- Fleischliche Verbrechen
Fleischliche Verbrechen (Fleisches- od. Unzuchtsverbrechen, Delicta carnis), die Verbrechen, welche durch eine strafbare Befriedigung des Geschlechtstriebes begangen werden. Im Allgemeinen läßt sich annehmen, daß dergleichen Unthaten, insofern sie nicht mit Verletzung einer fremden Persönlichkeit (Gewalt) od. unter Verletzung sonstiger Pflichten (wie beim Ehebruch) verbunden sind, ihrer Natur nach nicht dem Gebiete des Strafrechts angehören, sondern nur als Verletzungen der Sittlichkeit zu betrachten sind u. als solche ihre Ahndung vor dem Richterstuhle des Sittengesetzes u. der öffentlichen Moral finden müssen. Allein wichtige staatspolizeiliche Rücksichten haben die Veranlassung geboten, diese Verbrechen doch auch mit öffentlichen Strafen zu bedrohen. Auf dem geregelten Geschlechtstriebe beruht die ganze Fortpflanzung des Menschengeschlechts; die Ausartung desselben würde nicht blos dazu führen, alle Bande der bürgerlichen Sittlichkeit zu lösen, sondern auch ein physisches Verkommen der Staatsbürger zur Folge haben, welches von dem nachtheiligsten Einfluß für das ganze Staatsleben sein müßte. Vor Allem würde dadurch die Erhaltung eines geordneten Familienlebens bedroht sein, auf dessen Heilighaltung der Staat als eine der Hauptgrundlagen seines Bestehens vorzugsweise zu halten hat. In den Stra systemen aller Völker haben daher die F-n V., wenn auch in sehr verschiedener Weise, ihre Stelle gefunden. Allgemein ist dabei wahrzunehmen, daß die frühere Zeit dieselben mit weit höheren Strafen belegt hat, als dies in den neueren Legislationen geschehen ist, welche im Gegensatz zu dem früheren Rechte sogar bezüglich dieser Verbrechen eine fast unverhältnißmäßige Milde vorwalten lassen. Als einzelne Arten der F-n V. sind auszuzeichnen: a) die Stupration od. einfache außereheliche Unzucht, b) der Concubinat, c) der Ehebruch, d) die Bigamie, e) der Incest, f) die widernatürliche Unzucht (Sodomie). g) die Nothzucht, h) die Kuppelei u. i) die Entführung. Über die unter b–i genannten F-n V. s. die einzelnen Artikel. Unter der einfachen außerehelichen Unzucht od. Schwächung (Stuprum, Stupratio, Corruptio viduae vel virginis honestae) ist jede wissentliche außereheliche, nicht naturwidrige, auch nicht mit Gewalt verübte fleischliche Vermischung einer ledigen Mannsperson mit einem ehrbaren, nicht mit dem Manne in verbotenem Grade verwand ten Weibe zu verstehen. Ausgeschlossen bleibt daher neben allen, unter nahen Verwandten vorgefallenen incestuosen od. den mit Gewalt begangenen Unzuchtsfällen namentlich die Stupration einer privilegirten Lohnhure (Meretrix). Bei den Römern war die Strafe des einfachen Stuprum nach der Lex Julia de adulteriis für beide Theile Confiscation des hälftigen Vermögens, für niedere Personen Leibesstrafe, verbunden mit Relegation; doch fiel diese Strafe weg, wenn der Stuprator die Geschändete (Stuprata) als Concubine (s.u. Concubitus) od. zur Frau erhielt. Im Mittelalter wurden alle Unzuchtsverbrechen u. damit auch das einfache Stuprum von der Geistlichkeit als Verbrechen gegen die kirchliche Ordnung vor die geistlichen Gerichte gezogen. Von diesen wurden die[347] Unzuchtsfälle Anfangs mit willkürlichen Strafen, meist mit einer öffentlichen Kirchenbuße, belegt, welche späterhin meist in Geldstrafen (Hurenbrüche, Hurenstrafen) verwandelt worden sind u. als solche sich selbst in der Protestantischen Kirche (z.B. unter dem Namen kirchliche Censurgebühren) bis in die neueren Zeiten erhalten