- Sprüchwörter
Sprüchwörter (Sprichwörter, gr. Παροιμίαι, lat. Proverbia, Adagia), sind Sätze, welche in kurzer, treffender u. sinnlich anschaulicher Weise eine Erfahrung des praktischen Lebens od. eine Regel der Klugheit od. des sittlichen Verhaltens ausdrücken u. wegen ihrer Faßlichkeit in die Denk- u. Redeweise des Volks übergegangen sind. Durch die sinnliche, oft durch den Reim unterstützte Anschaulichkeit unterscheiden sie sich von dem Denk od. Sinnspruch (Sentenz, Gnome, s.d.), welcher für den in ihr enthaltenen Gedanken zwar auch einen kurzen u. treffenden, aber mehr abstracten Ausdruck benutzt. In den S-n gibt sich die Lebenserfahrung u. Lebensweisheit eines Volkes zu erkennen; indem sie oft an einzelne Ereignisse u. concrete Verhältnisse, häufig in der Form eines ausdrücklich ausgesprochenen od. stillschweigend vorausgesetzten Gleichnisses anknüpfen, sind sie zugleich in culturhistorischer Beziehung merkwürdig u. lehrreich. Obwohl jedes Volk seine eigenen S. hat, so sind doch manche von ihnen unter verschiedenen Formen räumlich u. zeitlich über weite Strecken verbreitet. Je näher ein Volk einer naiven Auffassung der Lebensverhältnisse steht, desto mehr liebt es seine Lebensweisheit in die Form der S. zu kleiden, wie denn auch der Gebrauch der S. bei der großen Masse des Volkes oft die Stelle des reflectirenden Urtheils vertritt. Zwei Sammlungen von S-n der Hebräer sind die Sprüche Salomonis u. des Jesus Sirach (s. b.). Zahlreiche S. hatten die Griechen, Sammlungen derselben veranstalteten die Grammatiker Zenobios, Diogenianos, Apostolios, Arsenios, Gregorios Kyprios, welche von Gaisford (Paroemiographi graeci, Oxf. 1836) u. von Leutsch u. Schneidewin (Corpus paroemiographorum graecorum, Gött. 1839–51, 2 Thle.) herausgeg. worden sind. S. der Römer finden sich viele in den Komödien u. den Satiren. Eine reiche Sammlung griechischer u. lateinischer S. enthalten auch die Adagia des Erasmus von Rotterdam (zuerst 1500 u. ö). Vgl. Serz, Handbuch der griechischen u. lateinischen S., Nürnb. 1792; Zell, Über die griechischen u. römischen S. in dessen Ferienschriften; Goßmann, Lateinische S. in alphabetischer Ordnung, Berlin 1814. Auch die Germanen haben einen reichen Schatz von S-n; die der Völker des skandinavischen Astes sammelte Jonsson (Safn af islenzkum orđskviđum, 1830); Olaf Gunnlagson (Samling af islandske ordsprog), Rhodin (Samling af svenska ordspråk, 1807); Molbech (Danske ordsprog etc., Kopenh. 1850); Sammlungen deutscher S. sind seit dem 16. Jahrh. sehr viele erschienen, z.B. von H. Bebel, 1508 u.ö.; von Ant. Tunnicius (1514 u. 1539), Joh. Agricola (1528 u.ö.), Seb. Frank (1541), Euch. Eyering (1601–1603, 3 Thle.), Petri, Tapp, Groß, Buchler, Zinkgref (1624 u.ö.), Ch. Lehmann (Politischer Blumengarten, 1630 u.ö.), P. Winkler (Gute Gedanken, 1685), Körte (1837, 2. A. 1861), Eiselein (1840), Simrock (1846), Wander (Deutsches Sprüchwörterlexikon, Lpz. 1863 ff.); Sammlungen von mundartlichen Sprüchwörtern gaben heraus: Wöste, Eichwald, Stöber u. Kurtze, einzelne Sprüchwörtergruppen: Schulze (die biblischen Sprüchwörter), Tendlau (die jüdisch-deutschen Sprüchwörter), Hillebrand (die Rechtssprüchwörter); vgl. Zacher, Die deutschen S., Lpz. 1852. Die ziemlich reiche Literatur der S. verschiedener Nationen (s.d. unter den einzelnen Nationalliteraturen) haben zusammengestellt Nopitsch, Literatur der S., Nürnb. 1822, 1833; Duplessis, Bibliographie parémiologique, Par. 1847; vgl. Becker, Das Sprüchwort in nationaler Bedeutung, Wittenb. 1851.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.