- Staar [2]
Staar, 1) Beschränkung od. gänzliche Aufhebung des Sehvermögens, welche entweder in den nervösen Gebilden des Auges, als Schwarzer S., od. in einer Trübung der Krystalllinse, als Grauer S., od. des Glaskörpers, als Grüner S., begründet ist. [615] A) Der Schwarze S. (Amaurosis), ist die Blindheit, welche von Fehlender Sehnerven, seiner Ausbreitung im Auge, der Netzhaut u. den Ciliarnerven herrührt, wodurch die Empfänglichkeit für Einwirkung der Lichtstrahlen entweder vermindert ist, der Kranke nur schwach sieht (amaurotische Gesichtschwäche, Amblyopia amaurotica), od. gänzlich aufgehoben ist (Amaurosis completa). Symptome des Leidens: bald auf einem Auge allein, bald auf beiden zugleich, nimmt das Sehvermögen ab, od. ist gänzlich vernichtet; voran gehen meist Kopfschmerzen, Schmerzen im Auge, Schwindel, heftige Lichtentwickelungen od. plötzliche Dunkelheit vor den Augen; zuweilen ist nur die eine Hälfte der Netzhaut amaurotisch, u. dann sieht der Kranke nur die Hälfte der Gegenstände (Hemiopsie), od. es scheinen einzelne Theile an den Gegenständen zu fehlen, od. die Sehkraft ist in der Netzhaut ungleich vertheilt, wo dann strich-, ring- od. schlangenförmige Gestalten entstehen (Scotomata), welche Anfangs vor den Augen unstät herumfliegen, späterhin aber feststehen, Mückensehen (Mouches volantes, Myodesopsie, s.d.); zuweilen erscheinen jene Gestalten netz- od. florartig; öfters sieht der Kranke Licht u. Blitz vor den Augen (Photopsie); zuweilen leidet er an Lichtscheu, während welcher er oft bei schwacher Beleuchtung die kleinsten Dinge erkennen kann (Oxyopie); nicht selten sieht er alle Gegenstände nebelig, manchmal doppelt (Diplopie), od. er sieht Farben (Chrupsie), bes. an den Peripherien der Objecte, zuweilen fehlt ihm aber auch die Fähigkeit, die Farben richtig zu unterscheiden (Achromatopsie), od. er schielt (Strabismus), od. leidet an Schiefstehen des Auges (Luscitas); zuweilen ist er fernsichtig, zuweilen kurzsichtig, manchmal sieht er die Gegenstände ganz verunstaltet u. verschoben (Metamorphopsie); die Pupille ist bald u. meist zu groß, bald zu klein, fast immer winkelig u. verzogen, im Hintergrunde etwas rauchig u. nebelig, od. dunkelgrau od. graugrünlich, röthlich od. gelblichweiß. Eine bisweilen vorkommende concave bleigraue, weißgelbe od. ins Röthliche schillernde Verdunkelung in der Tiefe des Auges mit opalisirender Pupille u. Abnahme des schwarzen Pigments nannte Beerdas amaurotische Katzenauge. Die Iris ist zugleich, bes. beim ausgebildeten Schwarzen S. ganz starr u. unbeweglich u. gegen den stärksten Lichteindruck unempfindlich. Zuweilen ist beim Entstehen des Schwarzen S.