Bewegung

Bewegung

Bewegung, 1) (Phys.), ist die Veränderung des Ortes, welchen ein Körper einnimmt; sie bildet den Gegensatz zur Ruhe, bei welcher keine Veränderung des Ortes vorgeht, u. ihre Gesetze werden in der Dynamik, dem zweiten Haupttheile der Mechanik, abgehandelt. A) Arten der B. Man unterscheidet zunächst a) wahre u. scheinbare B.: die wahre B. ist die dem bewegten Körper wirklich eigenthümliche, sie ist hauptsächlich Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung; die scheinbare ist die B., wie sie dem beobachtenden Subject erscheint, u. beruht häufig auf einer Täuschung, indem der Beobachter sich unvermerkt selbst bewegt u. diese Veränderung seiner Lage auf eine B. des beobachteten Objectes deutet, od. auch indem die B. vermöge der Stellung des Auges zum Object nicht richtig gemessen u. beurtheilt werden kann, wenn z.B. das Object sich völlig od. theilweise in der Richtung der Gesichtslinie bewegt. Die verwickelten Bahnen der Planeten bieten ein auffälliges Beispiel der von der wahren abweichenden scheinbaren B., s. unten 3). Die B. ist ferner b) eine absolute od. relative. Die absolute B. ist ein Verlassen des Orts u. Übergehen zu einem anderen Ort,[707] wenn man diese Orte absolut, d.h. ohne ihr Verhältniß zu einem dritten Orte od. Gegenstande auffaßt; dagegen ist die relative B. eine Veränderung des Orts in Beziehung auf einen dritten Punkt, welcher wiederum selbst entweder bewegt od. ruhend sein kann. Beide Begriffe haben nur durch ihren Gegensatz Bedeutung, indem sonst philosophisch eine absolute B. allerdings nicht denkbar ist. In der Mechanik kommen diese Vorstellungen oft vor, z.B. sagt man, daß die relative B. des Mondes gegen die Erde eine elliptische sei, während seine absolute B. im Sonnensystem aus der B. der Erde um die Sonne u. seiner B. um die Erde zusammengesetzt ist; denkt man überdies an eine B. der Sonne im Weltenraum, so ist die absolute B. des Mondes eine noch mehr zusammengesetzte, u. jenes nur seine relative B. gegen die Sonne. Von zwei Körpern, welche sich beide in absoluter B., aber in relativer Ruhe befinden, sagt man auch, sie haben eine gemeinschaftliche B., z.B. der Wagen u. der Mensch, der darin fährt. Im Gegensatz dazu spricht man von einer eigenen B., welche der eine von beiden hat. Jede B. an sich wird durch ihre Richtung u. Geschwindigkeit vollkommen definirt, mit Rücksicht auf die Ursache der B. ist aber auch noch die bewegte Masse zu beachten. Bei der Bestimmung L) der Richtung eines bewegten Körpers kann man zunächst auf dessen Schwerpunkt allein sehen; verändert er seinen Ort, so schreibt man dem Körper a) eine fortschreitende B. zu; sie kann geradlinig u. krummlinig sein; ein Beispiel für die erste ist die B. freifallender Körper, für die letzte die B. eines Planeten in seiner Bahn. Es kann aber auch die Richtung der B. der einzelnen Theile eines Körpers von der des Schwerpunktes abweichen, u. hier ist der einfachste Fall b) die rotatorische B. (Drehnungs-B.), wo alle Punkte um eine durch den Körper gedachte Achse Kreise beschreiben, der Schwerpunkt aber unterdessen entweder in Ruhe bleibt, wie beim Mühlrad, od. sich bewegt, wie beim rollenden Cylinder od. den B-en der Planeten, welche während ihrer fortschreitenden B. nm die Sonne auch um eine Achse rotiren. Der Begriff C) der Geschwindigkeit der B. geht aus einer Vergleichung der durchlaufenen Strecken u. der dazu nöthigen Zeiten hervor. Zwei bewegten Körpern wird gleiche Geschwindigkeit beigelegt, wenn sie in der gleichen Zeit gleiche Strecken zurücklegen, u. die Geschwindigkeit