Regent [1]

Regent [1]

Regent (v. lat.), 1) derjenige, welcher einen Staat zu regieren befugt ist u. wirklich regiert; 2) derjenige, welcher in einem monarchischen Staate bei Verhinderung des eigentlich zur Regierung berechtigten Fürsten wegen Minderjährigkeit, Schwachsinnigkeit etc. die Regierungsgewalt auf so lange ausübt, als jenes Hinderniß nicht gehoben ist. Eine solche vormundschaftliche Landesregierung (Regentschaft, Regierungsvormundschaft) gebührte im Falle der Minderjährigkeit des Thronfolgers nach älterem Deutschen Rechte dem nächsten großjährigen u. successionsberechtigten Agnaten, wie dies auch hinsichtlich der kurfürstlichen Häuser die Goldene Bulle ausdrücklich sanctionirte. In vielen Häusern drangen indessen späterhin die Grundsätze des römischen Vormundschaftsrechtes in der Weise ein, daß man die Regentschaft des nächsten Agnaten nur als eine gesetzliche Vormundschaft betrachtete u. ihr sowohl eine testamentarische, als auch eine vertragsmäßig erfolgte Anordnung vorgehen ließ. Daher sind auch die an sich zur Regierungssuccession gar nichtberechtigten weiblichen Ascendenten (Mutter, Großmutter) doch zur Regentschaft zugelassen worden, sowie sich auch die höchsten Reichsgerichte, zum Theil unter einer Mitwirkung der Landstände, die Befugniß beilegten, nöthigenfalls einen R-en zu bestellen. Die neueren Verfassungsurkunden folgen zwar im Allgemeinen der altdeutschrechtlichen Ansicht, daß[928] der nächste successionsberechtigte Agnat im Falle der Minderjährigkeit geborener R. sei, indessen sind in Folge des andern Princips doch eine große Anzahl Modificationen dieses Grundsatzes entstanden. Am entschiedensten findet sich der alte Grundsatz noch in den Verfassungsurkunden von Württemberg, Königreich Sachsen u. Preußen beibehalten; in andern (z.B. Baiern, Braunschweig, Hannover) ist dagegen zunächst dem Souverän das Recht zugesprochen aus den volljährigen Prinzen des Hauses den R., wiewohl nach einigen Verfassungen (z.B. Oldenburg, Koburg-Gotha) nur unter Zustimmung der Landstände, zu wählen, u. erst, wenn eine solche Wahl nicht erfolgt ist, fällt die Regentschaft dem nächsten Agnaten zu; noch andere haben, bald die Mutter, bald auch die Großmutter, die Waldecksche Verfassungsurkunde sogar die Gemahlin des minderjährigen Souveräns, dem nächsten Agnaten bei der Berufung zur Regentschaft vorgesetzt, od. sie wenigstens in Ermangelung von regierungsfähigen Agnaten zur Regentschaft berufen. Analog dem Falle der Minderjährigkeit pflegt in den meisten Verfassungsurkunden der Fall von Geisteskrankheit etc. des Souveräns behandelt zu sein. Über die Frage, ob ein solcher Fall vorliege, hat, insofern nicht schon der Regierungsvorgänger mit Beziehung auf notorische Schwäche des Nachfolgers Verordnung getroffen hat, in Ermangelung speciellerer Bestimmungen der Hausgesetze, ein aus den Agnaten gebildeter Familienrath zu entscheiden; die meisten Verfassungsurkunden (Preußen, Baiern) erfordern indessen hierbei auch einen zustimmenden Beschluß der Stände od. weisen sogar die Entscheidung über die Nothwendigkeit der Anordnung der Regentschaft u. die Ernennung des R-en ausdrücklich den Ständen zu. Dem R. gebührt während der Dauer der Regentschaft die volle politische Stellvertretung des an der Regierung behinderten Souveräns; er übt daher nur ohne den Titel des Souveräns zu führen, im Allgemeinen alle Souveränetätsrechte aus u. kann zu Folge dessen Staatsverträge errichten, selbst Verfassungsänderungen vornehmen. Doch kommen in dieser Hinsicht