haben. Gewöhnlich bestand die mittelalterliche Kirchenbuße (s.d.) darin, daß die Geschwächte während des öffentlichen Gottesdienstes in einem Bußhemde (Sünderhemde) vor der Gemeinde erscheinen, einen eigenen Platz in der Kirche einnehmen u. von dem Geistlichen eine besondere Bußpredigt anhören mußte, woran sich jedoch auch von Seiten der Gemeinglieder noch manche andere Beschämungen zu knüpfen pflegten. An diese Kirchenbußen schloß sich auch die Praxis der weltlichen Gerichte an. Öffentliche Ausstellung, Verweisung aus der Stadt, Abschneiden der Kopfhaare einer Geschwächten durch den Büttel sind die gewöhnlichsten Strafen, welche in den mittelalterlichen Statuten sich dafür angedroht finden. Von den Reichsgesetzen waren es bes. die Reichspolizeiordnungen, welche Strafverbote gegen die leichtfertige u. unziemliche Beiwohnung außer der von Gott eingesetzten Ehe enthielten, u. diese bilden auch noch jetzt, da die Carolina das Stuprum nicht erwähnt, die Grundlage für die Bestrafung der einfachen Unzucht nach Gemeinem Rechte. Das Strafmaß ist hiernach ein arbiträres, in der Regel eine kurze Gefängnißstrafe od. Geldbuße, u. nur in den schwereren Fällen Arbeitshaus. Als ein Erschwerungsgrund hat es dabei bes. zu dienen, wenn durch die Verübung öffentliches Ärgerniß gegeben wurde, wenn eine Verführung Statt fand od. der eine Theil dabei den andern, vielleicht gar vorsätzlich od. doch wissentlich, mit einer venerischen Krankheit ansteckte. Nach den neueren Legislationen wird die einfache Unzucht wohl setzt durchgängig nicht mehr criminell bestraft; ja sie ist sogar meist aus den Polizeiordnungen verschwunden. Nur die gewerbsmäßige Betreibung derselben (Hurerei, Fornicatio) wird in einzelnen, wie z.B. dem Sächsischen, Württembergischen u. Thüringischen Strafgesetzbuch, noch als strafbares Verbrechen aufgeführt. Andere Staaten stellen die Ausübung der Hurerei unter polizeiliche Controle, so daß also Weibspersonen, wenn sie zu diesem Gewerbe sich hergeben wollen, einer polizeilichen Ermächtigung bedürfen (vgl. Bordell), wenn diese aber nicht ertheilt worden war, die Hurerei nur polizeiliche Maßregeln zur Folge hat, die in Gefängniß, Einsperrung in Arbeitshäusern, Fortweisung vom Aufenthaltsorte etc. bestehen. Die Unzucht mit noch unmannbaren Personen, sowie mit Personen in bewußtlosem Zustande, wird von den neueren Strafgesetzgebungen gewöhnlich der Nothzucht gleichgestellt od. doch ihr gleichartig behandelt. Eine wichtige, auch bei anderen F-n V., als dem einfachen Stuprum auftauchende u. namentlich in früherer Zeit vielfach behandelte Frage bildet die Frage nach dem Augenblicke der Vollendung des Verbrechens. Die ältere Praxis verlangte hierfür nicht allein Samenabgang (Emissio seminis), sondern auch Einbringen desselben in die weiblichen Geschlechtstheile (Immissio seminis), so daß alle anderen Fälle nur als Versuche zu dem Verbrechen betrachtet wurden. Allein weder aus dem Römischen, noch aus dem Canonischen Rechte, noch auch aus dem Standpunkte der Reichsgesetze läßt sich diese Ansicht vertheidigen, abgesehen davon, daß die Frage, ob eine Immissio seminis Statt gefunden habe, sich meist gar nicht beantworten läßt u. ihre Untersuchung in der Regel nur zu schmutzigen Details führt. Dagegen nimmt die neuere Doctrin als Augenblick der Vollendung überhaupt die körperliche Vereinigung der beiderseitigen Geschlechtstheile an, u. dieser Ansicht folgen auch die neueren Gesetzgebungen.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.