des einen ist so vielmal größer als die des anderen, wie vielmal größer die in derselben Zeit von ihm durchlaufene Strecke, od. wie vielmal kleiner die zu der gleichen Strecke erforderliche Zeit ist. Die Geschwindigkeiten stehen daher im directen Verhältniß der durchlaufenen Räume u. im umgekehrten Verhältniß der erforderlichen Zeiten. Hinsichtlich ihrer Geschwindigkeit kann eine B. a) gleichförmig sein od. ungleichförmig. Sie ist gleichförmig, wenn in gleichen, auch noch so kleinen Zeiten, gleiche Räume durchlaufen werden; annähernd gleichförmig ist z.B. die B. des Zeigers einer Uhr, insofern er wenigstens in je zwei längeren gleichen Zeitabschnitten gleiche Bogen beschreibt, strenggenommen aber nicht, insofern das Fortrücken der einzelnen Zähne stoßweise geschieht. Ungleichförmig ist die B., wenn jene Bedingung nicht erfüllt ist. Sie ist dann b) beschleunigt, wenn der im folgenden Zeittheile durchlaufene Weg größtr ist als im vorhergehenden, u. zwar gleichförmig beschleunigt, wenn die B. in gleichen Zeiten um gleich viel zunimmt, so die B. frei fallender Körper; sie ist verzögert, wenn die Geschwindigkeit im zweiten Zeittheilchen kleiner ist als im ersten, u. zwar gleichförmig verzögert, wenn die Abnahme der B. nach gleichen Zeiten gleich viel beträgt, so die B. eines vertical aufwärts geworfenen Körpers. Als ein besonderer Fall gehörtehierher die oscillatorische B., bei welcher ein schwingender Körper vom Zustande der Ruhe aus eine stetig beschleunigte B. annimmt, nach einiger Zeit ein Maximum der Geschwindigkeit erreicht, dann in seiner B. allmälig bis zur Ruhe wieder verzögert wird, worauf dann die B. in umgekehrter Richtung mit derselben Änderung der Geschwindigkeit wieder beginnt u. s. s. Sie zeigt sich beim schwingenden Pendel, beim Kolben der Dampfmaschine, bei der Schwingung der Molecüle elastischer Körper etc. D) Die Größe der B. od. die Gewalt, welche ein bewegter Körper durch die ihm mitgetheilte B. gegen ruhende Körper auszuüben im Stande ist, wird durch das Product aus der bewegten Masse u. der Geschwindigkeit gemessen. Was endlich E) die Ursache der B. anlangt, so gilt zunächst unter allen Physikern als ausgemacht, daß sich alle Materie gegen Ruhe u. Bewegung gleichgültig verhält u. also, nachdem sie einmal eine B. besitzt, in derselben unverändert beharrt, so lange letztere nicht durch eine von außen kommende Ursache geändert wird. Hiernach kann nur von Ursachen der Veränderung der B. die Rede sein, u. diese nennt man bewegende Kräfte. Sie heißen a) momentan, wenn sie nur einen Augenblick stoßweise auf den Körper wirken, aber stetig wirkende Kräfte, wenn sie in jedem Augenblicke die B. des Körpers ändern. Zu den ersteren gehört der Stoß, zu den letzteren die Schwerkraft. Die bewegende Kraft wird ihrer Größe nach der Größe der B., d.h. also dem Producte der durch sie allein erzeugten Geschwindigkeit in die bewegte Masse, proportional gesetzt, unter der Voraussetzung, daß eine doppelte, dreifache etc. Kraft nicht nur einer doppelten, dreifachen etc. Masse die gleiche Geschwindigkeit, sondern auch der gleichen Masse eine doppelte, dreifache etc. Geschwindigkeit ertheile, wie dies auch gegen die Meinung älterer Mathematiker die genauesten Versuche bestätigt haben. Wirken nun zwei Kräfte gleichzeitig nach verschiedenen Richtungen auf einen Körper, so nimmt der letztere eine aus den beiden B-en, welche ihm jede einzelne Kraft ertheilen würde, b) zusammengesetzte B. an; sie wird nach dem Gesetz vom Parallelogramm der B-en bestimmt, welches so lautet: Wenn man die Wege, welche der