in einzelnen Verfassungsurkunden Beschränkungen vor, bes. daß der R. alle erledigten Ämter, mit Ausnahme der Justizstellen, nur provisorisch besetzen, keine Krongüter veräußern, keine heimfallenden Lehen verleihen, keine neuen Ämter einführen, keine neuen Orden stiften, keine Standeserhöhungen vornehmen, kein Mitglied des Geheimen Raths anders als in Folge gerichtlichen Erkenntnisses entlassen, zu keiner Änderung im Grundsysteme u. den Rechten der Stände schreiten od. dieselben doch nur auf die Dauer der Regentschaft vornehmen darf. Zuweilen wird dem R-en verfassungsmäßig ein besonderer Regentschaftsrath zur Seite gestellt. Nach Beendigung der Regentschaft, welche, wenn sie wegen Minderjährigkeit angeordnet wurde, mit der Volljährigkeit, außerdem mit dem Wegfall des speciellen Behinderungsgrundes, worüber unter Umständen ein Beschluß des Familienrathes u. der Stände nothwendig werden kann, eintritt, hat der eintretende Souverän die Regierungshandlungen des R-en so anzuerkennen, wie er die eines jeden andern legitimen Regierungsvorgängers anerkennen müßte. Doch hat sich diese Anerkennung nicht auf solche Regierungshandlungen des R-en zu. erstrecken, welche wegen verfassungswidriger Form od., weil sie wegen ausdrückliches Verbot der Verfassung vorgenommen wurden, von selbst sich als nichtig darstellen. Auch steht es dem zur eigenen Regierung gelangten Souverän immer frei, die ihm mißfälligen Einrichtungen des R-en auf verfassungsmäßigem Wege wieder zu beseitigen. Berühmte Fälle einer Regentschaft sind in Frankreich die Regentschaft des Herzogs Philipp von Orleans (s. u. Orleans 14) u. Frankreich, Gesch. VII. B) a), in England die Regentschaft Georgs IV. (s. Großbritannien, Gesch. II.) u. in Preußen die Regentschaft des jetzigen Königs Wilhelm für den König Friedrich Wilhelm IV., s. Preußen (Gesch.) S. 554; in Anhalt-Bernburg führt seit 1855 die Herzogin Friederike als Herzogin-Mitregentin die Regentschaft. Vgl. v. Lyncker, Von der Vormundschaftsbestellung bei Privat- u. erlauchten Personen, Jena 1790 f., 2 Thle.; Reitemaier, Grundsätze der Regentschaft, Berl. 1780; A. Müller, Über Regentenbevormundung, Ilmenau 1822; Schenk, Über Regentenbevormundung, ebd. 1823; Zöpfl, Die Regierungsvormundschaft, 1830; 3) uneigentlich der Stellvertreter eines regierenden Souveräns, welcher von demselben selbst freiwillig für eine vorübergehende Behinderung eingesetzt wird, z.B. bei voraussichtlich längerer Abwesenheit außer Landes. In solchen Fällen hängt es ganz von dem Willen des Souveräns selbst ab, wen er zu seinem Stellvertreter ernennen u. wieweit er die Befugnisse desselben ausdehnen will. Einer Zustimmung der Landstände bedarf es dabei nicht, außer wenn etwa mit der Entfernung ein Verlegung des wesentlichen Wohnsitzes außer Landes verbunden sein sollte u. die Verfassungsurkunde dies ausdrücklich verbietet. Ähnlich ist der Fall einer Mitregentschaft, wovon mehre Beispiele sich schon im 17. u. 18. Jahrh., neuerdings in Sachsen u. Kurhessen finden, indem der Mitregent nur Gehülfe u. freiwillig gewählter zeitweiliger Stellvertreter eines Souveräns ist, dessen Wahl dem Souverän ebenfalls freisteht, wenn auch die Sitte diese Wahl in der Regel auf den nächsten successionsberechtigten Agnaten gelenkt hat. 4) R. des Jahres, nach astrologischen Ansichten die sogen. sieben alten Planeten, s.d. S. 181; 5) (Pitt), Name eines großen Diamanten, s.d. h).


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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