Seekriege

Seekriege

Seekriege, Kriege, welche zur See geführt werden u. bei denen es sich hauptsächlich um Häfen, überseeische Besitzungen u. Colonien handelt. Zu S-n bedient man sich der Kriegsschiffe als Mittel u. sucht dadurch nicht nur der feindlichen Seemacht, sondern auch dem Seehandel des Feindes möglichst Schaden zu bringen. Meist geht der S. neben dem Landkriege[746] her. Die Mittel, welche im S. zur Verwendung kommen, sind einfacher als im Landkriege. Bas Kriegstheater ist ein allgemeines, unbegrenztes; die Strategie des S-s ist daher auch eine durchaus andere als im Landkriege, hat überhaupt wegen des Wegfalls der Begriffe Basis, Anlehnung, politische Objecte, Schwierigkeit der Verpflegung etc. wenig Bedeutung. Offensive u. Defensive verschwimmen vollständig in einander. Die Stelle der Festungen vertreten die Häfen; die Streitkräfte sind wie im Landkriege, schwere u. leichte. Aus den schweren Streitkräften (den größten Schiffen) werden Flotten u. Geschwader (Escadre) zusammengesetzt, welche bes. die Bestimmung haben gegen des Feindes Stärke, gegen seine Flotte u. seine Seefestungen zu agiren; Escadrillen, Kreuzer u. Flotillen dagegen bilden die leichten Streitkräfte (Fregatten, Corvetten etc.); Schnelligkeit u. Beweglichkeit ist bei diesen die Hauptsache, sie sind gegen des Feindes Schwäche, seinen Handel gerichtet; die Flotillen speciell sollen zum Schutz u. Angriff der Küsten dienen. Die Art u. Weise, wie einzelne Schiffe mit einander kämpfen, richtet sich nach der Bauart, Ausrüstung u. Bewegungsvorrichtung derselben. Die Formen, mittelst deren ein Schiff das andere zu überwinden vermag, sind das Feuer- (Fern-) Gefecht, das Entern (Nah-Gefecht) u. bei Dampfschiffen, wie sie wohl in Zukunft lediglich zur Verwendung kommen werden, auch das Rammen, d.h. das Anfahren des einen Schiffes mit dem Vordertheil an den Bord des anderen, um durch den Stoß dasselbe zu zertrümmern. Seitdem in der Neuzeit die seefahrenden Mächte ihre Schiffe allgemein mit Eisenpanzer bekleiden, dürfte das Entern wohl kaum mehr vorkommen. So lange man sich zur Bewegung der Fahrzeuge der Ruder bediente, waren die Borde die schwachen Seiten des Schiffes, eines Theils, weil sie schwach gebaut waren, andern Theils, weil sie wegen der Ruderer nur wenig Raum für die Aufstellung von Geschützen boten; jedes Ruderfahrzeug mußte daher suchen die Flanke seines Gegners zu gewinnen, um dann, mit aller Macht darauf lossteuernd, dieselbe einzustoßen; statt dessen streifte man, indem man längs des Bordes des Feindes rasch hinfuhr, wohl auch dessen Ruder ab u. enterte ihn dann, um die Entscheidung im Handgemenge zu suchen. In Seeschlachten suchten die Ruderfahrzeuge (Galeeren) der Parteien schon bei der Aufstellung immer die Flanke des Gegners zu gewinnen; während sich der Eine daher mit seinen Schiffen auf einem Kreisbogen, die Schnäbel concentrisch gerichtet, aufstellte, sah sich der Andere genöthigt ebenfalls einen Kreisbogen zu formiren, bes. wenn er schwächer war, u. zwar die Schnäbel excentrisch nach außen gekehrt. Als die Galeeren von den Segelschiffen verdrängt wurden, mußten sich diese Verhältnisse ändern, denn die frühere schwache Seite, die Borde, wurden nun durch Aufstellung der Geschütze die Stärke; man formirte sich daher dem Feinde gegenüber in einer geraden Linie, alle Kiele in derselben, in Schlachtordnung, u. zwar der Bequemlichkeit des Manövrirens halber auf den Linien beim Winde (Luv- u. Leeflotte). Gewöhnlich näherte sich nur die eine Flotte der andern, u. je ein Schiff der einen Partei griff ein Schiff der andern an, indem es in einer gewissen Entfernung den Feind mit seinen Geschützen beschoß; die Deckgeschütze gegen das feindliche Deck, die unteren Geschütze möglichst tief gerichtet, um dem feindlichen Schiffe Schüsse unter der Wasserlinie beizubringen; dann folgte der Versuch zum Entern. Als jedoch dadurch, daß