Räthsel

Räthsel

Räthsel, 1) die umschreibende Darstellung eines nicht genannten Gegenstandes, welche als Aufgabe zur Beschäftigung des Scharfsinns dient, insofern die Prädicate des zu errathenden Gegenstandes nur durch Angabe theils der Ähnlichkeit mit andern, theils seiner Verschiedenheit von andern, theils durch geschichtliche Thatsachen etc. bezeichnet werden. Man unterscheidet: Buchstabenräthsel, wenn ein od. zwei Buchstaben am Anfang des Wortes verändert werden, während der übrige Theil des Wortes unverändert bleibt (Band, Land, Rand, Sand, Tand); od. Logogriphe, wenn ein Wort durch Zusetzung od. Weglassung eines od. mehrer Laute immer andere Bedeutung bekommt, z.B. Greis, Reis, Eis; Anagramm, wenn man von einem Worte die Buchstaben auf verschiedene Weise versetzt u. so andere Wörter bildet, z.B. Rehe, Heer, Ehre. Wenn ein Wort von vorn u. von hinten gelesen werden soll, so nennt man dies ein Palindrom, z.B. Roma, Amor; wenn dasselbe Wort in verschiedener Bedeutung genommen werden soll, ein Homonym, z.B. verlegen (der Zustand des Gemüths, etwas an den unrechten Ort legen, ein Buch in Verlag nehmen etc.). Von der Charade (s.d.) od. dem Sylbenräthsel unterscheidet sich das eigentliche R. dadurch, daß bei jener die einzelnen Sylben, dann das Ganze eines zusammengesetzten od. mehrsylbigen Wortes durch besondere Merkmale bezeichnet werden; beim R. hingegen das ganze den Gegenstand bezeichnende Wort zusammengenommen wird; daher Worträthsel od. R. im eigentlichen Sinn. Eine eigenthümliche Art R. ist das Bilderräthsel od. Rebus (s.d.). Gewöhnlich wählt man die poetische Einkleidung, wie es schon in den alten Zeiten gewöhnlich war. Sammlung lateinischer u. griechischer R. u. Charaden von Gr. Gyraldus bei Nic. Reusner, Aenigmatographia, Frankf. 1599. Deutsche R. stehen zerstreut in fast allen Zeitschriften für Unterhaltung u. in älteren Almanachen; eine Sammlung in Th. Hells Agrionien,[835] Lpz. 1811; vgl. Friedrich, Geschichte des R-s, Dresd. 1860. Im Morgenlande waren R. Aussprüche höherer Erkenntniß u. Weisheit, welche, in Dunkelheit eingehüllt, Bedeutung bekam u. behielt (vgl. Sphinx). Solche Aussprüche zu lösen u. zu verstehen, erforderte wieder eine über die gemeine erhabene Kenntniß u. Übung im Denken, daher waren solche Aussprüche u. Fragen der Gegenstand wissenschaftlicher Unterhaltung etc., vgl. Bellermann, De Hebraeorum aegnimat., Erfurt 1796. Noch jetzt ist im Morgenland diese Sitte heimisch. Bei den Griechen diente das R. als Aufgabe, um Gelehrsamkeit u. gute Einsicht zu prüfen (Griphos); so bestand das Wirken der sieben Weisen großentheils in Aufgaben solcher Fragen zur Übung der Denkkraft; theils als Tischunterhaltung (Änigma), u. war nicht viel mehr als Gedächtnißsache, z.B. schnell die Namen von Pflanzen, Thieren etc. zu nennen, welche sich mit einerlei Buchstaben anfingen, in denen gewisse Buchstaben vorkämen u. nicht vorkämen; Wörter od. Verse anzugeben, die mit einer genannten Sylbe od. mit aufgegebenen Wörtern anfingen od. endigten; Namen tragischer Personen von bestimmter Sylbenzahl zu nennen; Namen solcher Personen, welche den einer Gottheit in sich enthielten; Namen, welche sich auf gewisse Sylben endigten etc. Wer die Aufgabe löste, erhielt den Beifall der Tischgesellschaft u. einen Kranz; wer es nicht vermochte, mußte einen Becher mit Salzwasser trinken. Der Kaiser Tiberius wollte diese griechische Tafelsitte auch an seiner Tafel einführen, aber er wählte nur Fragen aus der Mythologie u. Geschichte. Da solche R. gewissermaßen ein Theil der Volksbelehrung waren, so wurden sie auch wie Denksprüche auf Götterstandbilder, bes. Hermen, eingegraben. Bes. häufig war der Gebrauch der R. bei den germanischen Völkern, u. die Eddalieder sind voll solcher Fragen, womit man seine gegenseitigen Kenntnisse prüfte, bes. das Vafthrudnismal, wo Odin auszieht, um den als klug gerühmten Riesen Vafthrudnir durch Räthselfragen zu bekämpfen; der Besiegte wurde todtgeschlagen. So findet man noch in dem Sängerkrieg auf der Wartburg (s.d.) R. einander aufgegeben, mit der Bedingung, daß der Besiegte dem Henker anheim fallen sollte.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Räthsel — Räthsel, ein poetischer Scherz, welcher das Nachdenken reizen soll, indem er einen Gegenstand beschreibt, ohne diesen selbst zu nennen. Bedingung dabei ist, daß die angegebenen Merkmale insgesammt auf den Gegenstand passen und daß die einzelnen… …   Damen Conversations Lexikon

