Du [1]

Du [1]

Du, persönliches Fürwort der 2. Person. Du in der Anrede (duzen), als das natürliche, findet sich in der alten Zeit bei allen Völkern. Den Plural (Ihr) zu brauchen, schreibt sich von der Sitte der römischen Kaiser seit Constantin, Theodosius u. Justinian her, die ihre kaiserliche Würde dadurch bezeichneten, daß sie in ihren Edicten im Plural (Wir, daher wirzen, von sich im Plural reden) von sich sprachen. Ihnen folgten die Kanzleien der gothischen, fränkischen u. deutschen Könige, u. noch früher sprachen Schriftsteller, bes. Historiker, wie Jornandes u. Gregor v. Tours, hin u. wieder im Plural, indem sie sich mit dem Leser zur Mehrzahl vereinigt dachten. Die Sitte der Könige ging bald auf Bischöfe, Äbte, Herzöge, Fürsten, Grafen u. Freiherren über. Aber den Plural Ihr in der Anrede brauchen (das Ihrzen) kommt erst urkundlich in Alfreds Widmung seiner gereimten Evangelien an Bischof Salomo im 9. Jahrh. vor, ist[367] jedoch wahrscheinlich unter Höflingen u. gelehrt Gebildeten früher schon Sitte gewesen. Bis zum 13. Jahrh. hatte sich folgende Gewohnheit ausgebildet: geihrzt wurden Höhere von Niederen, der Vater von den Kindern, die Mutter von dem Sohn, Eheleute von einander, Frauen, Geistliche, Fremde; geduzt wurden Niedere von Höheren, Kinder von Eltern, Mütter von Töchtern, Brautleute, Freunde, Gesellen u. das gemeine Volk unter einander. Im 15. u. 16. Jahrh. kam es auf, daß Könige, Fürsten u. andere hohe Würdeträger statt mit Ihr, vielmehr mit ihrem Titel, Majestät, fürstliche Gnaden, Vester etc. angeredet wurden, u. nun ging die Rede in der 3. Person fort, u. zwar im Singular od. Plural, je nachdem die Anrede war. Doch wurde in directer Beziehung auf den Angeredeten noch geihrzt. Die Rhetoriken aus damaliger Zeit (z.B. die Strasburger von 1511) gaben Anleitung zum rechten Gebrauch des Du u. Ihr; der Kaiser duzt alle, auch die Geistlichen, bis zum Papste, die Edelleute sich unter einander, adelige Kinder ihre Eltern, Eltern ihre Kinder bis sie in einen höheren Stand treten; dagegen ihrzten sich die Geistlichen in ihren Schriften, Edelleute solche, die sie nicht für edel hielten, Kinder ihre Eltern. Seit dem 17. Jahrh. wurde Herr u. Frau, wohl nach französischem Vorgange, in der Anrede bloßes Höflichkeitszeichen, man verband Ihr damit in der Anrede, aber bald fing man an die indirecte 3. Person dazu zu setzen, u. beim weiteren Umsichgreifen wurde Herr u. Frau weggelassen, u. indirect in der 3. Person mit Er u. Sie (erzen u. siezen im Singular) angeredet. Ihr blieb nun blos für eine gewisse Mittelstufe der Vertraulichkeit od. Geringschätzung; Du für die unterste Stufe. Gegen das Ende des 17. Jahrh. (die ersten Spuren zwischen 1680–90) begann die feinste Höflichkeit, u. bis um 1740 hatte es Platz gegriffen, die indirecte Anrede aus der 3. Person Singular in die des Plural (Sie) zu setzen (siezen im Plural). Bis gegen 1780 galt Folgendes in den verschiedenen Abstufungen der Ehre: gesiezt im Plural wurden Alle, die von dem Anredenden weder abhängig waren, noch mit ihm in vertraulichen Verhältnissen standen; geerzt wurde der Gerichtshalter u. Pfarrer von dem Gutsherrn u. Kirchenpatron, der Büttel vom Amtmann, der Küster vom Pfarrer, der Schüler vom Schulmeister, der Eidam vom Schwiegervater; auch Handwerksleute (höchstens Goldschmiede, Uhrmacher u. dgl. wurden gesiezt); geihrzt wurden Handwerksgesellen, Fuhrleute, Gärtner, Soldaten, Bauern, Knechte, Mägde (nur ältere Dienstleute wurden als Zeichen der Vertraulichkeit geduzt). Jetzt ist gewöhnlich das Duzen unter Eltern u. Kindern, Eheleuten (selbst fürstlichen), Geschwistern, Freunden, Kameraden u. anderen in gleichen u. vertraulichen Verhältnissen mit einander Stehenden, auch Herrschaften duzen ihre Dienstboten; außerdem haben das Vorrecht, Alle mit Du anzureden, die Dichter, die Tyroler, die Quäker (bei denen es Glaubenssache ist); Er u. Sie (im Singular) bekommen nur ganz Geringe, übrigens braucht man gegen alle Andere Sie; Ihr wird selten noch gebraucht, hin u. wieder bedienen sich dessen Gleichstehende in höheren Ständen gegen einander, nach französischem u. englischem Vorgang. Von übrigen europäischen Völkern brauchen die Holländer nur Ihr (gij); Du u. Ihr wird in den romanischen Ländern (fr. tu u. vous) u. von den Engländern (thou u. you) etwa in den Abstufungen, wie in der mittleren Zeit in Deutschland gebraucht; eine 3. Person findet sich nicht in der Anrede; die Schweden reden mit Du (du) vertraulich u. würdevoll, sonst mit ni (einem besonderen achtungsvollen Worte der Anrede, das weder Ihr noch Sie bedeutet) an; die Dänen brauchten stufenweis du (du), j (ihr) u. de (sie im Plural), doch construiren Schweden u. Dänen zu ihren pluralen Anreden das Verbum im Singular u. die Franzosen das Prädicat im Singular; von den slawischen Völkern, zu denen schon im Mittelalter der Gebrauch des Ihrzen drang, haben nur die Polen das Duzen beibehalten; die vornehmen Russen, Böhmen, Slovenen u. Serbier reden wie die Neugriechen mit Ihr an.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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