- Mnemonik
Mnemonik (Mnemoneulík, Mnemotechnik, v. gr., Gedächtnißkunst), Kunst das Gedächtniß möglichst zu vervollkommnen, daß es umfassend, leicht, fest u. treu sei, ohne daß man die Gegenstände selbst treu im Gedächtniß bewahrt, sondern die Hauptvorstellungen u. Wendungen etc., an welche man sich erinnern will, durch einen gewissen Zusammenhang verwandter Bilder, z.B. die vier Wände eines Zimmers, Säulen, Wörter statt Zahlen etc., anknüpft u. dieselben mittelst der Ideenassociation zu Erinnerungsmerkmalen macht. Nach der Sage der Alten war der Erfinder derselben der griechische Dichter Simonides (s.d.) aus Kos. Während er bei einem Gastmahle bei Skopas (s.d.), hinausgerufen wurde u. die übrigen Gäste durch den Einsturz des Speisesaals erschlagen wurden, erkannte er die bis zur Unkenntlichkeit entstellten Leichen dadurch, daß er sich noch genau erinnerte, wie sie gesessen hatten, u. wurde so auf die Idee seiner Kunst geleitet, in welcher er auch später merkwürdige Proben abgelegt haben soll. Die drei Hauptstellen darüber sind: Cicero de orat. 2, 86–88; Auctor aboldsmall ad Herenn. 3, 16–24; Quint ilian. Instit. 10, 1, 11 ff. Die Versuche späterer Jahrhunderte, die M. wieder ins Leben zu rufen u. mehr auszubilden, waren nicht von Erfolg. Unter denen, welche über die M. Untersuchungen angestellt haben, verdienen bes. erwähnt zu werden, im 14. Jahrh. Raymund Lullius, im 15. Jahrh. Giordano Bruno, im 16. Jahrh. Lamprecht Schenkel u. Martin Sommer; der beiden Letztern Compendium der M. gab Klüber[336] übersetzt heraus, Erl. 1804, dazu Klüber, Mein Contingent zur Geschichte der Gedächtnißübungen in den ersten Jahren des 16. Jahrh., Nürnb. 1804; Chr. A. L. Kästner, Mnemonik, Lpz. 1804; Desselben Erläuterungen seiner M., ebd. 1804; Beides 1805; Dessen Übersetzung der drei Stellen bei den Alten von der Gedächtnißkunst, ebd. 1805; Morgenstern, De arte veterum mnemonica, Dorp. 1805, Fol.; Chr. von Aretin, Theorie der M., Nürnb. 1806; Desselben Anleitung zur Theorie u. Praxis der M., Sulzb. 1810; Greg. de Fainaigle, Notice sur la M., Par. 1806; M. nach den Vorlesungen desselben, Frkf. a. M. 1811; Fr. Guivard, Traité de M., Lille 1708; Kästner, Briefe über die M., Sulzb. 1828; Mnemonices quaedam in scriptura sacra vestigia, Delitzsch 1831; A. Paris, Principes et applications diverses de la mnemotechnie, 7. Aufl., Par. 1833; F. I. u. Al. de Castilho (zwei Portugiesen, welche Reisen auf ihre Kunst bis Deutschland machten u. Vorlesungen darüber hielten), Traité de mnémotechnie, 5. Ausg., Bord. 1834, u. Deren Dictionnaire mnémonique, Lyon 1835; Joh. Graf von Mailáth, M., Wien 1842. Die Methode des Polen Jazwinski, welcher mnemonische Quadrate construirt u. diese, wie ihre Combinationen mit Bildern belegte, wurde auch auf den Unterricht angewendet u. vom polnischen General Bem vervollkommnet. In Deutschland trat seit 1840 der Däne Karl Otto, genannt Reventlow, in mehrern mnemotechnischen Werken (Lehrbuch der M., Stuttg., 2. Aufl. 1847; Wörterbuch der M., ebd. 1844; Leitfaden der M., ebd. 1846) mit einer neuen Methode auf, welche sich auf den Grundsatz stützt, daß sich das am leichtesten behalten lasse, was zum Gedanken geworden u. deshalb alle Nichtbegriffe, d.h. alle Zahlen u. Laute, von denen man nur ihre numerischen u. Lautbeziehungen kennt, in Begriffe verwandelt, wodurch sie sich hauptsächlich zur raschen u. sichern Einprägung von Zahlenreihen, z.B. in der Chronologie eignet. Für Zahlen ist sein Schema der Substitutionen in der Hauptsache folgendes:
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 l t n m r s b f h g z d v w q sch p pf j k sz ph ck
Mittels hinzugefügter Vocale werden durch diese Substitution sogenannte numerische Wörter gebildet, in welchen die voranstehenden Consonanten, doch nicht mehr als höchstens die drei ersten, eine Bedeutung als Substitution haben, z.B. 461 = Arbeit (r = 4, b = 6, t = 1). Will man nun eine Anwendung auf die Chronologie machen u. sich z.B. das Geburtsjahr Pappenheims 1594 merken, so bildet man mit Weglassung der sich von selbst verstehenden Tausend, aus den substituirten Buchstaben (s = 5, g = 9, r = 4) das Wort Sieger od. siegreich, welches mit dein Betreffenden leicht in Bezug zu bringen u. zu behalten ist. Bei Anwendung noch einiger weitern Regeln lassen sich selbst große Zahlenreihen dem Gedächtnisse einverleiben, wie Otto durch viele öffentliche Proben auf seinen Reisen durch Deutschland dargelegt hat; doch hat sich der gehoffte Nutzen seiner Methode beim Schulunterricht nicht herausgestellt, da derselbe mehr die Phantasie als den Verstand in Thätigkeit versetzt. Eine ähnliche Methode stellt Herm. Kothe in seinem Lehrbuch der M., 2. Aufl., Hamb. 1852; Katechismus der M., Lpz. 1854 u. System der M., Kassel 1853, auf u. hat ebenfalls durch öffentliche Proben allgemeine Bewunderung erlangt.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.