Keilschrift

Keilschrift

Keilschrift, eine Schriftart auf Denkmälern des alten Persischen Reiches, deren Charaktere blos aus zwei Elementen, Keil u. Winkelhaken, zusammengesetzt sind. Der Keil erscheint sowohl vertical mit der breiten Seite oben Keilschrift als auch horizontal mit der breiten Seite links Keilschrift der Winkelhaken hat die Spitze stets links u. in der Spitze stoßen die breiten Seiten zusammen Keilschrift Diese Zeichen werden zu einfacheren u. complicirteren Gruppen zusammengesetzt, in denen beide sowohl in ganzer, als auch in halber Größe erscheinen (z.B. Keilschrift Keilschrift etc.). Der Schrägkeil Keilschrift kommt als Theiler der Wörter von einander vor. Diese Zeichen finden sich theils eingedruckt auf Thoncylindern, Thonvasen u. Thonplatten, theils eingegraben auf Felsenwänden, Gräbern, Gebäuden, Obelisken, Statuen, Gemmen, Siegeln, Amuleten etc., namentlich an Hauptpunkten u. in den alten Hauptstädten des Persischen Reiches, so auf den Felsen von Behistun od. Bisutun (Bagistana) bei Kermanshah, an den Gräbern zu Naksch-i-Rustam, an den Ruinen der Paläste zu Persepolis, bei Merghab (Pasargadä), zu Susa, Babylon, Ninive (bes. bei Nimrud) Koyunjik, Khorsabad, auf Denkmälern am Fuß des Elw end bei Hamadan (Ekbatana), zu Wan in Armenien, einzeln auf Steinen am Wege zwischen Mosul u. Uramijeh, bei Sue etc. u. enthalten Genealogien von Königsdynastien, Erzählungen der Thaten der Könige (bes. des Darios Hystaspis), Aufzählungen der Theile des Reiches, Verzeichnisse von Leistungen der tributpflichtigen Völker, Nachrichten über Tempelbauten u. Tempelgeschenke, Dedicationen, ja sogar Anfzeichnungen grammatischer u. lexikalischer Art (wie die Thontafeln von Koyunjik). Die öffentlichen Monumente sind gemeiniglich dreisprachig, z.B. in Behistun, Naksch-i-Rustam etc., zum Verständniß der verschiedenen Stämme od. Hauptvölker des Reichs. Die Anwendung dieser Schrift, welche nach Oppert noch vor 2000 v. Chr. in Babylon eingeführt u. von da verbreitet wurde, reicht einzeln herab bis zur Zeit der Seleuciden.

In Europa wurde die K. erst im 17. Jahrh. bekannt, u. zwar, nachdem zuerst der Reisende Pietro della Valle im ersten Viertel dieses Jahrh. in seinem Viaggio einzelne Gruppen mitgetheilt hatte, wurden 1693 zwei Zeilen aus den Ruinen von Persepolis von Fr. Aston in den Philosophical Transactions aus den Papieren S. Flowers, Agenten der Ostindischen Compagnie in Persien, welcher dieselben dort 1667 copirt hatte, veröffentlicht; darnach wurden ganze Inschriften abgenommen von Le Brun, Niebuhr, Ker Porter, Rich, Schultz, Westergaard, Rawlinson, Botta, Layard, Loftus, Oppert etc., bes. seitdem die französische u. großbritannische Regierung u. die Assyrian Fund Society zu London an den genannten Fundorten dort Nachforschungen u. Nachgrabungen anstellen ließen. Die wissenschaftlichen Forschungen über die K-en begannen 1802 in Deutschland durch F. G. Grotefend (in einer in der Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen vorgelesenen, nicht gedruckten Abhandlung), welcher die Königsnamen Darios Hystaspis, Xerxes etc., sowie das Wort König entzifferte; fortgesetzt wurden sie von Rask u. St. Martin (1823) ohne wesentliche Förderung, dann mit mehr Glück von Burnouf u. Lassen (1836), vorzüglich seit 1845 von Holtzmann, Benfry, Löwenstern, Rawlinson, Oppert, Saulcy, Longperier, Luzzato, Hincks, Botta, Norris, Layard (s. unten). Lange hatten sich die Gelehrten vorzugsweise