- Kant
Kant, Immanuel, geb. 22. April 1724 in Königsberg, Sohn eines Sattlers, studirte seit 1740 in seiner Vaterstadt Theologie, Naturwissenschaften, Mathematik u. Philosophie, war dann neun Jahre Hauslehrer in mehreren Familien u. habilitirte sich 1755 als akademischer Lehrer der Philosophie in Königsberg, wurde 1766 zweiter Aufseher der königlichen Bibliothek, 1770 Professor der Logik u. Metaphysik u. starb, nachdem er seit 1795 den Lehrstuhl nicht mehr betreten hatte, geistesschwach geworden, 12. Febr. 1804. Seine Hauptschriften sind, abgesehen von einer großen Anzahl kleinerer Abhandlungen: Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte, 1746; Allgemeine. Naturgeschichte u. Theorie des Himmels, 1755; Über den [284] Optimismus, 1759; Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, 1763; Beobachtungen über das Gefühl des Schönen u. Erhabenen, 1764; Über die Evidenz in den metaphysischen Wissenschaften, 1764; Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, 1766; De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis, 1770; Kritik der reinen Vernunft, 1781; Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, 1783; Ideen zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, 1784; Was ist Aufklärung, 1784; Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, 1786; Kritik der praktischen Vernunft, 1788: Kritik der Urtheilskraft, 1790; Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodicee, 1791; Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, 1793; Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre, 1796; Metaphysische Anfangsgründe der Tugendlehre, 1797; Der Streit der Facultäten, 1798; Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, 1798. Aus seinen Vorlesungen gab G. B. Jäsche die Logik (1800), Fr. Th. Rink die physische Geographie (1802) u. Pädagogik (1803), Pölitz die über Metaphysik (1831) u. Religionslehre (1831) heraus; Sammlungen seiner kleineren Schriften, z.B. von I. G. Tieftrunk, Halle 1799–1807, 4 Bde., Gesammtausgabe der Werke von G. Hartenstein (Lpz. 1838–1839, 10 Bde.), von Rosenkranz u. Schubert (ebd. 1838–42, 12 Bde.).
Angeregt von dem Skepticismus Humes u. die Mängel des Dogmatismus erkennend, geht K. von der Überzeugung aus, daß das Gelingen jeder philosophischen Untersuchung von einer kritischen Prüfung des menschlichen Erkenntnißvermögens bedingt sei, daher seine Philosophie den Namen der kritischen erhalten hat. Um die Frage zu beantworten: worauf gründet u. wie weit erstreckt sich die Allgemeinheit u. Nothwendigkeit der Erkenntniß? unterschied er, auf der alten Annahme verschiedener Seelenvermögen fortbauend, Sinnlichkeit, Verstand, Urtheilskraft u. Vernunft dergestalt, daß zwar der Stoff (die Materie) der sinnlichen Empfindung uns durch die Erfahrung gegeben werde, die Form derselben aber, auf welche sich alle nothwendigen u. allgemeingültigen Erkenntnisse beziehen, theils in den reinen, d.h. von der Erfahrung unabhängigen Formen der sinnlichen Anschauung, Raum u. Zeit, theils in den im Verstande bereit liegenden Grund- u. Stammbegriffen (Kategorien, s.d.), deren er zwölf annahm, unabhängig von der Erfahrung bereit liege. Indem nun sowohl die Formen der reinen Anschauung, als auch die Kategorien (z.B. der Begriff der Substanz, der Ursache, der Größe, des Grades etc.) auf den gegebenen Stoff der sinnlichen Erfahrung unvermeidlich angewendet werden, entsteht die von Seiten der Form nothwendige u. für den Menschen allgemeingültige Erkenntniß, durch welche wir aber die Dinge nicht erkennen, wie sie an sich sind, sondern nur, wie sie uns erscheinen; weshalb die Kantsche Lehre auch der kritische od. transcendentale Idealismus genannt wurde. Die menschliche Erkenntniß ist aber eben deshalb auf die