man die Borde nach oben einzog, das Entern immer mehr erschwert wurde, wurde das Feuergefecht immer mehr zum alleinigen. Diese einförmige Seekriegstaktik erlitt erst eine vollständige Umänderung durch Nelson, welcher das Durchbrechen der feindlichen Flotte zu seiner Regel machte, dabei auch sich weder lediglich beim Winde, noch in einer Linie formirte, sondern mehre Colonnen bildete, um bei dem Übergang aus der Marsch- in die Schlachtordnung den Aufmarsch der Schiffe schneller ins Werk zu setzen, als bei der Formation in eine Linie möglich war, u. so von Anfang an dem Feinde mit einer überlegenen Zahl von Schiffen entgegenzutreten. So große Erfolge Nelson hierdurch erlangt hatte, ahmte man ihm doch nicht nach, sondern blieb bei den früheren Formen stehen. Auch die Erfindung u. Anwendung der Raddampfschiffe änderte hierin nichts, da diese Fahrzeuge wie die Galeeren an den Borden ihre Schwäche hatten u. demnach die Segelschiffe nicht zu verdrängen vermochten. Erst die Einführung der Propellerschraube (s.d.) zur Bewegung der Dampfer hat an die Schwelle einer tiefgreifenden Umwälzung der Kampfweise zur See geführt, denn völlig unabhängig vom Winde haben die Schraubendampfer ihre starken Seiten dennoch an den Borden u. vereinigen somit die Vorzüge der Galeeren u. Segelschiffe in sich. Welche Änderungen in den Gefechtsformen hierdurch herbeigeführt werden müssen, dafür gibt die Erfahrung noch keinen Anhalt, doch läßt es sich wohl mit Bestimmtheit annehmen, daß die Aufstellung in Linie der in mehren Colonnen weichen muß, um so mehr, als durch die Stellung in Colonnen die Entfernungen verkürzt werden, welche der nicht angegriffene Theil einer Flotte zurückzulegen hat, um den angegriffenen Schiffen Hülfe zu leisten. Inzwischen hat sich in der neuesten Zeit die Idee der Panzerschiffe vollständig Bahn gebrochen u. das gesammte Seekriegswesen einer abermaligen totalen Umänderung entgegengeführt. Schon zu Zeiten Nelson's, dann wieder durch den französischen General Paixhans, den Erfinder der Bombenkanonen, war die Idee der Panzerung der Schiffe in Vorschlag gebracht worden, ohne daß ihr jedoch Folge gegeben worden wäre. Erst die Fortschritte, welche man später in der Eisenfabrikation machte, noch mehr aber wohl die Vervollkommnung der Artillerie führten von Neuem zu Versuchen mit Schiffspanzern zurück; man nahm den Panzer zuerst in Frankreich, dann in England u. nach u. nach in allen Marinen an, u. gegenwärtig scheint sich die Überzeugung Bahn gebrochen zu haben, daß Schiffe ohne Panzer in den künftigen S-n gar nicht mehr verwendbar seien, da die Holzschiffe bei der Treff- u. Wirkungsfähigkeit der heutigen gezogenen Geschütze im Augenblick vernichtet sein würden, während die gepanzerten Fahrzeuge wenigstens auf eine gewisse Zeit Widerstand zu leisten vermögen. Die Frage, ob man große Schiffe (Linienschiffe od. Fregatten) mit einem Panzer versehe, od. nur sogen. Thurm- (od. Kuppel-) Schiffe (s.d., vgl. Schwimmende Batterie), nach dem von Ericson aufgestellten System anwenden solle, ist zu Gunsten der ersteren entschieden worden, weil nur bei diesen die für ein Kriegsschiff nothwendigen Eigenschaften (Stabilität, Schnelligkeit, Steuer- u. Manövrirfähigkeit) gefunden[747] werden, während die Thurmschiffe vorzugsweise im Küstenkriege eine Rolle zu spielen bestimmt sind. Diese Umänderungen des Materials der Flotten u. die daraus resultirenden Änderungen im S. werden zuverlässig auch die Veranlassung zu großen Änderungen im Befestigungswesen der Küstenpunkte geben, denn die heutigen Befestigungen der Art sind weder geeignet den schweren Geschützen der Panzerschiffe Widerstand zu leisten, noch besitzen sie eine Armirung, welche den Panzerschiffen Schaden zu thun vermöchte. Vgl. Seerecht, Caper, Flotte, Neutralität.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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