Harnlassen

Harnlassen

Harnlassen. Die Harnblase füllt sich durch den allmälig durch die Harnleiter in sie träufelnd gelangenden Harn bis zu einem gewissen Grade an, ehe der Drang zum H. eintritt. Die schräge Einführung der Harnleiter in die Blase hat zur Folge, daß der einmal dahin gelangte Harn nicht wieder zurücktreten kann. Die Menge Harn, welche die Blase fassen kann, ist verschieden. Meist rechnet man, daß 1 Pfd. Harn sich ansammelt, ehe der Drang lebhaft wird, Doch lassen auch wohl Personen bei gutem Befinden, aber reichlichem Trinken, 2–3 Pfd. Harn auf einmal. In ungewöhnlichen Fällen u. bei krankhaftem Hinderniß des Abflusses dehnt sich auch wohl die Blase so weit aus, daß sie 4–8 Pfd., ja in seltenen Fällen bis 20 Pfd. zu fassen vermag. Bei längerer Harnverhaltung wird aber auch ein Theil des in die Blase aufgenommenen Harns durch die einsaugenden Gefäße wieder aufgenommen; der zurückbleibende Harn wird dann dunkler gefärbt u. macht einen reichlicheren Bodensatz. Der Ausfluß des Harns außer der Zeit, wenn er gelassen werden soll, wird weniger durch Zusammenziehung der Muskelfasern des Blasenhalses, als durch die Elasticität seiner Häute verhindert. Im Liegen senkt sich überdies der Harn mehr hinterwärts, drängt daher nur bei sehr angefüllter Blase auf den Blasenhals. Bei lebhaftem Drange kann aber auch durch zukommende Muskelfiebern, die von den Aufhebemuskeln des Afters aus u. sonst noch zum Blasenhals gehen u. dem übrigen der Harnblase eigenen Muskelapparat Widerstand geschehen. Mechanisch wird auch blos durch Sitzen, mit vorwärts gebeugtem Körper u. zusammengezogenen Schenkeln einem starken Drang zum H. widerstanden, wie auch unter der Darmausleerung beim Abgang festen Kothes dadurch der Blasenhals mechanisch verschlossen wird. Wegen der blos mechanischen Verschließung der Harnblase, außer der Zeit, wenn der Harn nicht gelassen wird, findet man häufig auch in Leichen die Harnblase mit Harn erfüllt. Gewöhnlich kehrt der Drang zum H., wenn der Harn entleert ist, nur nach dem Verlauf mehrerer Stunden wieder, doch ohne daß sich die Natur dabei an eine gewisse Regel bindet. Die Menge u. die Wahl der genossenen Getränke entscheiden hierbei das Meiste. Im Stehen u. Gehen kehrt der Drang eher wieder als im Sitzen; auch im Fahren wird er früher lebhaft, weil dem natürlichen Reize des Harns sich auch noch der durch die Erschütterung beifügt. Was die Absonderung des Harns vermehrt, treibt gewöhnlich auch zu öfterem H. (vgl. Harntreibende Mittel). Bei Frauen kehrt der Drang zum H. im Allgemeinen später wieder, was jedoch mehr die Folge der Gewöhnung, als Naturgesetz ist. Die Aufmerksamkeit auf den entstehenden Drang vermehrt ihn, ja regt ihn auf, daher er auch bei abgelenkter Aufmerksamkeit darauf, bei nicht sehr angefüllter Blase, wieder vergeht. Bei öfterer Wiederkehr wird er aber immer lästiger, ja wohl unwiderstehlich, dies vorzüglich bei großer Reizbarkeit (daher auch im kindlichen Alter), unter Körperbewegung, in Schwächezuständen, wo die Muskelkraft gesunken u. die Harnblase erschlafft ist, daher auch Lähmung der Blase unwillkürlichen Harnabgang als krankhaften Zustand zur Folge hat. Auch der Schrecken, die Angst, selbst ein abgenöthigtes heftiges Lachen kann dasselbe bewirken. Der Ausfluß