- Statistik
Statistik (Staatskunde), die wissenschaftliche Darstellung derjenigen Zustände eines Staates u. Volkes, welche für die Beurtheilung der öffentlichen Verhältnisse desselben von Wichtigkeit sind. Die S. ist als eine eigene Wissenschaft erst seit der Mitte des 18. Jahrh. ausgebildet worden; als ihr eigentlicher Begründer ist Achenwall (Staatsverfassung der europäischen Reiche, Göttingen 1752) zu betrachten. Seitdem hat dieselbe in dem Gebiete der Staatswissenschaften sich eine sehr hervorragende Stellung errungen u., wenn auch mit verschiedener Auffassung des Begriffes, eine sehr zahlreiche Literatur aufzuweisen. Die S. ist hiernach nicht blos auf eine Darstellung der Thatsachen zu beschränken, welche sich in Zahlenreihen ausdrücken lassen, obschon diese Thatsachen einen bedeutenden u. wegen der Sicherheit bes. wichtigen Theil der S. ausmachen; ebenso beschränkt erscheint die Auffassung, welche ihr blos die Darstellung der Staatskräfte zuweisen will. Aufgabe der S. ist vielmehr, das gesammte gesellschaftliche Leben in seinem gegenwärtigen Zustande zu erforschen u. die Entwickelungsgesetze aufzusuchen, welche dasselbe beherrschen. Die Hülfsmittel für die S. sind in neuerer Zeit um so mehr gestiegen, je mehr die Staatsregierungen selbst die große Wichtigkeit der S. für die richtige Beurtheilung politischer Verhältnisse u. die Leitung des gesammten Staatslebens erkannt u. zugleich die frühere Scheu vor der Veröffentlichung solcher Thatsachen überwunden haben. Hierher gehören insbesondere die vielfachen tabellarischen Erhebungen, welche nach den Einrichtungen der meisten Staaten über alle öffentlichen wichtigen Verhältnisse, als die Zahl der Bevölkerung, Geburten, Sterbefälle, Verheirathungen, Aus- u. Einwanderungen, Handels- u. Schifffahrtsverkehr etc. geführt werden müssen; in den größeren sind deshalb eigene Statistische Bureaux gegründet worden, in welche alle diese tabellarischen Arbeiten zusammenfließen u. denen die Aufgabe obliegt dieselben zu einem Ganzen zusammenzustellen u. die daraus sich darbietenden Wahrnehmungen zu veröffentlichen. Neben diesen officiellen Behörden haben sich auch vielfach Statistische Vereine gebildet, welche von Zeit zu Zeit zu Statistischen Congressen zusammengetreten sind, um die Resultate ihrer Forschungen gegen einander zu vergleichen u. im persönlichen Verkehr auszutauschen. Ebenso ist die S. vielfach durch Jahresberichte u. Fachzeitschriften gefördert worden. Die meisten statistischen Notizen veröffentlicht England, nicht blos in den Mittheilungen, welche das Parlament regelmäßig über alle Theile der öffentlichen Verwaltung empfängt, sondern auch in den jährlichen Übersichten, welche der Kanzler der Schatzkammer über den gesammten Staatshaushalt gibt, den vierteljährlichen Veröffentlichungen des Handelsamtes über den Gang des Handels u. der Schifffahrt u. den jährlichen Berichten über den Ertrag der indirecten Abgaben, den jährlichen Berichten des Registrar-General über die Bewegung der Bevölkerung, Criminalstatistiken, Jahresberichten über das Auswanderungswesen u. den Ernteertrag den Protokollen des obersten Erziehungsrathes, Berichten über die Verwaltung des Armenwesens etc. Auch in Frankreich ist es gewöhnlich, daß die obersten Verwaltungsbehörden jährlich eine Übersicht über die Gegenstände ihres Geschäftszweiges (Compte rendu) veröffentlichen. So erstattet das Justizministerium schon seit dem Jahre 1825 einen jährlichen Bericht über die Rechtspflege, das Kriegsministerium seit 1818 einer Bericht über die. jährlichen Ergebnisse der Recrutirung,[706] das Handelsministerium monatliche Nachweise über den Zustand des Handels u. die ihm untergeordnete Zollverwaltung eine jährliche Übersicht über den gesammten äußeren u. Küstenhandel, das Seeministerium jährliche Nachrichten über die Colonien, das Finanzministerium einen Ausweis über den Staatshaushalt des Jahres, die Bergwerksverwaltung einen jährlichen Rechenschaftsbericht über den gesammten Bergbau. Für einen großen Theil der Deutschen Staaten, die Staaten des Zollvereins, sind die jährlich über den Waarenverkehr u. Zollertrag im Zollverein erscheinenden Übersichten von Wichtigkeit. Für Österreich erscheinen jährlich Tafeln zur S. der Österreichischen Monarchie u. Mittheilungen aus dem Gebiete der S., letztere von dem Directorium der administrativen S. im Handelsministerium. Ebenso veröffentlicht Preußen seit 1848 regelmäßig Mittheilungen seines Statistischen Bureaus, welche das gesammte Volks- u. Staatsleben umfassen. Gleiches geschieht seit 1851 durch