- Roland
Roland (französirt aus altdeutsch Hruodland, ital. Orlando), in dem mittelalterlichen Sagenkreise von Karl dem Großen u. seinen Paladinen die hervorragendste Persönlichkeit, deren historische Existenz jedoch sehr zweifelhaft ist. Ein Hruodlantes Brittanici limitis praefectus, wird nur an einer einzigen Stelle von Eginhard erwähnt, als einer der Ritter, welche in der Schlacht bei Roncevaux (778) den Tod fanden; doch ist es möglich, daß diese Notiz erst später aus der Sage in den Text der Vita Caroli des Eginhard (in mehrern Handschriften steht sie gar nicht) gekommen ist. Nach der Sage nun war R. ein starker, tapferer u. frommer Held, der Sohn von Karls des Großen Schwester Bertha u. Milons von Anglant u. somit der Neffe seines Fürsten. Die berühmteste unter den verschiedenen Sagen ist die, welche den Inhalt des vorzugsweise sogenannten Rolandsliedes bildet u. von seinem Tode handelt. Nach demselben will Karl der Große einen Feldzug gegen die Sarazenen (Mohren) in Spanien unternehmen, doch sendet der König der Letztern, Marsilie, Boten an Karl, welche Unterwerfung u. Annahme des Christenthums anbieten. Um sie zu prüfen, sendet Karl den Ganelon hin, er selbst zieht sich nach der zum Schein geschehenen Unterwerfung der Sarazenen zurück u. läßt auf den Rath des verrätherischen Ganelon den R. als Hüter Spaniens zurück. Ganelon verräth das christliche Heer an die Sarazenen, welche dasselbe mit ungeheurer Übermacht im Pyrenäenthale Roncesvalles (Roneevaux) angreifen. Nach langem, furchtbarem Kampfe fällt R. mit Olivier, dem Erzbischof Turpin ü. a. Franken. Noch vor seinem Tode suchte R. sein herrliches Schwert Duranda od. Durendarte (mit welchem er einen Marmorstein durchhieb, ohne daß es schartig wurde, u. mit welchem er die Rolandsbresche in die Pyrenäen schlug), damit es nicht in die Hände der Feinde komme, vergeblich zu zerbrechen u. ließ den Hülferuf auf seinem Horn Olifant ertönen, welcher, jedoch zu spät, bis zu Karls Ohren drang. Karl kommt, besiegt die heidnischen Könige Marsilie u. Paligan, beklagt R. u. bestraft Gauelon. Wenn es auch dahingestellt bleiben muß, ob u. wie viel der Sage Historisches zu Grunde liegt, so ist doch sicher, daß Lieder von den Heldenthaten R-s schon frühzeitig gesungen wurden, zuerst in Fränkischer, dann nach deren Erlöschen in Nordfranzösischer, wie auch in Provençalischer Sprache. Ein solches volksmäßiges nordfranzösisches Lied von R. wurde vor Beginn der Schlacht bei Hastings 1066 von Taillefer vor Wilhelms des Eroberers normannischem Heere gesungen. Auf dergleichen Poesien beruht einestheils die Erzählung in Turpins Chronik (um 1095), anderentheils bildete sich aus derselben (nicht aus Turpin) um die Mitte des 12. Jahrh., gemäß der poetischen Richtung der Zeit, ein zusammenhängendes französisches Volksepos, der Roman (od. Chanson de geste) von R., od. von Roncevaux. Von den mehrfachen Bearbeitungen desselben wurde die älteste bekannte, welche bis in das 12. Jahrh. zurückweicht, von Michel (Le chanson de R. ou de Roncevaux Par. 1837) herausgegeben; eine deutsche Übersetzung desselben von Hettz, Stuttg. 1861. Letzterem französischen Gedicht sehr nahe steht (ohne jedoch dasselbe benutzt zu haben) das deutsche Epos des Pfaffen Konrad, welcher als Caplan im Dienste Heinrichs des Löwen eine solche französische Ritterdichtung erst in das Lateinische übersetzte u.[237] dann in einem Gedicht zwischen 1173- 77 deutsch bearbeitete (herausgegeben von W. Grimm, Gött. 1838). Eine neuere Bearbeitung des Stoffes lieferte in der ersten Hälfte des 13. Jahrh. der Stricker (gedruckt im 2. Bd. von Schilters Thesaurus). Außerdem sind ein lateinisches Gedicht u. ein nur in Bruchstücken vorhandenes altenglisches Gedicht (beide bei Michel abgedruckt) aus einer solchen französischen Bearbeitung geflossen; ebenso eine isländische, aus welcher wiederum die Krönicke om Keyser Karl Magnus von Christern Petersen (um 1500) hervorging, sowie eine altniederländische, von welcher sich Bruchstücke in einer späteren prosaischen Auflösung (gedruckt 1576) erhalten haben. Das altitalienische Gedicht La Spagna von Sostegno di Zanobi, welches den alten strengen Charakter der Sage noch treu bewahrt, lehnt sich ebenfalls an eine altfranzösische od. provençalische Dichtung. Bei den Basken, bei welchen R. noch in Liedern u. Sagen lebt, sowie bei den Castilianern, welche sich dieselben zueigneten, aber den Stoff mit Anderem vermischten, scheinen sich die Sagen von R-s Untergang selbständig erhalten zu haben. Castilianische Romanzen, welche R. berühren, gibt Ducan im Romancero (Bd. 1, Madr. 1832). In eigenthümlicher Weise behandelten den Stoff die großen, mehr od. weniger wirklich erfundenen od. ausgeschmückten italienischen Heldengedichte des 15. u. 16. Jahrh., wie Luigi Pulcis Morgante maggiore, Boyardos Orlando inammorato u. der berühmteste unter allen Ariost's Orlando furioso. Vgl. Schmidt, Über die italienischen Heldengedichte aus dem Sagenkreise Karls des Großen (Berl. 1820).
Pierer's Lexicon. 1857–1865.