wird zunächst von der Muskelhaut der Harnblase bewirkt, u. der Drang zum H. besteht hauptsächlich darin, daß die Thätigkeit derselben unwillkürlich rege wird. Er wird dann, wenn diese Thätigkeit einmal angeregt ist, nichts dazu erfordert, als daß der Widerstand, den die auf Verengung u. Zusammendrücken des Blasenhalses wirkenden Muskeln dem Ausfluß des Harns entgegenstellen, willkürlich nicht geübt wird. Doch wird, nach einmal besiegtem Widerstande des Blasenhalses, durch den natürlichen Druck der Gedärme auf die Blase im Stehen u. Sitzen, bes. durch willkürliche Zusammenziehung der Bauchmuskeln u. des Zwerchfells, in derselben Weise wie die Darmausleerung, auch der Ausfluß des Harns erleichtert u. beschleunigt. Hat einmal die Ausleerung begonnen, u. ist die Blase noch sehr angefüllt, so ist der Ausfluß des Harns durch Zusammenziehung u. Druck der Muskeln auf den Blasenhals ohne Beschwerden nicht zu hemmen, weil die einmal angeregte Muskelthätigkeit der Blase den Drang unterhält. Der Strom des ausfließenden Harns, entsprechend der Weite der Harnröhre, ist beim weiblichen Geschlecht ein stärkerer. Die Richtung der Harnröhre bestimmt auch die Richtung der Strömung. Dem männlichen Geschlecht ist daher der Vortheil verstattet, ohne Entfernung der Schenkel von einander, den Harn in einem Bogen bis zu 3 bis 4 Fuß Entfernung ausfließen zu lassen, zumal in jüngeren Jahren, indem in späterem Alter die Muskelhaut der Blase ihre Kraft verliert u. dann, zumal bei nicht sehr voller Blase, der Harn nur langsam u. absatzweise, auch wohl nur in Tropfen ausfließt. Auch Thiere verhalten sich gewöhnlich beim H. ruhig, nehmen eine Stellung an, daß der Harn frei abfließt, weibliche Thiere meist, indem sie die Hinterfüße von einander entfernen, männliche aber, indem sie entweder vorwärts, wie gewöhnlich, od. auch rückwärts (wie u.a. Löwen), od. auch seitwärts mit Emporhebung eines Hinterfußes (wie Hunde), den Harnstrom von dem Körper ableiten. Beim männlichen Geschlecht bleibt, wenn die Blase entleert ist, noch ein Theil des Harns in dem oberen Theil der Harnröhre, der dann durch den Harnschneller, mit einer größeren Gewalt als der Harn von der Blase aus, ausgetrieben wird, während welcher Zeit, unter gleichzeitiger Mitwirkung der zum Verschluß des Blasenhalses wirkenden Muskeln, dann der Ausfluß des noch in der Blase rückständigen Harns unterbrochen wird. Die Schwäche dieses Muskels hat bei Greifen gewöhnlich ein lästiges Träufeln des Harns beim Ende des H-s zur Folge. Die Harnausscheidung, welche im gefunden Zustande von einem Gefühle körperlicher Befriedigung u. Erleichterung begleitet ist, wird in Krankheiten bes. der Harnröhre u. der Harnblase äußerst schmerzhaft u. geht der Harn unter wehenartigem Drängen nur[52] tropfenweise ab (Dysuria od. im noch höheren Grade Stranguria). Zuweilen ist das H. gänzlich unterdrückt (Ischuria) od. der Willkür entrückt (Harnfluß, Incontinentia urinae). Zuweilen besteht ein Drang zum H. ohne Anhäufung von Urin (Harndrang). Ist der Strahl des Harns gedreht, gewunden, gespalten, dünner als normal, so deutet das auf Harnröhrenverengerung durch Narben, Polypen od. sonstige Hindernisse.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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