mit der einen Art der K., der Persischen, beschäftigt, da das Material zu den übrigen aus der großen Inschrift von Bisutun noch nicht vollständig vorhanden war, aber nachdem Rawlinson die Texte 1851 vollständig veröffentlicht hatte, wurden auch die medischen u. assyrischen Inschriften in den Kreis der Forschung gezogen. Es waren bes. drei Punkte, um welche sich diese drehte u. zum Theil noch dreht, nämlich die Verschiedenheit der Schriftgattungen an sich, dann die Geltung der Schriftzeichen u. endlich die Sprache, welche in ihnen dargestellt wird. Lange unterschied man nach Westergaard die K. in zwei Hauptarten u. theilte die letztere in drei Unterarten: A) Babylonische K., welche sich durch künstliche Form u. complicirtere Gruppen auszeichnet u. sich bes. auf Backsteinen, Cylindern, Platten, Gemmen etc. aus Babylon findet; B) Persepolitanische od. Achämenidische K., auf den Monumenten in Persepolis, Ekbatana, Susa, Wan etc.; getheilt in: a) Persische K. od. die erste Art, die einfachste, welche jetzt vollständig entziffert ist; b) Medische K. od. die zweite Art, u. c) Assyrische K. od. die dritte Art. Grotefend hielt die Medische Schrift für eine Abänderung der Assyrischen, die Assyrische für eine blose Vereinfachung der zusammengesetzten Babylonischen. Rawlinson theilte sie in drei Hauptarten u. die beiden ersten in je zwei Unterarten: A) Babylonische: a) Altbabylonische u. b) Achämenidische; B) Assyrische: a) Medoassyrische u. b) die auf den Denkmälern zu Khorsabad; C. Elymäische (in Susiana). Sodann galt die K. Anfangs, als man nur die erste Persepolitanische Art behandelte, als Buchstabenschrift; in neuester Zeit hat bes. durch Oppert die Vermuthung Platz gegriffen, daß sie theils Begriffs-, theils syllabarische, theils Lautschrift ist, u. selbst Grotefend hat sich zuletzt mit dieser Ansicht befreundet, nur daß er sie nicht aus Hieroglyphen, sondern aus ursprünglichen Zahlzeichen zu Wort- u. Lautschrift geworden sein läßt. Rücksichtlich der Sprache endlich, welche Anfangs allgemein für die altpersische galt (welche auch die der ersten Art der Persepolitanischen K. unzweifelhaft ist), ist in neuester Zeit, bes. seit dem Bekanntwerden aller Texte der Inschrift von Bisutun, ein Streit entstanden: nach Rawlinson sollte die Sprache der Assyrischen u. Babylonischen Schrift vorwaltend semitisch, die der Medischen aber scythisch, d.h. eine zum finnischtatarischen Stamme gehörige Sprache sein, welche die neben den seßhaften Stämmen treibenden Nomaden geredet hätten; worin ihm Norris u. Westergaard (welcher die Sprache turanisch nennt) beistimmten, wogegen Löwenstern die letztere semitisch u. Hincks arisch nannte, Holtzmann aber darin eine Mischsprache erkennen wollte, deren Wörter großentheils semitisch, deren Bildung u. Fügung aber arisch u. zwar persisch wäre; ähnlich Saulcy, welcher die Schrift für eine syllabarische, die Sprache aber für eine turanische, mit anderen Elementen gemischte hielt; nach Grotefend stimmte die Persische[417] u. Medische in der Sprache, die Medische u. Assyrische in den Schriftzügen überein. Das neueste System ist von Oppert; dieser unterscheidet nur zwei Arten, die Altpersische (Arische) u. die anderer Volksstämme (Anarische, letztere aber mit vielen Unterarten, s. unten). In der letzteren findet er, von der Assyrischen Schrift ausgehend, den Werth der Zeichen polyphonisch (verschiedenlautend), die Zeichen selbst sind einer ursprünglichen