Enghien [2]

Enghien [2]

Enghien (spr. Anghieng), Grafen u. Herzöge von E. Die Herrschaft E. in Belgien war mit 78 Dörfern die erste Baronie im Hennegau Hugo von E. kommt schon 1112 urkundlich vor, u. seine Nachkommen kämpften in Flandern, Hennegau, Frankreich u. dem Orient u. von ihnen erbte Walther V. mit Johanna von Brienne, der einzigen Schwester des bei Poitiers gebliebenen Connetable Walther VI., Grafen von Brienne u. Herzogs von Athen, 1320 nicht nur die Ansprüche auf das Herzogthum Athen, sondern auch die Grafschaft Brienne in der Champagne u. Lecce, Castro u. Conversano in Neapel. Walthers Enkelin Maria brachte ihrem Gemahl, Raimund Orsino, Fürsten von Tarent die italienischen Besitzungen zu; Wittwe geworden, heirathete sie 1305 Ladislaus, König von Neapel; aber von demselben gemißhandelt, ging sie nach Tarent zurück, u. die italienischen Besitzungenkamen 1419 mit Ladislaus an ihre Kinder. Von dem Hauptstamm wurde unterdessen Siger II. Herr von E., Herzog zu Athen, welcher zu E. residirte, mit dem Herzog von Hennegau, Albrecht von Baiern, gefangen genommen u. 1377 zu le Quesnoy enthauptet. In Folge dessen entstand ein Krieg zwischen den Verwandten des Ermordeten u. dem Herzog Albrecht, bis 1381 Walther VI. von E. bei der Belagerung von Gent fiel. Ihn beerbte sein Oheim Ludwig von E., Graf von Conversano, u. dessen Erbtochter Margarethe brachte Johann I. von Luxemburg, Herrn von Baumanoire, ihr großes Besitzthum zu, welches, als dieser um 1397 st., beider Sohn, der Connetable Graf St. Paul, aus dem Hause Luxemburg, erhte. Als dieser 1475 in Paris enthauptet wurde, fiel E., die Grafschaften Brienne, Rosnay, Conversano, Piney, Ronnern, Condé, die Ansprüche auf die Herzogthümer Athen, Korinth, Theben u. Argos durch Heirath von dessen Tochter Maria mit Franz von Vendôme an das Haus Bourbon. Enkel von beiden waren Anton, König von Navarra, François von Bourbon, Graf von E. (s. Enghien 1) u. Ludwig von Condé. Der mittlere von beiden, 1) François de Bourbon, Graf von E., Sohn Karls von E. u. Franziskas von Alençon, geb. 1519 zu la Fère, Statthalter von Hennegau, Piemont u. Languedoc, erhielt von Franz J. 1543 den Oberbefehl über eine Armee, mit der er Nizza, die letzte Zuflucht des Herzogs von Savoyen, eroberte, in Piemont eindrang u. die Schlacht von Cérisoles 1544 gewann, wodurch ganz Savoyen in die Hände der Franzosen[700] kam. Nach dem Frieden von Crespy an den Hof zurückgekehrt, folgte er dem König nach la Roche Guyon bei Vernon an der Seine u. verlor dort sein Leben 1545 bei einem Schneespiele, indem er u. mehrere andere Herren des Hofes einen Kampf mit Schneebällen gegen den Dauphin lieferten; in der Hitze griff man auch nach andern Waffen, u. ein Ritter, Bentivoglio, warf dem eben auf einer Bank Verschnaufenden vom Schloß aus eine Leinwandkiste auf den Kopf, so daß er starb. E. fiel nun an 2) Joh. von Bourbon, Graf v. Soissons, der aber kinderlos bei St. Quentin 1557 blieb. E. scheint nun an Anton, König von Navarra, gefallen zu sein, denn dessen Sohn Heinrich IV. verkaufte 1607 die Herrschaft E. an Karl von Ligne, Herzog von Aremberg, während schon früher der Titel E. an das Haus Bourbon völlig übergegangen war. Karl IX hatte nämlich um 1567 zu Gunsten