-s die Receptivität im Auge erhöht, das Wirkungsvermögen aber vermindert (erethische Amaurose), dann ist starkes Licht für das Auge empfindlich, erzeugt wohl gar Schmerz im Auge, der Kranke sieht auffallend gut bei schwachem Licht u. in der Dämmerung, bei hellem Lichte ist er nicht im Stande etwas zu erkennen. Am Morgen, wo die Receptivität erhöht ist, so auch nach einiger Ruhe, sieht er am schlechtesten, nach mäßiger Anstrengung des Auges sieht er besser; strengt der Kranke die Augen sehr an, so werden die Gegenstände undeutlich, erscheinen mit farbigen Rändern umgeben; wenn er auch die Objecte nicht mehr erkennen kann, so ist es ihm doch nicht ganz schwarz vor den Augen, die Iris ist meist sehr beweglich. Dieser Schwarze S. kommt bei jungen Leuten, bei schwächlichen, zarten u. hageren Körpern, bei Individuen von sanguinischem Temperament vor. Dagegen gibt es Amaurotische, bei welchen die Receptivität im Auge bes. in der Retina gleich Anfangs vermindert ist (torpide Amaurose); die Gegenstände erscheinen dann sogleich dunkler, in undeutlichen Umrissen, am Morgen u. nach einiger Ruhe sehen solche Kranke besser, je mehr sie aber das Auge bei Tage beschäftigen, desto trüber wird das Sehen; bei hellem Himmel u. bei reiner Luft sehen sie besser, als bei trübem, bedecktem Himmel, das Auge ist trocken; die Bewegungen der Iris sind sehr träge u. die Pupille zuweilen ganz starr, das Auge ist meist nach oben gerollt, der Kopf nach hinten. gerichtet (während an Grauem S. Leidende den Kopf mehr vorwärts neigen). Diese Art des Schwarzen S-s beobachtet man bei älteren Personen mit cholerischem Temperament, dunkeln Augen, apoplektischem Habitus, bei zu Gicht Geneigten etc. Zuweilen ist der S. intermittirend, bisweilen folgt er der Periode der Menstruation. Ursächliche Momente des Schwarzen S-s sind: eine besondere Beschaffenheit der Augen überhaupt, so daß bes. dunkel gefärbte Augen dem Übel leichter unterworfen sind als hellgefärbte; oft ist die Anlage zur Amaurose angeboren; ferner sind gewisse Lebensperioden dem Übel leichter unterworfen als andere, so die Zeit des Aufhörens der Katamenien. Weitere Ursachen sind: Congestion des Blutes nach dem Kopfe u. nach den Augen, hervorgebracht durch unterdrückte gewohnte Blutungen, durch heftige Anstrengung des Kopfes etc.; ferner Erschütterung des Kopfes, Entzündung der Netzhaut (Am. inflammatoria), Verletzung des Oberaugenhöhlennerven (Nerv. supraorbitalis) bei Stirnwunden, Quetschung u. Erschütterung des Augapfels selbst; Verlust der Säfte, lang anhaltende Diarrhöe, starke Blutflüsse, übermäßiger Samenverlust; ferner zu starke Anstrengung des Auges, bes. wenn das Auge einen Gegenstandlange u. anhaltend betrachtet, so beim Gebrauch der Vergrößerungsgläser etc.; zu plötzliche Einwirkung des Lichtes auf die Augen, welche lange dem Lichte entzogen waren; Mißbrauch von narkotischen Mitteln, namentlich Belladonna; gichtische u. rheumatische Processe, nervöse Krankheiten, heftige u. anhaltende Gemüthsaffecte, Sorge, Kummer, Zorn, hysterische Anfälle, Verstopfung in den Unterleibsorganen, Hypochondrie; endlich organische Krankheiten des Auges selbst, als: Augenwassersucht, Glaukom; od. in der Nähe des Augapfels, als Balggeschwülste in der Augenhöhle, Beinfraß u. Auswüchse der benachbarten Knochen, Aftergebilde in den den Sehnerven entsprechenden Theilen des Gehirns, Desorganisation des Nerven selbst etc. Der Schwarze S. gehört unter die Krankheiten, welche sehr schwer u. in der Mehrzahl der Fälle gar nicht zu heilen sind. Die Behandlung richtet sich nach den zu Grunde liegenden Ursachen.
