Wimperbewegung

Wimperbewegung

Wimperbewegung (Flimmerbewegung, Motus ciliaris), ein von der Muskelbewegung verschiedenes, von Nerveneinfluß unabhängiges Fundamentalphänomen des Lebens, bei welchem mikroskopisch seine haarförmige Fäden (Cilien od. Wimpern, s.d.), womit die Oberflächen gewisser Häute besetzt sind, in bestimmter Richtung schwingen, so daß die freien Enden dieser Fäden Bogenabschnitte um ihre fixirten Basen beschreiben. Während durch die Muskelbewegung feste Theile einander genähert, od. Flüssigkeiten in muskelhäutigen Röhren fortgetrieben werden, werden durch die W. nur Flüssigkeiten u. mikroskopisch seine festere Theilchen an den Wänden der Häute fortgeleitet, ohne daß diese Flüssigkeiten die ganze Höhle der Schläuche anfüllen u. ohne daß die Wände, auf welchen die W. vorkommt, sich zusammenziehen. Die W. wird nur auf der Oberfläche von Membranen beobachtet, welche mit einer Flüssigkeit in Berührung sind, u. zwar bei den höheren Thieren u. dem Menschen nur auf Schleimhäuten, bei niederen, im Wasser lebenden Thieren auch auf der äußeren Haut. Nur bei den Insecten hat man sie noch gar nicht u. bei den Fischen nur in sehr beschränktem Umfange beobachten können. Am verbreitetsten ist sie in der Klasse der Radiaten, Anneliden u. Mollusken. Auch bei den (niederen Thierstufen analogen) Embryonen der höheren Thiere ist die W. sehr ausgeprägt. Die Wirkungen der Wimpern sind bereits von Leeuwenhoeck, Swammerdam, de Heide u. A. beobachtet, aber die Cilien selbst u. deren Verbreitung im gesammten Thierreich erst von Purkinje, Valentin u. Henle genauer erforscht worden. Die Wimpern erzeugen nämlich Ströme in der Flüssigkeit, welche meist eine bestimmte Richtung haben, die man leicht durch Einstreuen eines seinen Pulvers in die Flüssigkeit erkennt. Diese Bewegung der Wimpern ist meist sehr rasch, um so mehr, je frischer die Membran ist, welche man beobachtet, u. erfolgt vielleicht immer (die Infusorien ausgenommen) in derselben, der der Schwere entgegengesetzten Richtung. Sie ist auch eine sehr kräftige. Bei sehr dicht stehenden Cilien sieht man nur ein Flimmern am Rande des beobachteten Objectes; diese Bewegung sieht dann aus, wie das Wogen eines vom Sturm bewegten Getreidefeldes. Bei sparsamer stehenden u. nur noch matt bewegten Wimpern kann man die W. genauer beobachten, es scheint, als ob die einzelnen Wimpern sich unaufhörlich niederbeugen u. wieder aufrichten, wobei die Spitze der Wimper eine in sich zurückkehrende Curve beschreibt. Die äußere Haut flimmert bei fast allen niederen Meerthieren (Polypen, Echinodermen, Medusen, Mollusken), bei den Wirbelthieren nur in den ersten, fötalen Entwickelungsperioden. Ferner ist die W. an der Respirationsschleimhaut der Säugethiere, Vögel, Amphibien u. Mollusken, u. auch an der Nasenschleimhaut der drei erstgenannten Klassen, gewöhnlich mit einer Richtung von innen nach außen, beobachtet worden. Die Schleimhaut des Darmkanals flimmert bei den Wirbelthieren in ihrer ganzen Ausdehnung, bei den Fröschen u. Mollusken nur im Munde u. Schlunde bis zum Magen. In den Harnwerkzeugen ist die W. noch nicht, dagegen in dem Uterus, der Fallopischen Röhre u. der Scheide (mit Richtung von innen nach außen) der Säugthiere u. dem Eierleiter der Vögel u. Lurche, selbst im Hirnsinus, am Herzbeutel der Säugthiere u. an der Conjunctiva oculi beobachtet worden. Ohne Zweifel sind die Cilien die Organe, mittels deren die niederen Thiere, bes. die Infusorien, der Ortsbewegung fähig werden, ihre Nahrung ergreifen u. durch die erregten Strömungen das Wasser zur Unterhaltung eines gewissen Respirationsprozesses geschickt machen. Bei diesen Thieren unterliegt die W. offenbar der Willkür. Bei den Wirbelthieren dagegen dient sie nur, um die abgesonderten Flüssigkeiten auf der freien Oberfläche der secernirenden Gebilde fortzubewegen, u. trägt wohl auch wesentlich zum Übergang des Eies aus den Tuben in den Uterus bei. Die W. dauert fort an Theilen, welche man aus dem Körper entfernt hat, so an der menschlichen abgelösten Nasenschleimhaut, in warmer Temperatur sechs Stunden lang, bei Kaninchen über zwölf Stunden, bei Schildkröten u. Mollusken mehre Tage lang. Elektricität, Galvanismus u. [244] Licht scheinen, so lange sie nicht zersetzend auf die Membran selbst einwirken, keinen Einfluß zu haben u. gerade die Stoffe, welche die Muskelirritabilität u. die Nervenkraft am sichersten vernichten, sind auf die W. ohne Wirkung. Das Wasser verlangsamt die W. der Schleimhäute, Blut u. Blutserum dagegen unterhält sie, u. zwar länger als irgend ein anderer Stoff.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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