Körper in Folge jeder einzelnen Kraft in der Zeiteinheit zurücklegen würde, nach Größe u. Richtung durch gerade Linien bezeichnet u. dieselben zu einem Parallelogramm ergänzt, so zeigt die Diagonale desselben diejenige B. an, welche dem Körper durch die gleichzeitige Wirkung beider Kräfte ertheilt wird. Nach demselben Gesetz kann aus drei u. mehreren einfachen B-en eine B. zusammengesetzt werden, indem man erst zwei davon nach dem Parallelogramm der B-en vereinigt, mit der resultirenden B. die dritte u. s. s. Den einfachsten Fall einer B., welche in jedem Moment durch Zusammensetzung einer neu hinzukommenden B. mit der bestehenden abgeändert wird, bieten die Fall-B. u. die Wurf-B. Bei beiden sind die in jedem Moment hinzutretenden B-en[708] ihrer Größe nach gleich u. ihrer Richtung nach parallel. Einen etwas complicirteren Fall stellt c) die Central-B. dar, bei welcher die beschleunigende Kraft immer nach Einem Punkt (Centrum) gerichtet ist; sie kann kreisförmig sein, wie bei einem an einem undehnbaren Faden. im Kreise geschleuderten schweren Körper; od. elliptisch, wie bei den um die Sonne sich bewegenden Planeten od. Kometen, ja der Theorie nach möglicherweise auch parabolisch u. hyperbolisch. Manche besondere, sich theils auf die Natur der bewegenden Kraft, theils auf die Beschaffenheit des bewegten Körpers beziehenden Ausdrücke, wie kosmische B., organische B., Muskel-B., chemische B., physische B., expansive (ausdehnende) B. u. contractive (zusammenziehende) B., sind an sich leicht verständlich. F) Unter den Hindernissen der B. versteht man in der Mechanik namentlich die Steifheit der Seile, die Reibung u. den Widerstand des Mittels, in welchem die B. vor sich geht, gewöhnlich der Luft. 2) (Math.). B. ist die Vorstellung von der stetigen Veränderung des Orts eines Punktes, einer Linie, einer Fläche, eines Körpers (als rein mathematischer Begriff) im Raume. Durch B. eines Punktes, einer Linie, einer Fläche, eines Körpers, entsteht beziehungsweise eine Linie, eine Linie od. eine Fläche, eine Fläche od. ein Körper, ein Körper. Der Begriff der B. gehört unserem Vorstellungsvermögen ursprünglich an, wird aber dadurch, daß wir diese an physischen Körpern sinnlich wahrnehmen, erst zum deutlichen Bewußtsein in uns gebracht; er ist sonach ein rein mathematischer; daher haben ihn auch schon die Alten, wie Euklides, Archimedes u. Apollonios, in die Geometrie mit aufgenommen; Neuere, wie Nepper, Newton, haben sogar ungleichförmige B-en eingeführt (s. Logarithmen u. Fluxion). Den Theil der reinen Mathematik, in welchem die B. nicht, wie hier, blos Hülfsmittel, sondern Zweck ist, nennt K. G. Fischer die Phorometrie. 3) (Astron.). Man unterscheidet hier zunächst a) wahre u. scheinbare B. Wahre B. (wahrer Lauf) ist die wirkliche B. eines Planeten (von Abend nach Morgen) um die Sonne od. eines Trabanten um seinen Hauptplaneten, wie man sie also von der Sonne od. dem Hauptplaneten aus wahrnehmen würde. Da wir aber von der Erde aus, als einem selbst in steter B. befindlichen Weltkörper, die Gestirne betrachten, so sehen wir die Planeten (u. Monde) auf eine ganz andere, oft unregelmäßige Weise um die Sonne od. um den Hauptplaneten laufen, u. diese B. heißt dann die scheinbare, bei welcher dann rechtläufige u. rückläufige B. unterschieden, so wie der sogenannte Stillstand bemerkt wird. Mittelst des Copernicanischen Weltsystems lassen sich aber die wahren u. scheinbaren B-en der Planeten ganz ungezwungen die einen auf die anderen zurückführen. Ferner b) tägliche B. des Himmels, d.i. die scheinbare Umdrehung der