Speculation

Speculation

Speculation (v. lat.), 1) überhaupt Betrachtung, Beschauung, aber nicht die äußere, sinnliche, sondern die innere, geistige sammt der den Inhalt u. die Folgen dieser inneren Betrachtung entwickelnden u. anwendenden Thätigkeit des Denkens. Bes. 2) im praktischen Leben, namentlich im Handel u. Verkehr, versteht man darunter Unternehmungen, welche in Folge von Überlegungen, vermöge deren gewisse Erfolge u. Ereignisse als wahrscheinlich erscheinen, mit der Hoffnung auf Gewinn gemacht werden; diese kaufmännische S. ist eine Art Wahrscheinlichkeitsrechnung, welche zukünftige Ereignisse zu anticipiren u. deren Wirkungen zu ihrem Nutzen zu verwenden sucht, deren Gelingen od. Fehlschlagen deshalb auch mehr od. weniger vom Zufall od. Glück abhängt. Daher Speculationshandel, wenn man nicht mit besondern Arten Waaren od. nicht für immer mit denselben Handel treibt, sondern jede Art Waaren od. eine gewisse Art Waaren nur dann einkauft, wenn man annehmen kann, daß sie in einiger Zeit im Preise steigen werden; wer diese Art Handel betreibt, heißt ein Speculant. Die Anleitung, wie man das wahrscheinliche Steigen u. Fallen der Waaren im Voraus bestimmen kann, heißt Speculationslehre. Nach Verschiedenheit der Waaren müssen auch die Rücksichten sehr verschieden sein, welche der Speculant zu nehmen hat. Bei Actien, Staats- u. anderen Börsenpapieren kann die genaue Kenntniß der herrschenden Politik, der Tagesgeschichte u. der Statistik Anleitung geben. Speculantan à la hausse nennt man beim Börsenspiel diejenigen Personen, welche auf das Höhergehen der Curse eines Papiers od. einer Waare rechnen u. darauf hinarbeiten; dagegen Speculanten à la baisse diejenigen, welche im entgegengesetzten Falle sind, s.u. Börse V. Bei gewöhnlichen Waaren ist dem Speculanten Kenntniß des Consumo in den verschiedenen Ländern, so wie der Production nöthig, so wie auch Beachtung alles dessen, was den Verbrauch od. die Production einer Waare mehren od. mindern kann. Endlich muß der Speculant auch auf die möglich günstige od. ungünstige Herbeischaffung od. Versendung einer Waarengattung Rücksicht nehmen. 3) Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch die geistige Thätigkeit, welche gewisse Erkenntnisse entweder ohne Beihülfe der Erfahrung od. in Gebieten, welche die letztere gänzlich überschreiten, durch das Denken zu gewinnen sucht. Insofern alles Denken sich in der Bestimmung u. Verknüpfung von Begriffen bewegt, läßt sich für alle Wissenschaften, welche es mit Begriffen zu thun haben, eine speculation, in die sie beherrschenden Hauptbegriffe sich vertiefende, den in ihnen liegenden Consequenzen u. Beziehungen nachgehende, aus ihnen gewisse von der Erfahrung unabhängige Erkenntnisse ableitende Behandlung denken; indem aber jede Wissenschaft durch ein solches Verfahren sich der Philosophie nähert od. deren Gebiet betritt, wird das Wort S. häufig[518] als gleichbedeutend mit dem philosophischen Denken überhaupt genommen. Die Methode des speculativen Denkens u. damit der Begriff der S. selbst ist je nach der Verschiedenheit der philosophischen Richtungen u. Systeme sehr verschieden aufgefaßt worden; während die Bestimmung derselben, daß sie in einer strengen u. consequenten Reflexion auf den Inhalt u. die Beziehung der Begriffe bestehe u. den Gesetzen der Logik zu folgen habe, die Belehrungen der Erfahrung keineswegs ausschließt, hat man darunter andererseits häufig eine angeblich unmittelbare (intellectuelle) Anschauung des Unendlichen u. Absoluten verstanden u. sie in Folge davon, wie z.B. Hegel, als das gerade Gegentheil der logischen Reflexion, u. zwar zugleich als die höhere Stufe der Erkenntniß, aufgefaßt. Die Grundlosigkeit u. Willkür, mit welcher diese letzteren Prätensionen namentlich in der Schellingschen u. Hegelschen Schule hervorgetreten sind, haben bei den Mathematikern u. den Vertretern der Naturwissenschaften das Wort S. u. speculative Erkenntniß nicht selten in den Verdacht einer inhalts- u. grundlosen Träumerei gebracht, während es richtig verstanden nur die strenge Methode eines begriffsmäßigen Denkens bezeichnet, deren keine Wissenschaft, welche es nicht blos mit der Sammlung von empirischen Thatsachen zu thun hat, entbehren kann Vgl. Kirchner, Die speculativen Systeme seit Kant, Lpz. 1860. 4) Ein glatt gewebtes halbseidenes Zeug: die Kette ist von baumwollenem od. leinenem Garne.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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