Hieroglyphenschrift entnommen; diese Schrift diente fünf Völkern u. deren Sprachen, die er Medoscythisch, Casdoscythisch, Susianisch, Al tarmenisch u. Assyrisch nennt. Da dieselben Sylbenzeichen denselben Sylbenwerth haben (die Könige von Wan u. Susa, welche in Khorsabad vorkommen, finden sich auf ihren eigenen Documenten ebenso geschrieben) u. dieselben Zeichen auch überall denselben Begriff ausdrücken, so mußten sie in den verschiedenen Sprachen auch verschieden ausgesprochen werden, z.B. das Zeichen für König, welches im Assyrischen sarru lautete, hörte sich im Medoscythischen sunkuk. im Casdoscythischen sakanak; das Wort für Vater in den drei Sprachen: abu, adda, ada etc. Die Schrift erfand Ein Volk, u. von demselben kam sie zu dem andern; das Bild wurde diesem letztern nicht allein als Begriff überliefert, sondern auch mit dem Laute, welcher in der ersten Sprache jenen ausdrückte, u. häufig drückte es noch einen subsidiären, aus dem Symbol abgeleiteten Begriff aus, z.B. das Zeichen für »Bruder« den für »beschützen,« die für »Gott« u. »Stern« den für »wachen.« Auch hieraus entwickelten sich Lautwerthe, u. außerdem bekam ein Zeichen noch einen ganz heterogenen Begriff, weil es einen Laut ausdrückte, welcher in der ersten Sprache auch diese Ideen vertrat. Das zweite Volk nahm die Begriffs-, aber auch die alten Sylbenwerthe an, mußte aber neue hinzuschaffen, um die Begriffe in seiner Sprache auszudrücken. Der Gebrauch dieser neuen Laute ist auch in der zweiten Sprache beschränkt als Sylbenwerth, die Hauptwerthe sind immer die alten Laute. Jenes erste Volk aber war ein alturalisches Volk, welches Asien u. Medien den Namen gab u. seine Sprache verwandt mit dem Medo- (Arier) u. Casdoscythischen (Turanier), ohne mit diesen, unter sich verschwisterten Idiomen identisch zu sein; das zweite Volk waren Semiten. Oppert unterscheidet also: A) Arische Schrift, die Altpersische, u. B) Anarische, u. theilt diese in: a) Hieroglyphen; b) Hieratische Schrift (wovon noch nichts od. nichts mehr bekannt ist); c) Altscythische (nicht vorhanden) u. Neuscyihische K.; d) Alt- u. Neususianische K.; e) Altarmenische (nicht vorhanden) u. Neuarmenische K.; f) Alt- u. Neuassyrische K.; gparanthesis Alt- u. Neubabylonische u. Babylonisch-demotische K. Auf jeden Fall ist durch Oppert das Studium der K. von seinen früheren Schwankungen befreit u. auf festere Grundlage gestellt worden, u. in culturhistorischer Hinsicht ist die auf seinem Gange der Entzifferung der K. gewonnene Einreihung eines scythischen, turanischen od. finnisch-tatarischen Urvolks in die älteste Geschichte von hoher Bedeutung. Zu den Sonderbarkeiten, welche bei der Beschäftigung mit den K-en zu Tage gefördert wurden, gehört u.a. die Meinung de Paravey's (Ninive et Babylon expliquées dans leurs écritures et leu rs monuments, Par. 1845–46), welcher das Anarische Urvolk zu weit östlich in den Chinesen fand, wogegen M. A. Stern (Die dritte Gattung der Achämenidischen Keilinschriften, Gött. 1850) die der Sprache der K-en verwandte in der Hebräischen u. Aramäischen suchte; mehr als sonderbar aber war der Einfall eines Franzosen (Lecture litt. des hiéroglyphes et des cunéiformes, Par. 1853), welcher die K. als eine abgebildete Daktylologie (Fingersprache), wobei die Keile die ausgestreckten, die Winkelhaken aber die eingebogenen Finger bezeichneten, die Sprache aber als die von Gott selbst erfundene Ursprache ansah, diese aber wäre die Griechische.