B) Der echte Graue S. (Cataracta), zum Unterschied von dem falschen, einer Trübung in anderen Theilen des Auges als in dem Krystallkörper, z.B. von ergossenem Blute (Blutstaar), zeigt folgende Erscheinungen; gleich Anfangs entdeckt man dicht hinter der Pupille eine grauliche, nebelige Trübung; die Gegenstände scheinen in Nebel gehüllt, schmutzig od. staubig; die Abnahme des Gesichts steht im genausten Verhältniß mit der Trübung im Auge. Diese beginnt meistens im Mittelpunkte, selten am Rande der Pupille; bei weiterer Ausbildung zeigt sich am Rande der Pupille ein schwärzlicher Ring, der Schlagschatten, welchen die Iris auf die jetzt sichtbar gewordene Linse macht. Beginnt der S. in der Mitte der [616] Linse, so verbirgt er zuerst die dem leidenden Auge gerad gegenüber befindlichen Objecte, zur Seite hin kann der Kranke noch Gegenstände erkennen, daher im Halbdunkel, also bei erweiterter Pupille, das Sehen besser von Statten geht, als am hellen Tage, wo die Pupille verengt ist. Sobald aber die Krystalllinse völlig getrübt, der S. somit ausgebildet ist, sieht der Kranke bei heller Beleuchtung noch etwas besser, als in der Dämmerung u. bei schwachem Lichte, weil dann die schwächeren Lichtstrahlen nicht bis zur Netzhaut gelangen können, wenn auch die Pupille erweitert ist, das helle Licht aber immer noch einigermaßen durch die getrübte Linse eindringt. So lange die Trübung der Linse noch unbedeutend ist, leisten convexe Gläser die beste palliative Hülfe. Die Iris ist bei anfangendem Grauen S. beweglich. Der Graue S. ist nach seinem Sitze: a) Linsenstaar (Cataracta lenticularis) der am häufigsten u. zwar vorzüglich bei alten Personen vorkommt, die Verdunkelung ist hier in der Mitte am bedeutendsten u. nimmt nach den Seiten hin ab; die Farbe der Linse ist graulichweiß, in einzelnen Fällen aber auch milchweiß od. gelblichgrau, graubraun, ja sogar schwarzbraun, schwarzgrau. Bisweilen ist nur der mittelste Theil der Linse verdunkelt (C. centralis). b) Kapselstaar (C. capsularis); hier ist die Verdunkelung nicht immer in der Mitte zu bemerken, sondern geht meist von dem Rande aus, er besteht selten für sich allein, sondern geht meist in Kapselliusenstaar über. Die Verdunkelung ist oft ungleich, weiß, streifig od. punktirt, ästig, netzförmig, an dem einen Punkte dichter als an anderen; sie hat am gewöhnlichsten ihren Sitz in der vorderen Hälfte der Kapsel, kann aber auch die hintere ergreifen. Die Kapsel ist aber zuweilen nicht blos verdunkelt, sondern auch aufgeschwollen u. mit Auswüchsen bedeckt. Das Gesicht ist mehr gestört als bei Linsenstaar, der S. der Iris mehr genähert, weshalb der Schlagschatten fehlt od. unbedeutend ist; oft finden sich Verwachsungen mit benachbarten Theilen. Nach seinem verschiedenen Aussehen heißt er Stern-, Flecken-, Fenster-, Streifen-, Pyramiden-, kegelförmiger, Halb-, Balken-, Baumstaar. c) Kapsellinsenstaar (C. capsulo-lenticularis); hier ist die Kapsel u. Linse gleichzeitig verdunkelt; seine Farbe ist zuweilen kreideweiß, zuweilen perlmutterartig glänzend. d) Morgagnischer S., C. morgagniana), eine seltene Trübung der zwischen der Linse u. ihrer Kapsel befindlichen Morgagnischen Flüssigkeit, wobei die Linse meistentheils mit leidet. Nach der Consistenz des Grauen S-s unterscheidet man als einzelne Arten den weichen S., wo die Linse in eine breiartige, käsige Masse verwandelt ist; den Milch- od. Eiterstaar, wo die Linse sich in einem aufgelösten milch- od. eiterähnlichen Zustande befindet, u. den harten S., wo sie eine feste, bisweilen steinharte Consistenz hat. Die Farbe des S-s zeigt viele, meist die Consistenz verrathende Nuancen von Milchweiß, Grau, Grün bis zu Schwarz. Hinsichtlich gestörter Befestigung des S-s mit den benachbarten Theilen unterscheidet man den Balgstaar, welcher sich zum Theil gelöst, den Zitter- od. Schwimmstaar, wo