- Zeugung
Zeugung (Generatio), der Inbegriff der Vorgänge, durch welche neue organische Einzelwesen gebildet werden. Erfolgt die Z. so, daß gewisse Bestandtheile eines organischen Wesens zu neuen Individuen auswachsen, so heißt dies Fortpflanzung (Propagatio); erfolgt sie aber durch Zusammentreten bisher unorganisirter Stoffe, so heißt sie Urzeugung (Generatio aequivoca, G. spontanea). Ob letztere Art der Z. wirklich vorkommt, ist höchst zweifelhaft. Nachdem man in früheren Zeiten sogar Aale, Frösche etc., später wenigstens die Eingeweidewürmer auf diese Weise entstanden glaubte, wird gegenwärtig[593] nur noch darüber gestritten, so gewisse Infusorien durch Urzeugung entstehen können. Da aber neuerdings das Vorkommen zahlreicher Keime u. Eier von Infusorien in der Luft mikroskopisch nachgewiesen ist; da es ferner jetzt ziemlich fest steht, daß die Zellen (s.d.), aus welchen der Thier- u. Pflanzenleib sich wie aus kleinen Bausteinen aufbaut, nie aus ungeformter organischer Masse, sondern nur durch Theilung älterer Zellen od. in deren Innerem entstehen, so hat auch die Urzeugung der Infusorien nur noch wenige Vertheidiger. Die Z. durch Fortpflanzung ist entweder eine geschlechtliche od. eine ungeschlechtliche. A) Die ungeschlechtliche Fortpflanzung erfolgt entweder dadurch, daß sich ein großer Theil od. eine Hälfte eines Individuums vom übrigen Theile desselben ablöst, u. heißt dann Fortpflanzung durch Theilung; od. es lösen sich nur kleine Keime von dem Mutterwesen ab, um heranzuwachsen, u. dann heißt die Z. Fortpflanzung durch Keime od. Sporen; od. endlich es sprossen an einer od. mehren Stellen eines Individuums neue Wesen hervor, u. die Z. heißt dann Fortpflanzung durch Knospung. a) Fortpflanzung durch Theilung findet sich vorzugsweise bei Infusorien, doch auch bei Polypen u. Würmern. Die Theilung erfolgt entweder als Längs- od. als Quertheilung; so theilen sich z.B. gewisse Ringelwürmer an einer Stelle ihres lang gestreckten Körpers, indem zuerst aus dem vordern Ende des Hinterstücks ein neuer Kopf, aus dem Hinterende ein neuer Schwanz hervorsproßt u. sich schließlich beide Theile von einander lösen; einige Polypen u. andere niedere Thiere kann man auch künstlich durch Theilung fortpflanzen, denn wenn man sie zerschneidet, wächst jedes Stück zu einem neuen vollständigen Wesen heran. b) Fortpflanzung durch Keime od. Sporen hat viel Ähnliches mit der geschlechtlichen Fortpflanzung durch Eier, nur daß die Keime u. Sporen nicht wie die Eizellen der Befruchtung bedürfen, um sich zu entwickeln. Diese Art der Z. findet sich im Pflanzenreiche bei den Algen, Flechten u. Pilzen, im Thierreich bei gewissen niederen Würmern u. Infusorien, auch bei Blattläusen. An die Fortpflanzung durch Keime schließt sich die Fortpflanzung durch unbefruchtete Eier eng an, s. unten. c) Fortpflanzung durch Knospung ist bei Weitem die gewöhnlichste Art der ungeschlechtlichen Z. Meist bleiben hierbei die durch Knospung erzeugten neuen Individuen unter einander im Zusammenhang u. stellen dann das dar, was man im Thierreich einen Thierstock, im Pflanzenreiche schlechthin eine Pflanze nennt. So giebt es Polypenstöcke, welche aus zahlreichen unter einander zusammenhängenden Einzelpolypen bestehen u. von gemeinschaftlichen Kanälen durchzogen sind, in denen die Nahrungsstoffe circuliren. Bei solchen Thierstöcken od. Thiercolonien kommt es vor, daß die einzelnen Individuen verschieden entwickelt sind u. verschiedene Leistungen zum Zwecke der Gesammterhaltung des Thierstockes übernehmen, d.h. einzelne besorgen die Fortbewegung des ganzen Thierstockes, andere den Fang u. die Verdauung der nöthigen Nahrung, noch andere die Erzeugung neuer Individuen. Einem solchen Thierstocke läßt sich auch die höhere Pflanze vergleichen, sofern einzelne Abschnitte derselben die Ernährung, andere die Fortpflanzung besorgen. Ein weiteres Beispiel eines