  • Räthsel — (lat. und griech. aenigma), die Beschreibung eines Gegenstandes, der nicht genannt wird, wobei besonders die Merkmale der Aehnlichkeit mit einem andern hervorgehoben werden, als Aufgabe für den Scharfsinn zum Errathen …   Herders Conversations-Lexikon

  • Räthsel — 1. Wer in Räthseln beichtet, wird in Räthseln absolvirt. *2. Das ist mir ein Räthsel. Holl.: Dat is mij een raadsel. (Harrebomée, II, 207b.) *3. Das Räthsel wird er nicht lösen. Lat.: Herculanus nodus. (Erasm., 940; Philippi, I, 175.) …   Deutsches Sprichwörter-Lexikon

  • Räthsel (2), das — 2. Das Räthsel, des s, plur. ut nom. sing. Dimin. das Räthselchen, Oberd. Räthselein. 1) Ein Mährchen, eine Fabel, eine erdichtete Erzählung; eine im Hochdeutschen veraltete noch im gemeinen Leben Oberdeutschlandes übliche Bedeutung. Jemanden ein …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

  • Räthsel (1), der — 1. Der Räthsel, in einigen Gegenden, der Raden, siehe dieses Wort …   Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart

  • Sphinx — SPHINX, gis, Gr. Σφίγξ, γος, (⇒ Tab. V.) 1 §. Namen. Einige leiten diesen Namen von dem griechischen Worte σφίγγινειν, zusammenziehen, her, weil solches Ungeheuer mit seinen Räthseln die Menschen gleichsam verstrickt habe. Casal. de Rit. veter.… …   Gründliches mythologisches Lexikon

  • Karl Heinrich Ulrichs — (1899) …   Deutsch Wikipedia

  • Caspar Isenkrahe — Mathias Caspar Hubert Isenkrahe (May 12, 1844 in Müntz near Jülich – August 12, 1921 in Trier) was a German mathematician, physicist and catholic philosopher of nature. Life Caspar Isenkrahe grew up without a father, who died before Caspar s… …   Wikipedia

  • Dioning — Karl Heinrich Ulrichs (1825 1895) Karl Heinrich Ulrichs (* 28. August 1825, Westerfeld, heute Stadtteil Kirchdorf in Aurich (Ostfriesland); † 14. Juli 1895, L’Aquila, Italien) war ein Vorkämpfer der Homosexuellen Bewegung …   Deutsch Wikipedia

  • Karl-Heinrich Ulrichs — (1825 1895) Karl Heinrich Ulrichs (* 28. August 1825, Westerfeld, heute Stadtteil Kirchdorf in Aurich (Ostfriesland); † 14. Juli 1895, L’Aquila, Italien) war ein Vorkämpfer der Homosexuellen Bewegung …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”