- Grönländische Mythologie
Grönländische Mythologie. Als höchstes Wesen verehrten die Grönländer Silla (d.i. Luft, Himmel), einst Pirksoma (d.i. die da droben) u. Sillam Innua (d.i. Inhaber des Himmels), genannt; unter ihm stehen alle Geister u. Menschen, er sieht auf Letztere, je nach der Sittlichkeit ihrer Handlungen, gnädig od. ungnädig herab. Alle andere göttliche Wesen sind Geister; so die Geister der Sonne u. des Mondes (Nerrim-Innuet), sie sind Malinau, ihr Bruder Alminga; sie wurden über ihrem Spiele von der Erde in den Himmel gehoben; das Ab- u. Zunehmen des Mondes halten die Grönländer für den schlechten od. guten Seehundsfang, den die beiden Götter halten. Nach Einigen sind Anninget u. Edschut (Ajat) die Sonnen- u. Mondgottheiten, s. unten. Die mächtigsten Geister (Torngak) sind: Torngarsuk (Torngarsaak), der gute Geist, u. die namenlose Frau desselben, Tochter eines Angekok, die unter dem Meere wohnend, alle Seethiere hält, welche sie nur auf die Beschwörung eines Angekok frei gibt, daß reichlicher Fang ist. Niedere Geister sind die Luftgeister, u. zwar Innerterrirsok, davon Erlöersortak, der die Eingeweide der Todten verzehrt, Meer-, Kongeusetokit, Feuer-, Ingersoit, Berg-, Tonnersoit, Kriegs-, Erkiglit, u. Wassergeister; der Wind- u. Wettergeist, Sillagisertok, haust auf Eisfeldern. Sie alle sind einst Menschenseelen (Tarngek) gewesen u. alle Menschenseelen werden noch zu Geistern. Die Erde denken sich die Grönländer ruhend auf alten morschen Stützen im Meere, die immer der Ausbesserung bedürfen; der Himmel ruht auf hohen spitzigen Bergen u. dreht sich um dieselben. Der erste Mensch, Kallak, kam aus der Erde, u. seine Frau aus seinen Daumen. Einige halten auch den Sonnengeist, Anninget, für den Stammvater u. den Mondgeist, Edschut, für die Stammmutter der Menschen. Auch eine Fluth war einst, indem die Erde umschlug u. alle Menschen umkamen; nur Einer blieb übrig, der durch einen Stockschlag auf die Erde sich eine Frau hervorbrachte. Nach dem Aussterben der Menschen wird die Erde durch eine neue Fluth von dem Blute[665] der Todten gereinigt u. Silla erweckt dann alle Menschen u. Thiere, indem er auf sie bläst, zu neuem Leben. Die Priester (Angekoks) sind zugleich Zauberer u. Wahrsager. Wer ein solcher werden will, muß sich einen von den Geistern der Elemente zu seinem Torngak (Genius) zu verschaffen wissen, welches durch Fasten, Beten u. Kasteiungen geschieht. Dann erhält er Erscheinungen, bekommt Convulsionen u. wird (zur Nachtzeit) fähig, Beschwörungen zu machen. Will ein Angekok eine Beschwörung vornehmen, so trommelt er erst, macht wunderliche Bewegungen, läßt sich den Kopf zwischen die Beine u. die Hände auf den Rücken binden u. alle Lichter auslöschen u. stimmt dann mit den Anwesenden einen Gesang an, beginnt zu seufzen, zu schnauben u. zu schäumen. Will der Geist noch nicht kommen, so fährt seine Seele aus ihm, um denselben zu holen, u. wenn derselbe erreicht ist, so kehrt die Seele zurück; dies verkündet er mit großem Geschrei. Nun bespricht er sich mit dem Torngak über die ihm vorgelegten Fragen. Die immer sehr dunkeln Antworten müssen sich die Zuhörer selbst zu deuten suchen. Bei wichtigen Geschäften gibt der Angekok vor, mit dem Torngak in das Reich der Seelen hinabsteigen zu müssen, um die Antworten zu holen Lieder u. Austheilung des Segens endigt diese Scene. Verehrung beweisen sie ihren Gottheiten nicht; sie feiern jährlich nur Ein Fest, das Sonnenfest, 22. December, als Freude über die Rückkehr der Sonne u. den erneuten Seehundfang, ohne alle religiösen Ceremonien; es wird nur geschmaust, gesungen u. getanzt.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.