Lähmung

Lähmung

Lähmung (Paralysis), die von inneren Ursachen ausgehende Aufhebung od. Beschränkung der Thätigkeit eines Organes, zumeist von den mit Muskeln versehenen Theilen gebraucht. Ist noch einige Thätigkeit vorhanden, so heißt der Zustand unvollkommene L., Abspannung (Paresis); ein noch geringerer Grund ist Schwäche (Asthenia; [28] Debilitas vera), d. h. die Unfähigkeit zu stärkeren u. andauernden Bewegungen. Zu der eigentlichen L. können nur diejenigen gerechnet werden, welche von aufgehobener Leitung in den Bewegungsnerven herrühren, sogenannte Nervenlähmung (Paralysis nervorum, Acinesia). Die Unbeweglichkeit (Immobilitas, Acampsia, falsche L.), welche von materieller Erkrankung der den Bewegungen dienenden Hülfsapparate herrührt (z.B. von Gelenksteifigkeit, Knochenbrüchen etc.), ist von der wirklichen L. zu unterscheiden, indem das Bewegungsvermögen dabei unverletzt ist. Mißbräuchlich nennt man L. auch die aufgehobene Leitung in den empfindenden u. den der Vorstellung dienenden Nervenfasern, was Fühllosigkeit, Unempfindlichkeit (Anaesthesia) ist, im Gegensatz zur Bewegungslähmung; diese äußert sich dadurch, daß der zu bewegende Theil den Anstößen des Willens nicht mehr gehorcht; bald tritt gänzliche Unbeweglichkeit des kranken Theiles ein, bald wird derselbe durch die starrkrampfähnlich gegenwirkenden Muskeln in entgegengesetzter Richtung gebürgt (paralytische Contractur) od. bei Ringmuskeln dauernde Verengung (paralytische Strictur), bei Hohlmuskeln eine Ausdehnung (paralytische Erweiterung). Je nach Zahl u. Vertheilung der gelähmten Nervenfasern ist bald nur ein einzelner Muskel od. eine bestimmte Gruppe derselben od. ein ganzes Glied od. auch ein größerer Theil des Körpers gelähmt. Im letzteren Falle unterscheidet man die, zwei obere u. zwei untere Extremitäten zugleich befallende Querlähmung (Paraplegia), welche in der Regel vom Rückenmark ausgeht; die halbseitige od. Halblähmung der rechten od. linken Körperhälfte allein (Hemiplegia), welche meist von einer Hirnhemisphäre ausgeht; endlich die gekreuzte L. (P. cruciata), wo rechts u. links zugleich L-en vorkommen. L. tritt oft plötzlich ein als Schlaganfälle (Apoplexien), von Hirn- u. Rückenmarksschlagfluß herrührend, in anderen Fällen treten sie schleichend u. unmerklich ein. Der gelähmte Muskel ist schlaffer u. welker, magert nach u. nach ab (Schwund, Acidura) od. entartet zu Fett, Sehnenwasser u. dergl., das gelähmte Glied ist kühler, auch das Gefühl leidet u. es tritt eine Empfindung von Taub-, Pelzig- u. Eingeschlafensein hinzu. Sind gleichzeitig andere Empfindungsnerven mit angegriffen, so tritt auch Kriebeln (Ameisenkriechen), Kältegefühl u. Nervenschmerz hinzu. Jedoch kann eine vollständige L. auch ohne alle Störung der Empfindung bestehen. Der Verlauf der L-en ist in der Regel andauernd, ohne Schwanken allmälig zu- od. abnehmend, jedoch kommen L-en vor, die verschwinden u. wieder auftreten (intermittirende L-en), doch höchst selten. Bessert sich die L., so bleibt der Theil oft lange noch od. für immer schwächer, magerer od. ungeschickter als vorher. Nach ihrem Sitze unterscheidet man peripherische od. örtliche L. (P. localis), wo der Bewegungsnerv, nachdem er das Rückenmark schon verlassen hat, an irgend einer Stelle gelähmt ist, u. centrale L. (P. centralis), welche entweder vom Rückenmark (P. spinalis) od. vom Gehirn (P. cerebralis) ausgeht. Von den verschiedenen Ursachen ist der Blutschlagfluß (Nervenschlagfluß), nächst der Wassersucht des Gehirns u. des Rückenmarkes die häufigste, jedoch können such andere organische Krankheiten u. Verletzungen des Gehirns u. Rückenmarkes L-en zur Folge haben, außerdem auch Vergiftungen, Überreizung der Geistes- u. Körperkräfte (Marodewerden) u. heftige Gemüthsbewegungen, Ausschweifungen im Trinken u. im Geschlechtstriebe etc., daher P. congestiva, P. inflammatoria, P. rheumatica, P. syphilitica, P. saturnia, P. toxica etc. Eine dem Krampfe nahe verwandte L. ist die Schüttellähmung (P. agitans), wo der Einfluß des Willens nur dazu dient, indem gelähmten Gliede statt zweckmäßiger Bewegung eine krampfhaftzuckende hin- u. herschleudernde Bewegung hervorzubringen u. die Zitterlähmung (P. tremula). wo der Wille über das fortwährend zitternde Glied ganz unmächtig ist. Selten nur ist Heilung zu hoffen, doch kann die L. lange auf derselben Stufe bleiben od. doch nur sehr allmälig fortschreiten. Je älter die L. ist, desto weniger ist Aussicht auf Besserung, jedoch treten zuweilen ganz plötzlich Veränderungen ein od. schwindet auch die L. ganz. Bei Behandlung der L. dient die erregende od. belebende Heilmethode durch die sogenannten Nervenmittel, z.B. Strychnin, Mutterkorn, Akonit, Veratrin, Campher; dann die stärkende Heilmethode, u. zwar, wenn die Empfänglichkeit wieder soweit gesteigert ist, daß solche Mittel vertragen werden u. wo Mangel an Kraft u. gehöriger Blutbeschaffenheit vorhanden ist. China u. Eisen stehen neben der Diät oben an. Bei beiden Heilmethoden sind äußere Mittel anzuwenden, als aromatische Bäder u. natürliche Heilquellen, Sonnen- u. Sandbad, animalische Bäder in frischgeschlachteten Thieren, Einreibungen mit spirituösen u. aromatischen Stoffen, das Glüheisen u. Hautreize überhaupt, u. vor Allem die Elektricität. Vgl. Ottensee, Schlagfluß u. L., Berl. 1805; Callier, Essay sur la paralysie, Par. 1806; Parkinson, Essay on shaking palsy, Lond. 1817; Bochardt, Ätiologie u. Therapeutik der L-en, Stuttg. 1826; Marx, Lehre von der L., Karlsr. 1838; Heine, Lähmungszustände, Stuttg. 1840.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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