgewordene in der Regel nur noch eine Zeit lang von Farben, in den Träumen Taubgeborener kommt nichts von Tönen vor; ein Bewohner Sibiriens, welcher nie eine Palme gesehen u. nie von ihr gehört hat, wird gewiß nicht von Palmenwäldern träumen etc. Andererseits liegen die charakteristisch vorherrschenden Merkmale der allermeisten Träume in den phantastischen, bizarren, wunderlich verknüpften, vielfach abspringenden, sehr heterogene Bestandtheile durch einander werfenden, oft in eine nebelhafte Unbestimmtheit sich verlaufenden Vorstellungsreihen, welche es schwer, oft unmöglich machen ihren Inhalt an eine bestimmte Wirklichkeit anzuknüpfen; daher man ein regellos umherschweifendes od. dumpf hinbrütendes Spiel der Phantasie, welchem sich wohl bisweilen der Mensch im Wachen überläßt, od. eine Reihe von Begebenheiten, an deren Wirklichkeit zu glauben dem Menschen schwer fällt, od. welche im raschen Wechsel wirkungslos an ihm vorübergegangen sind, wohl auch vergleichungsweise einen T. nennt (s. Träumerei). In psychologischer Hinsicht vorzugsweise interessant sind die im T-e nicht selten vorkommenden Umstellungen u. Spaltungen des Selbstbewußtseins, wenn sich im T-e an die Stelle des eigenen Ich ein fremdes stellt, od. Jemand gleichsam aus einem doppelten Bewußtsein träumt u. die Rolle verschiedener Personen spielt; ebenso der T. im T-e, wenn im T-e selbst eine geträumte Wirklichkeit von dem geträumten T. unterschieden wird. Die Veranlassungen bestimmter Träume, auch wo deren Erinnerung genau ist, nachzuweisen ist verhältnißmäßig nur in wenigen Fällen möglich; die Ursachen des Träumens überhaupt müssen darin gesucht werden, daß entweder der Schlaf die psychischen Thätigkeiten nicht vollständig hemmt, so daß die im Bewußtsein vorhandenen Vorstellungen nach den verschiedensten Associationen fortarbeiten, od. daß organische Zustände des Körpers Empfindungen verursachen, welche sich in den Gebilden des T-s bemerklich machen u. fortspinnen; im ersten Falle wird der T. von psychischen Anregungen, im zweiten von somatischen eingeleitet, welche sich in den Traumvorstellungen symbolisiren; in vielen Fällen werden beiderlei Ursachen zusammenwirken. Zur ersten Klasse gehören vorzugsweise solche Träume, welche an Ereignisse, Gedanken u. Gefühle anknüpfen, welche den Menschen kurz vor dem Einschlafen od. auch vor längerer Zeit lebhaft beschäftigt haben od. überhaupt Mittelpunkte seines geistigen Lebens bilden; in solchen Fällen spiegeln sich bisweilen die Ereignisse der Wirklichkeit in verschönerter od. verzerrter Gestalt im T-e ab, vergessene Personen u. Begebenheiten[771] tauchen wieder auf, alte Gefühle u. Gedanken werden wieder angeknüpft u. fortgesetzt, u. der T. nähert sich bisweilen den Formen des wachenden Gedankenlaufs, wie z.B. der Musiker Tantini ein Musikstück geträumt haben soll, welches ihm nach dem Erwachen aufzuzeichnen gelungen ist. Zu der zweiten Klasse gehören solche Fälle, wo Stockungen in der Circulation, Druck auf große Gefäßstämme ängstliche Träume, z.B. die Vorstellung einer auf den Körper gelegten Last (sogenanntes Alpdrücken), od. das bes. leichte von Stattengehen gewisser Lebensverrichtungen die des Fliegens, Schwebens, od. das Vorgefühl einer nahenden Krankheit, die des Watens im Schlamme etc. hervorruft. Hierher gehören auch die Träume, welche, wie man behaup tet, durch bestimmnte Medicamente hervorgerufen werden sollen, die von den Functionen der Geschl echtsorgane ausgehenden Träume etc. Eine sehr wichtige Rolle spielt hierbei jedenfalls das Nervensystem, insofern die unabhängig von äußeren Reizen durch organische Zustände hervorgerufenen Veränderungen einzelner Theile desselben in ähnlicher Weise, wie bei den Hallucinationen (s.d.), die Veranlassungen u. zum Theil den Inhalt des T-s darbieten. Vgl. Greiner, Der T. u. das fieberhafte Irresein, Lpz. 1817; Waller, Abhandlung von dem Alpdrücken, dem gestörten Schlafe etc. (deutsch), Frankf. 1824. So lange der Mensch nicht durch oft wiederholte Erfahrung od. durch psychologische u. physiologische Kenntnisse den T. als ein wenn auch in vielen Fällen räthselhaftes, aber doch natürliches Ereigniß anzusehen gelernt hat, werden sehr lebhafte Träume, bes. solche, in welchen die lebendige Vorstellung abwesender od. verstorbener Personen od. sonst individuell wichtiger Ereignisse vorkommt, leicht eine geheimnißvolle, ans Wunderbare streifende Bedeutung gewinnen können; daher die Neigung auf gewisse Träume als vorbedeutende, warnende, prophetische ein Gewicht zu legen, welche dann der Aberglaube zu einer feierlichen Kunst der Traumdeutung (s.d.) benutzt hat, dergestalt, daß Traumbücher noch jetzt hier u. da eine Art Ansehen genießen Ebenso hat eine mystische Naturphilosophie in Verbindung namentlich mit den Erscheinungen des Thierischen Magnetismus u. des Somnambulismus (s.d.) das Träumen nicht selten als eine die wahren Tiefen der Seele besser u. vollständiger, als das wachende Denken enthüllende Äußerung des geistigen Lebens angesehen. Vgl Schubert, Symbolik des T-s, 4. Aufl. Lpz. 1862: Scharner, Das Leben des T-s, Berl. 1861.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.