gestirnten Himmelskugel um ihre Achse, welche mit der Achse der Erdkugel zusammenfällt; mithin kann man auch sagen: die tägliche B. des Himmels ist die scheinbare B. aller Gestirne um die Erde od. die wirkliche Rotation der Erdkugel binnen 24 Stunden. Sie ist die gleichförmigste, stets unveränderlich gebliebene B. u. gibt das. Grundmaß aller Zeitrechnungen ab, denn die Dauer einer ehemaligen Rotation der Erde od. einer einmaligen scheinbaren täglichen B. des Himmels ist die Länge des Sterntages. Die tägliche B. des Himmels verursacht alle Erscheinungen in den Veränderungen des gestirnten Himmels in Bezug auf Horizont u. Zenith u. hängt also von der geographischen Breite des Beobachtungsortes ab. c) Eigene B. ist diejenige, vermöge welcher einige Himmelskörper ihre scheinbare Stellung gegen die übrigen verändern; d) mittlere B., eine erdichtete B., die aus der wahren entsteht, indem man letztere von allen periodischen Ungleichheiten befreit. Außerdem kommen die B-en der Aphelien u. Perihelien der Planeten, des Apogäums u. Perigäums des Mondes, der Knoten in den Planetenbahnen u. der Mondbahn in Betracht (s. a. d.). Von der B. der Erde, s.u. Erde. 4) (Mus.), theils die Geschwindigkeit, Art in der Aufeinanderfolge der Töne, s. Tempo; theils die Richtung, das Fortschreiten der Töne, u. zwar entweder als einzelne Reihe (melodische B.), od. in mehreren Stimmen zugleich (harmonische B.). Im letzteren Falle stehen die Stimmen in einem 3fachen Verhältniß zu einander: die Stimmen gehen steigend od. fallend parallel (gerade B., Motus rectus); die eine steigt, während die andere fällt (Gegen-B., Motus contrarius); eine Stimme behauptet ihren Stand fest, während die andere steigt od. fällt (Seitenschiefe B., Motus obliquus). 5) (Med.), im thierischen Körper gibt es 3 Bewegungsarten: a) Molecularbewegung, b) Flimmerbewegung u. c) Muskelbewegung (s.d. a.). Die B., so weit sie von unserer Willkühr abhängt, ist wichtig für Erhaltung der Gesundheit, so Gehen, Laufen, Springen; sobald sie aber ermüdet, geht der Vortheil verloren. Kunstgemäß wird die B. beim Turnen, Tanzen, Fechten, Schwimmen, Kegelschieben, Ballspiel, Lanzenwerfen. B. wird als gymnastische Cur (s. Heilgymnastik) systematisch zu Heilzwecken verwendet. Die B. fördert mancherlei Verrichtungen des Körpers ganz vorzugsweise, so die Verdauung (nur nicht unmittelbar nach dem Essen, vgl. Post coenam stabis etc.), den Blutumlauf, Ab- u. Aussonderungen, zumal Hautausdünstung; 6) (Militärw.), B. der Truppen, sie kann Statt finden entweder als Marsch, wo sie blos den Zweck hat, daß die Truppen einen Weg zurücklegen (s. Marsch); od. als Manövres, wo sie das Gefecht zum Zweck hat, u. die Kunst, die Manövres auszuführen, heißt die Bewegungskunst, u. sie zerfällt: a) in die Kunst Linien zu bilden, also aufzumarschiren (s. Aufmarsch); d) die Kunst Linien nach allen Richtungen zu bewegen (in Front vorwärts u. rückwärts, nach der Flanke, nach der Diagonale, in Echelions u. in Schwenkungen); u. c) die Kunst der Colonnenformation u. Colonnenbewegung vgl. Marsch, Evolution, Manövre, Exerciren. Im Kriege kommt auf die B. der Truppen sowohl auf dem Marsch, als im Gefecht, sehr viel an, u. bei beiden muß berechnet werden, ob es vermöge der physischen Kraft der Truppen möglich ist, daß dieselben zu einer bestimmten Zeit an dem Orte, wo sie erwartet werden, eintreffen, u. ob nicht natürliche Hindernisse, wie Moräste, Flüsse, schlechte Wege od. der Feind, dies hindern.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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