Erfahrung beschränkt, weil die Formen der Anschauung u. die Kategorien des Verstandes ohne Beziehung auf die Erfahrung ganz leer sind; jeder Versuch, die Erkenntniß über die Grenzen möglicher Erfahrung hinaus zu erweitern, wird überfliegend od. transcendent. Die Veranlassung zu solchen Versuchen liegt in der Vernunft, welcher die Idee des Unbedingten u. Unendlichen ebenso eingepflanzt ist, wie dem Verstande die Kategorien. Indem die Vernunft zu dem Bedingten u. Endlichen das Unbedingte u. Unendliche sucht, verwickelt sie sich, da sie dasselbe nur mit Hülfe der Kategorien bestimmen kann, in Widersprüche, Antinomien, u. die Entscheidung dieser Dialektik der reinen Vernunft findet K. in dem Satze: daß es von der Vernunftidee des Unendlichen keinen constitutiven, sondern nur einen regulativen Gebrauch gebe, d.h. daß sie das menschliche Denken antreiben dürfe, die Erkenntniß immerfort zu erweitern, ohne doch eine bis zum Unendlichen u. Unbedingten erweiterte Erkenntniß darzubieten. Während jedoch auf theoretischem Gebiete die Vernunft über die drei Hauptgegenstände, deren Erkenntniß alle Erfahrung überschreitet, Gott, Freiheit u. Unsterblichkeit, keinerlei eigentliches Wissen darbietet, so ist sie auf dem praktisch-sittlichen Gebiete unmittelbar gesetzgebend; der kategorische Imperativ, in welchem sich das Sittengesetz ankündigt, ist unbedingt gültig, u. als Bedingungen für die endliche Erreichung des sittlich Gebotenen u. für die Ausgleichung der in der Sittlichkeit liegenden Glückswürdigkeit mit der Glückseligkeit erklärt K. Gott, Freiheit u. Unsterblichkeit für Postulate der reinen praktischen Vernunft, d.h. für etwas, was zwar nicht gewußt wird, aber aus sittlichen Gründen geglaubt werden muß. Die Religion ist somit eine Folge der Moral, u. der religiöse Glaube findet sein Maß, u. seine Beziehungspunkte wesentlich in sittlichen Überzeugungen; ein Satz, durch welchen K. einen wesentlichen Einfluß auf die Entwickelung des theologischen Rationalismus ausübte. Der der Urtheilskraft inwohnende Begriff der Zweckmäßigkeit findet seine Anwendung auf dem Gebiete theils der Kunst, theils der Natur, u. K-s Kritik der Urtheilskraft ist der Untersuchung der Bedeutung gewidmet, welche er für beide Gebiete hat. In der Rechtslehre vertrat K. die Lehre von angeborenen Rechten u. interessirte sich lebhaft für eine freisinnige Gestaltung des Staatslebens. Anfangs vielfach mißverstanden u. bekämpft, gewann die Philosophie K-s bald einen weitgreifenden Einfluß, nicht blos in Deutschland, sondern auch, im Auslande. Die Theologie, die Rechtslehre, die Ästhetik, die Naturforschung wurden von ihr berührt, zum Theil in ganz neue Bahnen der Forschung getrieben, u. der Ernst u. die Würde seiner sittlichen Denkart, eben so wie seine unbestechliche Wahrheitsliebe, sichern K. die Verehrung aller Zeitalter, auch nachdem die systematische Form seiner Lehrmeinungen sich als unhaltbar gezeigt hat. Die späteren Umbildungen der deutschen Philosophie, wie sie in den Systemen Fichte's, Schellings, Hegels u. Herbarts nach einander aufgetreten sind, finden ihre Ausgangspunkte zum großen Theile in Fragen u. Problemen, welche K., wenn auch nicht gelöst, doch angeregt u. aufgestellt hatte, u. so bildet K. den Anfang einer neuen Periode in der Geschichte der Philosophie. Vgl. Borowski, Darstellung des Lebens u. Charakters K-s, Königsb. 1806; Wasiansky, K. in seinen letzten Lebensjahren, ebd. 1805; Jachmann, K. geschildert in Briefen an einen Freund, ebd. 1805; Fr. Wilh. Schubert, Das Leben K-s, u. K. Rosenkranz, Geschichte der Kantschen [285] Philosophie, im 11. u. 12. Bande der Gesammtausgabe der Werke K-s; Mirbt, K. u. seine Nachfolger, Jena 1841, Bd. 1.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.