Kirchenbuße

Kirchenbuße

Kirchenbuße (Poenitentia publica, gr. Hypoptosis) in der alten christlichen Kirche öffentlich zu vernichtende Bußwerke, welche nach, theils von Concilien, theils von Kirchenvätern herrührenden Bestimmungen groben u. öffentlichen Sündern auferlegt wurden. Sie hatten den Zweck, der göttlichen Gerechtigkeit Genüge zu leisten, gegebenes Ärgerniß aufzuheben u. den Sünder gründlich zu bessern. Der Büßende war während der Bußzeit aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen u. wurde erst nach Erstehung der Strafe wieder aufgenommen. Die Geschichte dieser Bußdisciplin hat verschiedene Penoden In der frühesten Zeit herrschte die größte Strenge, u. wurden Rückfällige nicht zum zweiten Male zur Buße zugelassen. Die Bestimmung der Bußwerke war dem Bischöfe überlassen. Dieser schloß den Sünder aus der Kirchengemeinschaft aus u. nahm ihn auch nach überstandener Bußzeit in der Messe unter Handauflegung u. Gebet wieder auf Im 3. Jahrh wurde das Buhwesen vollständig ausgebildet u. geordnet. Durch die diocletianische Verfolgung waren Viele, ihrem Glauben, wenn auch nur aus Furcht, untreu geworden, sie hießen Lapsi u. wurden nach der Art, wie sie sich der Verfolgung entzogen, in Libellatici, Sacrificati u. Traditores (s.d. a.) eingetheilt. Auch diese wurden später wieder in den Schooß der Kirche aufgenommen, mußten aber vorher sich der K. unterwerfen u. zu dem Zwecke 4 Grade, Stationen od. Klassen durchmachen, wie auch alle Andere, die durch schwere Vergehen Ärgerniß gegeben hatten. Die erste Klasse bildeten die Weinenden (Flentes, Hiemantes), sie mußten vor den Thüren u. in den Vorhallen der Kirchen im Trauergewande, weinend und auf der Erde liegend, die Eingehenden um Wiederaufnahme aussehen. Die zweite Klasse: Zuhörende (Audientes), durften in der innern Vorhalle die biblischen Vorlesungen u. die Predigt mit anhören, mußten sich aber beim Beginn der Gebete entfernen; die Dauer dieser Bußzeit war gewöhnlich 3 Jahre. Die dritte Klasse: Fußfällige (Knieende, Genuflectentes, Substrati), durften dem ganzen Gottesdienst, mit Ausnahme der Abendmahlsfeier, beiwohnen, mußten aber beim Gebet u. bum Segen knieen; diese Bußzeit dauerte länger, nach den Bestimmungen des Nikänischen Concils 7 Jahre, öfter die ganze Lebenszeit. Die vierte Klasse: Stehende (Consistentes,), durften stehend dem ganzen Gottesdienste beiwohnen, gewöhnlich 2 Jahre lang. Doch war die K, in allen 4 Klasser je nach der Größe des Verbrechens, welche dir Ausschließung bewirkt hatte, verschieden. Nährend dieser ganzen Bußzeit mußten die Büßenden in einen Sack gekleidet erscheinen, die Haare abschneiden od. die Weiber statt dessen einen Büßschleier tragen, fasten, sich aller öffentlichen Geschäfte, des Badens u. aller Vergnügungen enthalten. Nach Beendigung der Bußzeit in der vierten Klasse u. Ablegung eines öffentlichen Sündenbekenntnisses (Exomologesis), mit der Bitte, um Aussöhnung mit der geärgerten Kirche, wurden die Büßenden in derselben Kirche, von der sie ausgeschlossen worden waren, von dem Bischof durch Ertheilung der Absolution wieder aufgenommen. Es geschah gewöhnlich in der Charwoche. Die Dauer der K. konnte durch den Bischof abgekürzt werden, z.B. bei Zeichen bes. aufrichtiger Reue u. bei Todesgefahr, seit der decianischen Verfolgung aber wurde durch Libelli pacis (s.d.) der Märtyrer u. Confessoren dabei Nachgiebigkeit geübt. Von der ursprünglichen Strenge der alten Bußdisciplin wurde allmälig im Laufe der Zeit abgelassen. in der Orientalischen Kirche schon im 4., in der Occidentalischen sehr bedeutend im 8. Jahrh. Die Grade sielen nach u. nach weg u. die öffentliche K. verwandelte sich mehr u. mehr in die geheime von den Beichtvätern auferlegte, die jedoch immer noch strenge blieb. Im 13. Jahrh. verschwand die K. bis auf wenige Ausnahmen ganz, dagegen machte sich die in der Römischkatholischen Kirche noch heute bestehende [504] Praxis geltend, in der geheimen Buchte eine im Verhältniß zur Schwere der Sünden stehende Buße im Gebet, Fasten, Almosengeben u. s. w. aufzuerlegen. Die canonischen Strafen, wie sie in der ältesten Zeit für die einzelnen Verbrechen bestimmt waren, finden sich gesammelt in den sog. Pönitentialbüchern von Theodor v. Canterbury, Beda u.A. Noch einfacher wird sie zugleich mit dem dann u. der Excommunication in der Griechischen Kirche geübt. Von der älteren Lutherischen Kirche wurde zwar die Ansicht der Katholischen Kirche von der Buße verworfen, aber die katholische Bußzucht beibehalten u. bes. gegen fleischliche Verbrecher geübt. Ihr Vergehen wurde öffentlich beim Gottesdienst vom geistlichen der Gemeinde verkündigt, während sie am Altare knieten, dann mußten sie noch einmal ein öffentliches Sündenbekenntniß ablegen, empfingen die Absolution u. nahmen nun mit den übrigen Communicanten, doch gewöhnlich zuletzt, am Abendmahl Theil. Jetzt ist die K in der Lutherischen u. überhaupt in den Protestantischen Kirchen Deutschlands fast ganz abgeschabt, doch suchte die streng kirchliche Partei ihre Wiedereinführung zu beordern (Archenzucht). In Schweden besteht die K. noch in ausgebildeter Form. Weit strenger wurde die K. in der Reformirten Kirche gehandhabt, bes. in der Schweiz, in Frankreich u. in Holland durch den Einfluß Calvins, u. namentlich in der Presbyterialkirche Schottlands durch Knox. Man ahmte dabei ganz da L christliche Werthum nach. In neuerer Zeit hat aber auch hier die kirchliche Strenge sehr nachgelassen u. ebenso in der Anglicanischen Kirche, die früher die K. mit großem Ernste handhabte. In der strengstes, Form besieht die K. noch immer bei den Böhmischen Brüdern Herrnhutern, Mennoniten, Quäkern u. einiger, neuen Secten in Amerika. Vgl. Jos. Marini, De disciplina in administratione poenitentiae XIII primis saeculis in eccles. observata, Par 1651, Ven. 1702. Fol.; Deutschmann, De antiquis ritibus publ. poenitentium, Wittenberg 1695; Jak. Hottinger, De poenitentia. primitivae nec non roman ecclesiae, Zürich 1706; Bodin, De abusu poenitentiae eccles., Halle 1726; Wildvogel, De deprecatione publica eccles., ebd. 2. A. 1757.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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