- Strategie
Strategie (v. gr., d.i. Heerführung), die Feldherrnwissenschaft u. Feldherrnkunst, die höchste Potenz der Kriegskunst; sie umfaßt alle einzelnen Wissenschaften derselben, aber nicht ihre Details, sondern nur die Idee; sie verhält sich zu diesen Details wie die höhere Mathematik zur niederen, wie die Hauptwissenschaft zu ihren Hülfswissenschaften. Sie umfaßt die Lehre von den Operationen großer Kriegsheere, von den Lagern u. Stellungen, die Kenntniß des Terrains im Großen u. schließt selbst die allgemeine Sorge für die Verpflegung, so wie die Kunst der Einleitung zu Schlachten od. Gefechten nicht aus; sie ist die Anordnung des Kriegs, wie die Taktik dessen Ausführung ist. Die Begriffe der S. u. Taktik streifen daher sehr nahe an einander. Während man mit S. die Feldherrnkunst bezeichnet, welche durch natürliches Talent hervorgerufen ist, nennt man Strategik (Strategetik) das Kriegsgenie, welches durch Studium u. Erfahrungen ausgebildet ist. Dieses Studium muß die allgemeine Geschichte der Kriege, bes. der Schlachten Gefechte, u. die Kriegswissenschaften in allen ihren Theilen umfassen u. dabei Philosophie u. Menschenkenntniß zu Hülfe ziehen; letztere kommen bes. in Betracht bei Aufstellung strategischer Maximen, d.h. Grundsätzen, welche der Strategie gemäß für alle Krieger nach ihrem Wirkungskreise, bes. aber für den Feldherrn gelten u. als unumstößliche Wahrheiten zu betrachten sind. Blücher war in diesem Sinne ein Strateg, Erzherzog Karl ein Strategiker, Napoleon Beides zusammen. Jeder Angriffskrieg hat seine Basis (Operationsbasis), d.h. eine Reihe neben einander gelegener fester Punkte mit Magazinen u. Depots, woraus die Verpflegung u. Ergänzung der Truppen gesichert u. von denen eine Operation ausgeht. In der Regel müssen bei einer Basis mindestens drei feste Plätze neben einander liegen; zugleich ist es gut, wenn mehre Reihen derselben hinter einander angelegt sind, obgleich immer nur die vorderste Reihe als eigentliche Basis zu betrachten ist. Heinrich von Bülow machte die Idee der Basis zuerst klar, Erzherzog Karl bildete die Lehre noch mehr aus. Die Basis des Feindes zu durchbrechen u. jenseit derselben in das Innere des Landes zu gelangen, ist meist der Zweck des Krieges u. der strategischen Operationen, welche zu einem bestimmten Object (Operationsobject), meist zu einer feindlichen Hauptstadt od. zu einer fruchtbaren u. einträglichen Provinz, zu gelangen streben. Alle Straßen, welche von der Basis nach dem Object führen, heißen Operationslinien. So wäre bei einem Kriege von Deutschland gegen Frankreich u. Belgien der Rhein von Basel bis Wesel wahrscheinlich die Basis, Paris das Object u. die Straßen vom Rhein dahin die Operationslinien. Je stumpfer der Winkel ist, welchen die äußersten Operationslinien bei dem Object machen, desto besser ist die Basis begründet; dagegen ist immer, wenn dieser Winkel spitziger wird als 60°, das Vorgehn nach einem solchen Object gefährlich, u. man muß lieber eine neue Basis sich erobern od. gründen, ehe man weiter geht. Zuweilen hat auch eine Operation zwei Objecte, u. die Linie, welche diese beiden verbindet, heißt die Objectivlinie. Sie ist es hauptsächlich, welche ein in der Defensive operirendes Heer vertheidigt. Außer den Hauptoperationsobjecten gibt es aber auch Nebenoperationsobjecte, welche vorher zu erobern sind, ehe man auf die ersteren losgeht. Solche Nebenobjecte sind vorzüglich Festungen u. Stellungen, in welchen der Feind den Gegner erwartet. Der Theil einer Operationslinie, welchen das vorrückende Heer bereits zurückgelegt hat u. welcher dasselbe mit der Operationsbasis verbindet, auch die Quer- u. Seitenstraßen od. Flüsse, Kanäle etc., durch welche zwei od. mehre abgesonderte Armeeabtheilungen unter sich in Verbindung stehen, heißen Communicationslinien. Punkte, in deren Nähe, meist wegen der dort zusammentreffenden Straßen, ein entscheidendes Gefecht vorzufallen pflegt, heißen strategische Punkte; strategische Angriffspunkte dagegen Punkte, welche in dem strategischen Plane begründet sind; sie sind oft verschieden vom taktischen Angriffspunkt, welchen die reine Gefechtslehre ohne Rücksicht auf höhere Beziehungen nach dem Terrain u. anderen Dingen u. Verhältnissen für den richtigen angibt. Strategischer Schlüssel, der Schlüssel zu einer Gegend od. Stellung, welcher zur Bezwingung derselben aus höheren Gründen, als die gewöhnlichen taktischen sind, nöthig ist; er muß errathen werden, während der taktische Schlüssel einer Stellung sich schon aus den bekannteren Lehren der Taktik ergibt. Vgl. Taktik u. Krieg. Vgl. H. von Bülow, Geist des neueren Kriegssystems, hergeleitet aus dem Grundsatze einer Basis der Operationen etc., Hamb. 1836; Erzherzog Karl, Grundsätze der S., erläutert durch die Darstellungen des Feldzugs von 1796 in Deutschland, Wien 1814, 3 Thle.; Derselbe, [909] Grundsätze der S. u. Anwendung derselben auf einen angenommenen Kriegsschauplatz etc., Nürnberg 1838; Valentini, Die Lehre vom Kriege, Berl. 1821 ff., 4 Bde.; Clausewitz, Hinterlassene Werke über Krieg u. Kriegführung, ebd. 1832–37, 10 Bde.; Derselbe, Vom Kriege, Berl. 1857, 3 Thle.; Willisen, Theorie des Großen Kriegs, ebd. 1832–37, 3 Thle.; Notizen über Taktik, S. u. Generalstabswissenschaften, Zürich 1850; Sustenau, Grundsätze der S., Ollmütz 1852; Rüstow, Der Krieg u. seine Mittel, Lpz. 1856; Geret, Leitfaden zum Selbststudium der S., Nürnb. 1855; Einige Gedanken über die heutige Kriegführung, Berl. 1859; Grundsätze der S. u. Taktik vom Major A. T., Lemberg 1861.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.