Thierstockes ist der Bandwurm, dessen sogenannte Glieder wirkliche, aus dem sogenannten Kopfe des Bandwurmes hervorgeknospte Einzelthiere sind. Erst wenn eine solche Kette von Individuen schon sehr lang geworden ist, lösen sich die hintersten reifsten Glieder ab, werden selbständig u. gehen mit dem Stuhle ab. B) Bei der geschlechtlichen Fortpflanzung werden ebenfalls Keime gebildet, welche insbesondere Eier heißen u. im Wesentlichen nur aus einer Zelle bestehen. Aber diese Eier bedürfen der Befruchtung, wenn sie sich entwickeln sollen, u. diese Befruchtung wird vermittelt durch kleine, geformte Elemente, welche in der Samenflüssigkeit schwimmen, meist sehr beweglich sind u. Samenfäden od. Samenkörperchen (Zoospermien) heißen. Wegen ihrer Beweglichkeit wurden sie früher für Thierchen gehalten. Eier u. Samenkörperchen entstehen entweder in verschiedenen Individuen, den weiblichen u. männlichen, od. in einem u. demselben Individuum, welches dann als hermaphroditisch bezeichnet wird. Die meisten Pflanzen sind hermaphroditisch; in einer u. derselben Blüthe entstehen die Eier (im Pistill) u. die Samenkörperchen, welche hier Pollen heißen (in den Staubfäden). Unter den Thieren sind z.B. zahlreiche Schnecken, ferner die Austern, Regenwürmer, Blutegel, Bandwürmer etc. Hermaphroditen. Entweder befruchtet der Same die Eier desselben Individuums od. gelangt zu den Eiern anderer Individuen. So können Insecten od. der Wind die Pollines von einer Pflanze zur andern tragen; so befruchten sich die Regenwürmer u. Schnecken gegenseitig etc. Diejenigen Pflanzen, welche theils weiblich, theils männlich sind, heißen monöcische; es gibt deren verhältnißmäßig wenige, u. sie können sich nur dann befruchten, wenn der Wind od. Insecten die Übertragung des Pollens der männlichen Pflanze zum Pistill der weiblichen vermitteln. Bei den Thieren ist dagegen die Theilung in zwei Geschlechter das Gewöhnliche u. der Hermaphroditismus die Ausnahme. Der Same wird entweder bei der Begattung in die weiblichen Geschlechtstheile ergossen, od. die Eier werden (wie bei Fischen) von den Männchen erst dann befruchtet, wenn sie das Weibchen schon gelegt hat od. während es dieselben entleert (bei Fröschen). Die befruchteten Eier entwickeln sich dann entweder außerhalb des Mutterthiers (z.B. bei Fischen, Amphibien, Vögeln), od. werden bis zu einer gewissen Stufe der Entwickelung im Mutterleibe gehalten u. ernährt (z.B. bei Säugethieren). Auch nachdem sie die Leibeshöhle der Mutter verlassen haben, sind die Eier od. Jungen bei vielen Thieren noch auf den Schutz u. die Ernährung seitens des mütterlichen od. auch des väterlichen Thieres angewiesen. Die sehr verschiedenen Einrichtungen, welche bei verschiedenen Thieren zu diesem Zwecke getroffen sind, faßt man unter dem Namen der Brutpflege zusammen (Säugung, Brütung etc.). Der wesentlichste Vorgang der Befruchtung ist das Eindringen der Samenkörperchen in das Ei. Bei den Pflanzen wächst z.B. der auf das Pistill gelangte Pollen aus u. bis in das Ei hinein; bei den Thieren drängen sich die beweglichen Samenkörperchen ebenfalls in die Substanz der Eizelle ein, zu welchem Zwecke die Hüllen des Eies meist besondere Öffnungen, die Mikropyle, haben, welche sich sowohl bei Thieren als bei Pflanzen findet. Kurz es kommt darauf an, daß die Samenkörperchen, welche die eigentlichen Träger des Befruchtungsstoffes sind, in unmittelbare [594] Berührung mit dem Eistoffe kommen, wahrscheinlich zum Zwecke der Vermischung beider Stoffe. Die Vogeleier sind nicht Eier im physiologischen Sinne des Wortes, sondern Kapseln, in welchen außer dem schon befruchteten eigentlichen Eie noch andere Stoffe zur ersten Ernährung des neuen Wesens enthalten sind. Es ist neuerdings entdeckt worden, daß bei gewissen Thieren sich Eier auch ohne Befruchtung entwickeln können, so z.B. bei gewissen Schmetterlingen u. bei den Bienen. Die Drohnen unter