das Statistische Bureau des Königreichs Sachsen, in Württemberg seit 1818 durch die Württembergischen Jahrbücher u. Oberamtsbeschreibungen, in Baiern durch die Beiträge zur S. des Königlichen statistischen Bureaus, in Bremen u. Hamburg durch die tabellarischen Übersichten des dortigen Handels etc. Vorzüglich ausgebildet sind auch die Einrichtungen für S. in Belgien, wo die Centralcommission der S. zu Brüssel seit 1843 jährlich ein umfängliches Bulletin u. andere Arbeiten veröffentlicht, u. in Holland, wo schon seit 1815 regelmäßige Berichte über Unterrichtswesen u. Wohlthätigkeitsanstalten, seit 1846 Tabellen über Schifffahrt u. auswärtigen Handel, seit 1847 Jahresberichte über bürgerliche u. Strafgerichtsbarkeit, seit 1852 auch ein eigentliches statistisches Jahrbuch des Ministeriums des Innern erscheinen. In kleineren Staaten u. für einzelne Branchen sind vielfach die Kalender zur Mittheilung regelmäßiger jährlicher statistischer Notizen benutzt worden, z.B. der Gothaische genealogische Hofkalender, der Preußische Justiz-, Bau-, Militärkalender, der Königlich-Sächsische Berg-, der Altenburger Geschichts- u. Hauskalender etc. Diejenigen Schriftsteller, welche sich die S. zur Hauptaufgabe ihrer Thätigkeit gemacht haben, werden als Statistiker bezeichnet; im Alterthum findet sich bei den Griechen in den Schriften des Herodot, Aristoteles, Eratosthenes, Strabo u. Pausanias, bei den Römern in denen des Tacitus u. Plinius des Jüngern statistisches Material; im Mittelalter kann Äneas Sylvius als ein Quellenschriftsteller für S. gelten; Vorläufer für die eigentliche S. waren unter den Italienern Sansovino u. Botero, unter den Franzosen d'Avity, unter den Deutschen Conring, Oldenburger, Joh. Andr. Bose, Gastel u. von Zech, unter den Engländern Petty, King u. Davenant, unter den Holländern de Luca u. Everh. Otto, während sich zuerst Achenwall um die wissenschaftliche Form, Schlözer um den reicheren Inhalt verdient machte. Die bedeutendsten Statistiker der Neuzeit sind unter den Italienern Balbi, Quadri u. Gioja; unter den Engländern Porter, Colquhoun, M'Culloch u. Mac Gregor; unter den Franzosen Charles Dupin, Bruzen de la Martinière, Bignon, Ballois, Deferrière, de Férussac, Moreau de Jonnès u. Dufau; unter den Belgiern Quetelet u. Heuschling; unter den Deutschen Canzler, André, Berghaus, Lüder, von Malchus, Fallati u. Schubert u. bes. als sich fast ausschließlich der S. widmend J. G. Hoffmann, Dieterici, Hanssen, Becher, Freiherr F. W. von Reden, O. Hübner, Freiherr K. von Czörnig, Engel u. Roscher. Vgl. Mone, Die Theorie der S., Heidelb. 1824; v. Reden, Die jetzige Aufgabe der S. in Beziehung auf Staatsverwaltung, 2. Aufl. Wien 1857; Fallati, Einleitung in die Wissenschaft der S., Tüb. 1843; Stein, System der S., Populationistik u. Volkswirthschaftslehre, Stuttg. u. Tüb. 1852; Jonak, Theorie der S. in Grundzügen, Wien 1856; Knies, Die S. als selbständige Wissenschaft, Kassel 1850; Brachelli, Deutsche Staatskunde, ebd. 1857 f., 2 Bde.; G. Fr. Kolb, Handbuch der vergleichenden S. der Völkerzustands- u. Staatenkunde, 3. A, Lpz. 1862; Wappäus, Allgemeine Bevölkerungsstatistik, ebd. 1862, 2 Bde.; Mor. Block, Puissance comparée des divers Etats de l'Europe, Par. 1862. Zeitschriften: L. A. Müller, Statistische Jahrbücher, Lpz. 1845–47; Hübner, Jahrbuch der Volkswirthschaft u. S., Lpz. 1852 ff.; Journal of the Statist. Society of London, Lond. 1839 ff. Einen Theil der allgemeinen S. bildet die kirchliche S., welche Nachweise über die in einem Lande vorhandenen Christen nach ihrer verschiedenen Confession, über die Gotteshäuser, die Geistlichen u. deren Gehülfen, den officiellen Cultus, die herrschende Lehrweise, die christliche Sitte, die Getauften, Getrauten, Communicirten, Gestorbenen, die Kirchenverfassung, das kirchliche Budget etc. gibt. Der Begründer dieses speciellen Theils der S. war Kasche, in seinen Ideen über religiöse Geographie, Lüb. 1795; nach ihm bearbeiteten denselben Stäudlin, Kirchliche Geographie u. S., Tüb. 1804, 2 Bde.; J. Wiggers, Kirchliche S., Hamb. 1842 f., 2 Bde.; für einzelne Confessionen P. Karl von St. Aloys, Statistisches Jahrbuch der (katholischen) Kirche, Regensb. 1860; für einzelne Länder G. Finsler, Kirchliche S. der Schweiz, Zür. 1854; s. auch die Literatur der einzelnen Länder; in geschichtlicher Beziehung für die kirchliche S. ist zu vergleichen Wiltsch, Handbuch der kirchlichen Geographie u. S. von den Zeiten der Apostel bis zu Anfang des 16. Jahrh., Berl. 1846, 2 Bde.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.