Rettungshäuser

Rettungshäuser

Rettungshäuser, Anstalten, in denen Kinder, welche entweder schon verwahrlost od. auf der Bahn zu einem liederlichen u. verbrecherischen Leben sind, gebessert u. zu nützlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft erzogen werden. Diesem Zwecke gemäß geht in diesen Anstalten Arbeit, Unterricht u. Gottesdienst Hand in Hand. Die Entstehung solcher Anstalten fällt ziemlich früh. Schon 1686 gründete Thomas Odescalchi in Rom das St. Michaelsspital u. 1788 R. Young in London eine gleiche Anstalt; in der Schweiz nahm Pestalozzi (s.d.) zuerst Bettelkinder in sein Haus auf, legte dann 1798 in Stanz eine Erziehungsanstalt für arme Kinder an, welche aber, zuletzt nach Yverdun verlegt, 1825 wieder aufgelöst wurde. Von gleichem Geiste durchdrungen, gründete Fellenberg zu Hofwyl bei Bern 1801 eine [69] Anstalt für arme Kinder, deren hauptsächlichste Beschäftigung der Ackerbau bildete, die aber 1818 wieder einging. Baron Cottwitz in Berlin versammelte in einem alten königlichen Gebäude gesunkene Weiber, verkrüppelte Kinder, ausgediente Soldaten, hungernde Fabrikarbeiter etc., um sie erst an Ordnung u. Arbeit zu gewöhnen u. sie dann in die kleinen schwachbevölkerten Städte zu vertheilen, wo sie Obdach u. ein Stück Feld zum Kartoffelbau erhalten sollten. Graf Adalbert von der Recke gründete 1819 die Rettungsanstalt für verwaiste u. verbrecherische Kinder in Overdijk u. 1822 die größere in Düsselthal, beide in Folge der dem Französischen Kriege nachfolgenden Theuerung u. Entsittlichung. Zu gleichem Zweck entstand durch Reinthaler 1820 in Erfurt das Martinsstift in dem Augustinerkloster, 1825 das Erziehungshaus vor dem Halleschen Thore in Berlin, 1826 die Anstalt für verwahrloste Knaben in Nürnberg, 1829 aus der, ebenfalls nach dem Französischen Kriege gegründeten Falkschen Privatanstalt in Weimar durch den Großherzog das öffentliche Falksche Institut für verwahrloste Kinder. Alle diese Bestrebungen wurden indeß durch die Gründung des Rauhen Hauses (s.d.) zu Horn bei Hamburg 1833 überflügelt. Nach dem Muster desselben entstanden in ganz Europa u. auch in andern Welttheilen zahlreiche Erziehungsanstalten dieser Art, u. zwar meistens von Privatvereinen gegründet, so in Frankreich 1840 die Colonie agricole de jeunes détenus in Mettray; in Belgien 1849 die École de réforme in Ruysselaerde; in England das Royal Victoria Asylum in London, die Erziehungsanstalten zu Parkhurst auf der Insel Wight, zu Baterbury bei Chelmsford, zu Norwood bei London etc. Auch in Nordamerika sind R. in das Leben getreten. Am größten ist indeß ihre Zahl in der neuesten Zeit in Deutschland geworden, wo seit 1848, da sich der erste Kirchentag der Sache lebhaft annahm, in allen Ländern neue R. entstanden sind u. noch entstehen. Vgl. Wichern, Jahresberichte über das Rauhe Haus bei Hamburg, seit 1833; Kapff, Die württembergischen Brüdergemeinden Kornthal u. Wilhelmsdorf, Stuttg. 1839; Ducpétiaux, Mémoire sur l'organisation des écoles de réforme, Paris 1848; Mittheilungen des Localvereins für das Wohl der arbeitenden Klassen in Berlin, seit 1850; Rapport sur les écoles de réforme en Belgique, Brüssel 1850.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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  • Rettungshäuser — Rettungshäuser, Anstalten zur Besserung und Erziehung verwahrloster Kinder; in Deutschland zuerst durch Fellenberg, Pestalozzi und Falk gegründet; berühmt das durch Wichern gegründete Rauhe Haus (s.d.) in Hamburg. Das Deutsche… …   Kleines Konversations-Lexikon

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