dies in größerem Maße od. vollständig geschehen. Dabei kommt es bisweilen zu einer Vertrocknung des S-s, der trockenhülsige S. Man theilt ferner den Grauen S. ein, in den einfachen S., welcher weder mit anderen Augenkrankheiten, noch mit irgend einer anderen Krankheit des Körpers complicirt ist, u. in den complicirten S., wo dies der Fall ist. Ferner unterscheidet man in Hinsicht des Ursprunges den angeborenen u. den erworbenen S. Endlich theilt man den S. noch in den reisen u. unreifen u. nennt jenen einen solchen, wo der die Trübung des Krystallkörpers bedingende Krankheitsproceß vollendet u. der S. keiner weiteren Ausbildung mehr fähig ist. Hinsichtlich der Ursache des Grauen S-s herrscht noch große Dunkelheit; man weiß zwar, daß ein Entmischungsproceß in den betroffenen Theilen zum Grunde liegt, aber unter welchen Bedingungen dieser vor sich geht, läßt sich selten mit Gewißheit bestimmen. Am häufigsten mag wohl ein entzündlicher Zustand der Kapsel u. Linse die Veranlassung zur Trübung geben, welche nun entweder durch äußere Gewalt od. übermäßige Anstrengung der Augen, durch Metastasen irgend einer allgemeinen Körperkrankheit von Gicht, Skropheln, Hautkrankheiten, Fußgeschwüren, Schleimflüssen etc. hervorgebracht wird; zum Theil, mag aber auch eine mangelhafte od. fehlerhafte Ernährung der Kapsel u. Linse Ursache sein, so im hohen Alter, bei manchen Mischungskrankheiten, in Folge von Erschöpfung der Zeugungsorgane od. durch mechanische Einwirkung. Der angeborene S. soll eine Folge von gehemmter Entwickelung u. nicht fortschreitender Metamorphose des Embryoanges sein. Die Herstellung des Gesichts durch innere u. äußere Heilmittel ist beim Grauen S. selten u. höchstens im Anfange möglich, das einzige Mittel bleibt in den meisten Fällen die Operation (s. Staaroperation). Leidet das eine Auge am S., so wird das andere meist über kurz od. lang auch ergriffen, doch kommen auch Fälle vor, wo die Trübung sich nur auf ein Auge beschränkt. Zuweilen wird die Trübung der Linse durch eigene Thätigkeit des Auges wieder gehoben u. selbst S-e von flüssiger Consistenz aufgesogen. Übrigens erhalten vom S. Operirte nie ihr vollkommenes Gesicht wieder.
C) Grüner S. (Glaucoma), graugrünliche Trübung des Glaskörpers u. im höchsten Stadium sogar der Corticalsubstanz der Linse, indem durch Ausscheidung von Exsudat zwischen Choroidea u. Retina beide, sowie auch der Glaskörper in ihrer Ernährung beeinträchtigt u. späterhin atrophisch werden. Die erweiterte u. starre, bald oval, bald eckig verzogene Pupille läßt den Grund des Auges mit dem Eintritt der Ausschwitzung meergrün erscheinen, während später durch Trübung des Glaskörpers u. der Linse die Färbung etwas abgeändert wird. Die dunkelgefärbte u. späterhin oft wegen Pigmentmangel grau erscheinende Regenbogenhaut wird nach vorn gewölbt; die Hornhaut wird allmälig matt u. bisweilen zeigen sich an ihrer hinteren Fläche schwarze Pigmentflocken; der Augapfel fühlt sich anfangs hart an; das Sehvermögen nimmt schnell u. bedeutend ab, ja wird endlich ganz aufgehoben, obschon Lichterscheinungen noch längere Zeit fortdauern. Zumeist gehen mit der Entwickelung des Grünen S-s bedeutende Schmerzen im Auge, in der Stirn- u. Hinterhauptgegend einher, verschwinden aber späterhin. Der Grüne S. entsteht langsam od. auch sehr rasch, u. nicht selten wird auch das andere Auge unter gleichen Symptomen befallen. In den häufigsten Fällen verbleibt das Auge in diesem Zustande, zuweilen aber bilden sich Hornhautgeschwüre aus, denen Vorfall der Iris,[617] Hornhautstaphylom, Schwund u. Atrophie des Augapfels folgen; meistens werden ältere Leute davon befallen. Die Krankheit in ihrem Entstehen läßt sich nicht ohne Erfolg bekämpfen, während sie im entwickelteren Zustande nicht gehoben werden kann.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.