Hebel [1]

Hebel [1]

Hebel, 1) einfaches, oft angewendetes Beförderungsmittel der Bewegung, um mit geringem Kraftaufwand große Lasten von ihrer Stelle zu rücken od. zu heben, od. auch um mit einer verhältnißmäßig großen Kraft eine kleine Last mit um so größerer Geschwindigkeit zu bewegen; besteht in seiner einfachsten Form aus einer geraden, unbiegsamen Stange, welche um einen ihrer Punkte drehbar ist; zuweilen ist er aber auch gekrümmt od. knieförmig gebogen. An jedem H. werden hinsichtlich seiner Anwendung drei Punkte (Hebelpunkte) unterschieden: a) der Punkt, wo der H. aufliegt u. unterstützt wird, der Ruhepunkt (Umdrehungspunkt, Drehpunkt, fester Punkt, Punctum fixum,) genannt, weil von hier aus die Bewegung des H-s ausgeht; der Gegenstand, auf welchem der H. ruht, heißt Unterlage (Hypomochlion), zuweilen auch, je nach Anwendung des H-s, die Überlage. Liegt dieser Ruhepunkt am einen Ende des H-s, so wird dieser ein einarmiger, liegt er irgendwo in der Mitte des H-s, so wird der H. ein doppelarmiger genannt, u. die beiden zur Seite des Unterstützungspunktes liegenden Hälften des H-s heißen dann Arme des H-s. b) Der Punkt, an welchem die zur Führung des H-s erforderliche bewegende Kraft angewandt wird, Angriffs- od. activer Punkt. c) Der Punkt, welcher gegen die zu hebende od. verrückende Last gerichtet wird, passiver od. Druckpunkt (beweglicher Punkt, Punctum mobile). Die Ebene, in welcher diese drei Punkte liegen, wird wohl auch die Hebelebene genannt. Liegt an einem doppelarmigen H. der Ruhepunkt gerade in der Mitte, so ist es ein gleicharmiger, liegt er mehr dem Druck- od. Angriffspunkte genähert, ein ungleicharmiger H. Jeder Schlagbaum, die meisten Scheeren u. Zangen, die römische Schnellwage, die Hebebäume u.a.m. stellen ungleicharmige, jeder Wagebalken einer Schalwage einen gleicharmigen H. vor. Hat der doppelarmige H. die Gestalt eines Winkels od. Knies, dessen Spitze der Ruhepunkt ist, so heißt dies ein gebrochener (Winkel-) H., welcher namentlich an Klingelzügen in Gebrauch ist. Ähnlich wirken die krummen od. gebogenen H. Beim einarmigen H. kann die Last zwischen dem Ruhepunkte u. der Kraft liegen, dann ist es ein einarmiger H. der ersten Art od. ein Druckhebel; od. die Kraft liegt zwischen dem Ruhepunkte u. der Last, dann ist es ein einarmiger H. der zweiten Art od. ein Wurfhebel. Die Stroh- u. Tabaksschneiden, die Citronenpresse, die Ruder, die Schiebkarren u. dgl. sind Druckhebel; der Dreschflegel, die Schleuder, die durch Muskeln bewegten Gliedmaßen etc. Wurfhebel. Auch die doppelarmigen H. lassen sich in Druck- u. Wurfhebel unterscheiden; bei ersteren liegt immer der Unterstützungspunkt mehr der Last, bei letzteren mehr der Kraft genähert. Ein Beispiel eines zweiarmigen Wurfhebels gibt der Pritscheball der Kinder. Endlich gibt es noch zusammengesetzte H. der verschiedensten Art. So ist die Schere u. Zange ein doppelter zweiarmiger H. mit gemeinschaftlichem Unterstützungspunkt; die Kamm- u. Stirnräder, die Getriebe etc. sind sämmtlich mehrfach zusammengesetzte H. In der Theorie des H-s sieht man zunächst vom Gewicht der Stange ab u. nennt daher einen mathematischen H. eine unbiegsame, um einen ihrer Punkte drehbare Linie. Man nennt nun das Product aus der Größe einer auf einen Punkt des H-s wirkenden Kraft in den zugehörigen Hebelarm, d.i. in den senkrechten Abstand ihrer Richtungslinie vom Drehungspunkte, das statische Moment dieser Kraft, welches als positiv od. negativ angesehen wird, je nachdem die Kraft den H. in der einen od. der entgegengesetzten Richtung zu drehen sucht. Dies vorausgesetzt, befinden sich irgend wie viele Kräfte am H. im Gleichgewicht, wenn die Summe ihrer statischen Momente gleich Null ist; dies ist das allgemeinste Gesetz für das Gleichgewicht am H. Wirken aber nur zwei Kräfte auf denselben, so läßt es sich so aussprechen: Es findet Gleichgewicht statt, wenn die beiden Kräfte im umgekehrten Verhältniß ihrer Hebelarme stehen. Dasselbe läßt sich als Folge des Satzes vom Parallelogramm der Kräfte darstellen, indem sich mit Hülfe desselben zeigen läßt, daß die gemeinschaftliche Resultante durch den Drehungspunkt des H-s geht u. folglich durch dessen Festigkeit aufgehoben wird. Wird eine Kraft auch nur um ein wenig vermehrt, so tritt Bewegung ein, u. darauf beruht die Anwendung des H-s. Befindet sich hierbei die Last am kurzen Hebelarm, die bewegende Kraft aber am langen, so kann man mit der einfachen Kraft eine so vielmal größere Last bewegen, als wie vielmal der Hebelarm der ersteren länger ist im Vergleich zum Hebelarm der Last, u. dies nennt man den mechanischen Vortheil am H.; freilich ist aber auch die Geschwindigkeit der Last so vielmal kleiner, als ihr Hebelarm kürzer, u. dies nennt man den mechanischen Nachtheil. Da man die Leistung einer Kraft durch das Product der bewegten Last in die Geschwindigkeit bestimmt, so heben sich also der Vortheil u. der Nachtheil einander auf, u. die Anwendbarkeit des H-s beruht demnach nur darauf, daß man mit verhältnißmäßig kleiner Kraft, über welche man verfügt, doch eine große Last in Bewegung setzen kann, wenn auch mit geringer Geschwindigkeit, od. auch daß man mit einer verhältnißmäßig großen Kraft eine geringe Last mit um so größerer Geschwindigkeit zu bewegen vermag. Setzt man mehrere H. zusammen, welche auf einander wirken, so daß immer die Kraft auf den längeren, die Last auf den kürzeren Hebelarm wirkt, so gewinnt die Kraft hierdurch noch mehr, aber desto geringer wird die Höhe, zu welcher die Last erhoben werden kann. Den H. soll Kinyras, ein Cyprier, erfunden haben. Über die Theorie des H-s stellte schon Archimedes richtige Lehrsätze auf, ausführlicher u. bestimmter wurde sie von Cartesius, Newton u. And., bes. aber von Kästner u. de la Hire, dargestellt; 2) (Elevatorium), chirurgisches Instrument zum Zahnausziehen, vorzugsweise des Weisheitszahns u. dessen Wurzeln. Der H. ist eine Stahlstange mit Quergriff, deren Ende ein Dreieck bildet, welches 3 Flächen in Form einer [127] Spitze hat. Der H. nähert sich seiner Form dem Geißfuß; 3) stumpfe stählerne Klinge, bei schiefstehendem Kopf während der Geburt, um ihm die zum leichtern Durchgang erforderliche Stellung zu geben; zuerst von Roonhulsen in die geburtshülfliche Praxis eingeführt, jetzt aber selten mehr gebraucht.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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