- Kälte
Kälte, 1) (Phys.), eine der Wärme entgegengesetzte Wahrnehmung eigner Art, welche in den höheren Graden belästigt u. selbst als entzündlicher Reiz wirken kann. Man nahm früherhin wie einen Wärmestoff, so auch einen Kältestoff an, der jedoch, da alle Kälteerscheinungen von Entweichung des Wärmestoffs sich ableiten lassen, nicht nöthig ist. Da man aber für das eigene Wohlbefinden einen gewissen Wärmegrad des Körpers bedarf, so nennt man alle materielle Stoffe kalt, welche dem Körper, wenn sie mit demselben in Berührung kommen, einen Theil der ihm erforderlichen Wärme entziehen. Übergang zur K. macht dann die Kühle, die aber als Ableiterin lästiger Wärme erfrischend ist u. nur in dem Maße, als sie anfängt belästigend zu werden, zur K. wird. Strenger genommen ist aber K. nur eine, bis zu dem Grad gesteigerte Wärmeberaubung, bei welcher das Wasser erstarrt (vgl. Eis), also Frostkälte, Verminderung der Wärme unter dem Gefrierpunkt des Thermometers. Durch dieses werden dann die Grade der steigenden K. (verminderte Wärme vom Gefrierpunkt abwärts) bestimmt, indem man auf jedem Thermometer die Grade in der gleichen Größe aufträgt, wie diejenigen zwischen dem Gefrierpunkt (Nullpunkt) u. Siedepunkt. Die Winterkälte steigt in gemäßigten Klimaten selten über 25° R., nur in den, den. Polarkreis nahe liegenden Gegenden, wie im nördlichen Rußland, über 30°; für noch größere Kältegrade in den Polargegenden wird aber das Quecksilberthermometer unzuverlässig, weil das Quecksilber von da an erstarrt, man bedient sich zur Messung derselben des Weingeistthermometers. Die Nachrichten über die größte beobachtete Kälte gab Kane (s.d.) von seiner Nordpolexpedition. Er beobachtete eine Kälte bis 80° Fahrenheit unter 0, d.i. –49, 7° R. Die K. wird nicht bloß durch Übergang der fühlbaren Wärme an andere Körper an dem Körper, dem solche entzogen wurde, bewirkt, sondern auch unter Naturvorgängen, bei welchen Wärme gebunden wird, wenn Wasser zu Dunst wird. Jedes Verdunsten bewirkt daher K., was an der Haut fühlbar wird, wenn man diese nach vorheriger Benetzung (wie beim Austritt aus einem Bade) der Luft aussetzt. Hierdurch, bes. aber durch Verdunsten von Äther u. noch mehr von flüssiger Kohlensäure, wegen der Schnelligkeit, womit dieses geschieht, als auch durch Vermischung mancherlei Stoffe, kann man künstliche K. bewirken, die leicht auch in einer warmen Luft ihr ausgesetzte wässerige Flüssigkeiten zu Eiserstarrung bringt. Solche Mischungen sind Eis od. Schnee mit Salpeter, mit Kochsalz u. Salmiak, od. Schnee von einigen Grad Kälte mit rauchender Salpeter- od. Schwefelsäure. Auch flüssiges Wasser gemischt mit gewissen Salzen bewirkt K. (Kältemischungen). Am meisten wird hierbei eine Mischung von 5 Theilen Salmiak, 5 Theilen Salpeter u. 19 Theilen Wasser empfohlen, wodurch eine Temperaturerniedrigung von + 10° bis auf –12° erzeugt werden kann. Eine Temperatur von –20° erhält man durch eine Mischung von 57 Theilen Chlorkalium, 32 Theilen Salmiak, 10 Theilen Kalisalpeter u. 40 Theilen Wasser; od. gleiche Theile salpetersaures Ammoniak, Soda u. Wasser. Diese Mischungen dienen, theils zu kühlenden Getränken (mit Salpeter, Kühlpulver u. dgl.) benutzt, theils zu kühlenden Umschlägen, so die Schmuckerschen Umschläge von Salpeter u. Salmiak od. Kochsalz. Man wendet auch K. zu Heilzwecken an (Kältekuren) Die Wirkung der Kälte auf den lebenden Organismus ist theils rein physikalisch, zusammenziehend u. verdichtend, theils chemisch, die Oxydations-, die Umsetzungs- u. Zersetzungsprocesse aufhaltend; theils ist sie aber auch functionell, indem sie anfänglich die Thätigkeit herabstimmt (selbst lähmt), nachträglich aber erregt u. so den Stoffwechsel vermehrt. Die Heilzwecke bei den K. sind ebenso verschieden bei Blutungen, z.B. um die Adern zusammenzuziehen, bei Fieber, Schmerz u. Krampf die Nerventhätigkeit herabzustauen, in anderen Fällen wieder durch überraschende Einwirkung, z.B. bei Erstickungsgefahr, die Nerven zu erregen; ferner um Wärme zu erzeugen (naßkalte Einwickelungen) u. zur Abhärtung des Körpers. Zu den Kältekuren gehören die Kaltwasser-, Eis- u. Schneekuren; 2) (Psych.), K. des Gefühls, Mangel an Regsamkeit u. Kraft des Gefühls, bes. in Hinsicht auf die Theilnahme an dem Schicksale anderer Personen.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.