Ludwigs I., Prinzen von Condé, aus der Herrschaft Nogent le Rotroit in Perche ein Herzogthum E. le français errichtet, u. die Condés benutzten nun dies E. le français als Secundogenitur so, daß immer der älteste Sohn der Condes, so lange der Vater lebte, den Titel Herzog von E. führte; so waren Heinrich I., Heinrich II. u. Ludwig II. der Große (s. Condé), so wie alle folgenden Condés, früher Herzöge von E., bes. aber außer dem Letztgenannten, der als solcher bedeutenden Kriegsruhm erwarb, sind merkwürdig: 3) Louis Antoine Henri von Bourbon, Herzog von E., geb. 1752 zu Chantilly, Sohn des Prinzen Henri Louis Joseph von Condé; emigrirte 1789 u. trat dann nach mehreren Reisen 1792 in das Condésche Corps, führte seit 1796 dessen Oberbefehl u. verließ es erst 1801, da es aus einander ging. Nach dem Luneviller Frieden begab er sich nach Ettenheim auf badenschem Gebiete u. lebte dort als Privatmann, vorzüglich durch eine Liebe zur Prinzessin Charlotte von Rohan Rochefort gefesselt. Daselbst ließ ihn Napoleon, der den Herzog im Verdacht hatte, das Haupt einer von Georges Cadoudal u. Pichegru angestifteten Verschwörung zu sein, in der Nacht vom 14. zum 15. März 1804, die Neutralität des Gebiets nicht achtend, durch den General Ordener mit Gensdarmen aufheben u. nach Strasburg u. von da nach Vincennes bringen; dort wurde er am Abend des 20. März vor ein vom General Hulin präsidirtes Kriegsgericht gestellt, vor dem er erklärte, daß er kein Verschwörer sei; doch gab er zu, die Waffen gegen Frankreich geführt zu haben u. im englischen Solde zu stehen. Hierauf wurde aus letzterem Grunde das Todesurtheil gegen ihn ausgesprochen u. die Hinrichtung des Herzogs noch in derselben Nacht in dem Schloßgraben zu Vincennes vollzogen. Er wollte einem Soldaten einen Brief, eine Locke u. einen Ring an die heimlich mit ihm vermählte Prinzessin Rohan zustellen, allein ein Offizier entriß sie ihm mit dem Worten: Von einem Verräther keine Aufträge! Er stellte sich hierauf den zu dieser Execution commandirten Soldaten gegenüber u. fiel unter den Worten: Wohlan meine Freunde! Hulin fuhr eben durchs Thor von Vincennes, um sich zum Kaiser zu begeben u. diesen um Gnade zu bitten, als ihn die Schüsse belehrten, daß es zu spät sei. Der Kaiser erschrak, als er diese voreilige Hinrichtung erfuhr, bereuete diese That oft u. erklärte zu Helena, daß er dem Staatsrath Real befohlen habe, E. zu verhören, u. daß nur die zu schnelle Dienstfertigkeit seiner Untergebenen Schuld an dem Tod E-s gewesen sei. Einen Brief, den er nach seinen Mémoires erst nach der Hinrichtung erhalten haben will, hat E. nicht geschrieben, vielleicht war es der Brief an die Prinzessin Rohan, den er las. Nach der 2. Restauration 1816 wurde E-s Leichnam ausgegraben u. bei ihm noch eine goldene Kette, Geld etc. gefunden. Dies widerlegt das Gerücht von der Beraubung des Leichnams nach der Execution. Ludwig XVIII. u. die Kammern ließen dem Herzog in der Kirche zu Vincennes ein Denkmal setzen. Vgl. Dupins u. Mehces Schriften über E-s Tod Savarys Vertheidigungsschrift u. Hulins Selbstanklage, sämmtlich Par. 1823; Neuer Pitaval, 10. Bd.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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