- Mémoire
Mémoire (fr., spr. Memoahr), 1) Gedächtniß; 2) was zum Andenken einer Sache dient; 3) Aufsatz zur Anregung eines Gegenstandes; bes. 4) Staatsschrift, welche Deductionen eines Ministers od. Gesandten über einen staats- u. völkerrechtlichen Gegenstand enthält, über den ein Staat verschiedener Meinung ist. Solche M-n kommen bei Unterhandlungen der Minister häufig vor, weil man dadurch allen Rang- u. Ceremonialstreitigkeiten am besten ausweichen kann. Entweder sind sie in Briefform verfaßt, od. sie enthalten, obgleich der Verfasser von sich als von einer dritten Person spricht, Anrede, Datum u. Unterschrift (eigentliche M. Memoriales), od. sie ermangeln der Anrede u. Unterschrift, u. es wird darin von dem Empfänger u. Absender als von einer dritten Person gesprochen (Noten). Solche M-n werden entweder von den Gesandten an fremden Höfen od. von den Höfen selbst abgefaßt u. einem anderen Hofe übergeben; doch hat bei den M-n der Gesandten die Briefform fast ganz aufgehört, u. sie bestehen nur noch in eigentlichen M-n u. Noten; 5) historische M. (Denkwürdigkeiten, fr. Mémoires, span. Memorias), unterscheiden sich von den Chroniken hauptsächlich dadurch, daß diese die einzelnen Thatsachen schmucklos nach der Zeitfolge aufzählen u. der Verfasser völlig in den Schatten tritt, während derselbe in den M-n größtentheils Selbsterlebtes schildernd, seine Beziehungen zu den Ereignissen nicht verschweigt u. im Stande ist, ein eigenes Urtheil über Motive, Ursachen u. Folgen derselben aufzustellen. Seine größere od. niedere Betheiligung u. Einfluß auf die erzählten Begebenheiten erwecken u. vermehren die Theilnahme u. selbst die zuweilen obwaltende Parteinahme trägt zur Belebung der Darstellung wesentlich bei. Aus dem classischen Alterthum[120] sind fast nur Xenophon u. Cäsar erwähnenswerth. Erst im 13. Jahrh. kommen die historischen Denkwürdigkeiten zuerst wieder u. zwar in Frankreich vor, wo überhaupt diese Erzählungsweise den günstigsten Boden gefunden hat (s. Französische Literatur IV. u. V.). Nächst dem haben sich darin die Engländer hervorgethan, für die Zeit der Königin Elisabeth sind für englische Verhältnisse I. Melvill u. Birch zu nennen u. für die schottische Geschichte David Crawford of Drumsey, während die Zeiten der religiös. politischen Stürme im 17. Jahrh, uns von Rushwort (1618–42), Ludlow, Nelson (1639–1649), Clarendon (1621–60), Whitelock, W. Temple (1672–79), Peck, Dalrymple u. Pepys vorgeführt werden. Die Ereignisse nach der Vertreibung der Stuarts beschrieben Burnes u. Marlborough, so wie Bolingbroke, Walpole u. I. Ker of Kersland die Regierungszeit Georgs I. Aus der Menge der spätern meist werthlosen. M-n sind fast nur die vom militärischen Gesichtspunkte aus wichtigen Denkwürdigkeiten David Ramsay's (1755–1763) hervorzuheben. In Deutschland waren zwar schon zur Zeit der Reformation M-n von nicht unbedeutendem Umfange u. großer Gelehrsamkeit aufgetaucht, doch konnte schon in der darauf folgenden Periode, gehemmt u. erstickt durch die damals vorwaltende Pedanterie u. Schwerfälligkeit dieser Art des geschichtlichen Vortrages keinen weiteren Fortgang gewinnen. Ernst Dohm, Woltmann, Görz leisteten Bemerkenswerthes u. in neuerer Zeit haben namentlich Arndt, von Gagern, Hornmayr, Ritter von Lang u. Varnhagen von Ense mit viel Geist u. Glück dieses Feld bebaut, welches bei den übrigen Nationen nur spärlichen Ertrag abgeworfen hat.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.