Vgl. G. F. Grotefend, in den Fundgruben des Orients, 1814 f., u. in Heerens Ideen, 1. Th. 2. Abth. 1815; Neue Beiträge zur Erläuterung der Persepolit. K., Hann. 1837; Neue Beiträge zur Erläuterung der Babylon K., ebd. 1840; Bemerkungen über die Inschrift eines Thongefäßes mit Babylon. K., Gött. 1848; Erläuterung der K-en babylonischer Backsteine, Hann. 1850; Die Tributarverzeichnisse des Obelisken aus Nimrud, Gött. 1852; Lassen, Die Altpersischen K-en von Persepolis, Bonn 1836; Burnouf, Mém. sur deux inscriptions cunéiformes, Par. 1836; Holtzmann, Beiträge zur Erklärung der Pers. Keilinschriften, 1845, u. nachher in der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft; Hincks On the three kinds of Persopolitan writing and on the Babylonian lapidary characters, Lond. 1846; On the third Persepol. writing, 1847; Report to the trustees of the British Museum resp. certain cylinders and tables with Cuneiform inscriptions, 1854; Rawlinson, The Persian Cuneiform inscriptions at Behistun with a memoir on Persian Cuneiform inscriptions in general, 1846 f., vollendet 1851, dazu Vocabular 1849; Commentary on the Cuneiform inscript. of Babylonia and Assyria, Lond. 1850; Memoir on the Babylonian and Assyrian inscriptions, 1851; Löwenstern, Exposé des éléments constitutifs du système de la 3. ecriture cunéiforme de Persé polis, Par. 1847; Benfey, Die Pers. K-en, Lpz. 1847; Oppert, Das Lautsystem des Altpersischen Berl. 1847; Mém. sur les inscriptions Aché ménides, Par. 1851 f., u. bes. im 10. Bd. der Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft; Fil. Luzzato, Sulla inscrizione cunéifo rme Persiana de Behistun, Mail. 1848; Le Sanscritisme de la langue Assyrienne, Pad. 1844; Etudes sur les inscriptions Assyr. de Persépolis, Hamadan, Van et Khorsabad, 1850; Botta, Mém. sur l'écriture cunéiforme Assyr., Par. 1848; de Saulcy, Recherches sur l'écriture cunéiforme Assyrienne, ebd. 1848; Rech. analyt. sur les inscriptions cunéif. du systéme Medique, 1849 f.; Traduction de l'inscription Assyr. de Behistoun, 1854; Layard, Inscriptions in the Cuneiform character from Assyrian monuments. Lond. 1851; Norris, Me moir on the Scythic version of the Behistun inscription, ebd. 1853. Zu den Erklärungsmitteln der K. kommen noch 100 Thontafeln, welche Layard in einem unterirdischen Zimmer zu Koyunjik fand, sie sind in der Mitte des 7 Jahrh. v. Chr. auf Befehl des Königs Sardanapal gefertigt, u. auf einigen werden, nach Oppert, complicirtere Zeichen der älteren K. durch neuere, gebräuchlichere bestimmt, ideographische Monogramme durch das Wort erklärt welches sie ausdrücken, Wörter der[418] fremden (Scythischen) Sprache durch assyrische od. assyrische Wörter durch Synonyme erklärt, Paradigmen von Verbalformen gegeben etc. Aber diese Tafeln sind nur fragmentarisch u. ihr Inhalt schwer verständlich.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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