den Bienen entstehen aus solchen unbefruchteten Eiern. Man nennt das Entstehen von Thieren aus unbefruchteten Eiern Parthenogenesis, d.h. jungfräuliche Z. Es kommt bei vielen niedern Thieren vor, daß bei einer u. derselben Art sich sowohl geschlechtliche als ungeschlechtliche Z. findet; ja es scheint sogar zweifelhaft, ob es überhaupt organische Wesen gibt, welche sich nie geschlechtlich fortpflanzen. So können sich z.B. gewisse Würmer sowohl durch Theilung als auch geschlechtlich vermehren. Sehr oft sind die aus Eiern en twickelten Jungen den Alten mehr od. weniger unähnlich, z.B. die Froschquappen den alten Fröschen od. die Raupen den Schmetterlingen. Solche andersgeformte Junge nennt man Larven. Dieselben werden später durch Verwandlung (Metamorphose) den Mutterthieren wieder ähnlich. Nun zeigt sich aber bei noch anderen Thieren das eigenthümliche Verhältniß, daß die den Alten unähnlichen Jungen nicht wieder zur Form ihrer Eltern durch Verwandlung zurückkehren, sondern durch ungeschlechtliche Fortpflanzung Junge erzeugen, welche ihrerseits jenen Eltern ganz ähnlich werden, während das anders geformte Thier, welches sie ungeschlechtlich erzeugte, ohne weitere Verwandlung zu Grunde geht. Hier wechseln also Thiere, welche sich geschlechtlich vermehren, mit solchen ab, welche sich ungeschlechtlich fortpflanzen, u. beide zeigen oft ganz verschiedene Formen, d.h. die geschlechtlich aus Eiern erzeugte Brut wächst zu Thieren heran, die den Eltern unähnlich sind u. als Ammen bezeichnet werden; die Ammen ihrerseits erzeugen ungeschlechtlich, u. zwar meist durch Knospung Junge, welche zwar ihnen selbst unähnlich, aber ihren Großeltern ähnlich sind u. später auch wie diese auf geschlechtlichem Wege wieder Ammen erzeugen. Bisweilen folgen in dieser Weise auf eine geschlechtliche Generation mehre ungeschlechtliche Ammengenerationen, bis endlich die letzte Generation wieder eine zu Geschlechtsthieren heranwachsende Brut erzeugt. Man nennt diese Art der Z., bei welcher geschlechtliche Generationen mit ungeschlechtlichen wechseln, Generationswechsel. Ein solcher Generationswechsel ist der der Bandwürmer. Die einzelnen Bandwurmglieder sind die geschlechtlich entwickelten, übrigens hermaphroditischen Individuen; aus ihren Eiern entstehen die sogenannten Finnen (z.B. der Schweine), u. diese entwickeln, wenn sie z.B. in den menschlichen Darm gelangen, durch Knospung eine Kette neuer geschlechtlicher Individuen, d.h. einen Bandwurm. Die Finnen stellen also hier die Ammengeneration dar. Die menschliche Z. gleicht der der höheren Thiere. Die Samenkörperchen gelangen mit der Samenflüssigkeit bei der Begattung in die weibliche Gebärmutter u. werden von da in Folge von Bewegungen der Gebärmutter u. der in dieselbe einmündenden Fallopi'schen Röhren durch letztere hindurch bis zu den Eierstöcken vorwärts getrieben. Entweder erst hier od. schon auf ihrem Wege durch jene Röhren treffen sie auf das Ei, welches den Eierstock verlassen hat, u. befruchten dasselbe. Wahrscheinlich verläßt nur bei jeder Menstruation ein Ei (od. mehre zugleich) den Eierstock, welcher übrigens doppelt vorhanden ist. Das Ei behält wahrscheinlich mehre Wochen seine Befruchtungsfähigkeit, sowie der Same ebenso lange sein Befruchtungsvermögen, daher beim Menschen zu jeder Zeit die Begattung eine fruchtbare sein kann. Bei Thieren verlassen nur während der Brunst die Eier die Eierstöcke, u. eine fruchtbare Begattung ist daher nur zu ganz bestimmten Zeiten möglich. Das befruchtete Ei entwickelt sich in der Gebärmutter bis zur reisen Frucht, welche sodann bei der Geburt ausgestoßen wird. Welche Verhältnisse das Geschlecht der Frucht bestimmen, ist noch nicht bekannt; nur soviel steht ziemlich fest, daß, wenn der Vater älter ist, im Allgemeinen mehr Knaben, wenn die Mutter älter ist, mehr Mädchen geboren werden.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.