- Seekrankheit
Seekrankheit (Vomitus navigantium, Morbus nauticus, Vomitus marinus), ein eigenthümliches Leiden, welches die zum ersten Mal auf der See Fahrenden fast immer überfällt; es ist acutes od. chronisches, meist sehr angreifendes Erbrechen, wobei Schwindel, Betäubung, Hinfälligkeit, Muthlosigkeit, Schmerz u. Hitze im Kopfe, bes. über den Augen, erst rothes, dann blasses Gesicht, Frösteln, Magen- u. Leibschmerzen, Verstopfung, belegte Zunge, Schlaflosigkeit, große Empfindlichkeit gegen alle Eindrücke, Unfähigkeit zum Denken u. zur Aufmerksamkeit, schwacher Puls etc. Statt finden. Manchmal erscheinen statt des ordentlichen Brechens nur Übelkeit, Ekel, Aufstoßen, Spucken. Die S. verschont selten einen ungewohnt die See Befahrenden, befällt aber vorzüglich junge Leute, seltner Kinder u. Alte. Blondhaarige mit zarterem, beweglicherem Körper baue, u. Frauenzimmer neigen sich mehr dazu; doch werden oft die stärksten Menschen heftig davon befallen, während sehr reizbare verschont bleiben. Viele werden durch die Gewohnheit an das Seefahren dagegen abgehärtet, doch bekommen auch die ältesten Matrosen zuweilen dieselbe, wenn sie eine Zeit lang auf dem Lande waren. Man ist ihr auf großen Schiffen eben so wie auf den kleinsten Böten ausgesetzt. Die langen Wellen vorzüglich auf der offnen See bewirken das Übel mehr, als die kurzen; je weniger das Schiff bewegt wird, desto weniger ist man darauf der S. ausgesetzt. Ist das Übel acuter Art, welche bes. bei schlimmer Witterung auftritt, so dauert es 6–9 Tage; die chronische S. dagegen hält, mit zufälligen Unterbrechungen, wenn gleich nicht so heftig, viel länger an. Nebenumstände, als der üble Geruch auf den Schiffen, der Meergeruch, schlechte Schiffskost, ungestümes Wetter, der Aufenthalt in der Kajüte, Gemüthsbewegungen etc. verschlimmern den oft höchst peinlichen Zustand sehr. Dagegen können heftige Leidenschaften, stilles Wetter, viele Zerstreuung das Liegen in Hängematten, deren noch so starkes Schaukeln die S. nicht so leicht verursacht, große Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand, ein starker Wille etc. sie unterbrechen od. mildern. So gefahrlos die Krankheit meist ist, so können doch bei schwächlichen Constitutionen auch nachtheilige Folgen (Blutflüsse, Ohnmachten, Brüche, Magenschwäche) eintreten. In der Kajüte, in der Nacht, ist das Übel schlimmer, dagegen befindet sich der Kranke auf dem Verdeck in frischer Luft besser. Die S. ist Folge der eigenthümlichen Bewegungen des Schiffes u. hängt vorzugsweise von einer Affection der Nerven ab. Hauptsächlich scheint das Gehirn der leidende Theil, bei manchen Personen aber auch das Rückenmark, die Magennerven selbst gestört zu sein. Der beste Schutz gegen die S. ist nebst guter kräftiger Kost ohne Überfüllung des Magens u. Vermeidung aller arzneilichen Reizmittel, ein richtiges, ruhiges Verhalten. Das ausgebrochene Übel wird am besten durch horizontale Lage mit wohlgestütztem Kopfe gemildert (besser als durch Arzneien wie Pfefferminze, Naphtha, Opium, Kreosot u. dgl.); gegen das Erbrechen sind Brausepulver, Selterswasser, Eispillen gestattet, am gründlichsten wird in der Regel das Übel geheilt durch Betreten des festen Landes.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.