- Styl
Styl (v. gr. Stylos), 1) der metallne Schreibgriffel der Alten; s.u. Schreibmaterialien B) a); 2) (Stylförmiger Fortsatz, Stylus), s. Griffelförmiger Fortsatz; 3) (Schriftstyl, Schreibart, Genus dicendi), die nach Verschiedenheit des Zwecks od. des Schreibenden verschiedene Anwendung der Sprache, od. die eigentümliche Art seine Gedanken durch die Sprache auszudrücken. Da der S. mit dem Charakter u. der Bildung des Menschen genau zusammenhängt u. gleichsam ein treues Gemälde von ihm liefert (daher Buffon sagt: der S. ist der Mensch selbst), so zeigt er sich nicht nur verschieden in Ansehung der einzelnen Schriftsteller, sondern auch ganzer Völker; der Lakonische S. war nach der Bestimmtheit u. Trockenheit der Menschen des Dorischen Stammes kurz u. bilderlos, dagegen der Asiatische S. wort- u. bilderreich. Verschieden ist aber auch der S. nach den verschiedenen Werken der Kunst. A) Eigenschaften des S-s: a) Deutlichkeit u. Klarheit, d. h, die Gedanken müssen so ausgedrückt sein, daß sie von dem Leser vollkommen u. ohne Mühe verstanden u. begriffen werden. Zur Deutlichkeit u. Klarheit aber führt eine strenge Rücksichtnahme auf die Wahl einzelner Wörter u. Redensarten, dann auf die Anordnung ganzer Gedankenreihen (Sätze). In erster Hinsicht erfordert die Deutlichkeit; aa) Reinheit der Sprache, welche in der Wahl von Wörtern u. Ausdrücken besteht, die mit fortschreitender Cultur das Bürgerrecht in der Sprache erlangt haben (ausgeschlossen bleiben Provinzialismen, Archaismen, ausländische u. ohne Noch neugeschaffene Wörter); bb) Richtigkeit, welche in der treuen Beobachtung der durch die Grammatik bestimmten Gesetze besteht, (Fehler dagegen sind Barbarismen u. Solöcismen); cc) Proprietät od. Eigenthümlichkeit, wonach man das den darzustellenden Begriff in seinem Umfange u. seiner Bedeutung bezeichnende Wort wählt; hier müssen Synonyme streng geschieden u. wissenschaftliche Terminologien da, wo man die Kenntniß derselben nicht voraussetzen kann, vermieden werden, dd) Präcision od. Bestimmtheit, welche alles Überflüssige entfernt u. nicht mehr od. weniger gibt, als was zur genauen Darstellung des Gedankens, welcher dem Schriftsteller vorschwebt, erforderlich ist. Hinsichtlich der Anordnung ganzer Sätze u. Perioden gilt die Regel, daß dieselben weder zu lang sein u. aus zu vielen Gliedern bestehen (weil sonst Mangel an Verständlichkeit in mündlichen Darstellungen u. Ermüdung des Lesers in schriftlichen eintritt), noch auch zu kurz u. in zu viele Theile zerschnitten sein dürfen; sonst wird die Verbindung des Gedankens geschwächt u. gestört. Man unterscheidet demnach eine periodische Schreibart, wo die Sätze aus mehren Gliedern bestehen u. so mit einander verbunden sind, daß der Sinn des Ganzen erst mit dem Schlüsse des Satzes erhalten wirb; u. eine zerschnittene (Style coupé), in welcher die Gedanken in kurze, unabhängige Sätze vertheilt werden, deren jeder einen vollständigen Sinn für sich enthält. Beide finden, ihre Anwendung in verschiedenen Aufsätzen, jene z. V. in der Rede, diese in denen muntern u. lebhaften Inhalts. b) Würde des Ausdrucks, bestehend theils in der Vermeidung alles dessen, was durch anstößige Vorstellungen u. Empfindungen die Einbildungskraft u. das Gefühl für das Anständige verletzt (absolute Würde); theils, in der Übereinstimmung des Ausdrucks mit der Würde des behandelten Gegenstandes (relative Würde), c) Lebendigkeit od. Lebhaftigkeit welche der Natur der Sache u. dem Zweck der Rede gemäß Gefühl u. Einbildungskraft in rege Thätigkeit versetzt; Gegensatz: matter, kahler, trockener S., s. unten. Ein Beförderungsmittel der Lebendigkeit sind bes. die Figuren (s.d.). d) Mannichfaltigkeit des S-s; sie ist die Vollkommenheit des S-s, nach welcher ähnliche Gedanken, den übrigen Eigenschaften eines schönen u. guten S-s unbeschadet, auf verschiedene Weile ausgedrückt werden. Der Mannichfaltigkeit ist die Einförmigkeit od. Monotonie entgegengesetzt, e) Originalität des S-S wird bes. kund in einer überraschenden Neuheit, d.h. in dem öftern Gebrauch neuer od. doch ungewöhnlicher Wendungen u. Vorstellungsarten, B) Unterschiede in der Schreibart: a) Der gedrängte (concise, strenge) S. zeichnet sich durch eine Zusammenfassung der Gedanken in wenige, ausdrucksvolle Worte aus, ist oft lebhaft u. figürlich, weniger auf Anmuth, als auf Stärke u. Nachdruck berechnet u. gibt dem Leser zu denken, wie bei Thukydides, Sallustius, Tacitus. Abbt, Klopstock. I. v. Müller; b) die ausführliche Schreibart entwickelt dagegen die Gedanken weitläufig u. stellt sie von mannichfaltigen Seiten u. mehren Gesichtspunkten dar; Stärke wird hier durch Fülle u. Reichthum vertreten, wie bei Cicero, Wieland, Schiller. Beide haben ihre Vorebene u. ihre schickliche Anwendung, aber auf das Äußerste getrieben, arten sie auf der einen Seite in Abgebrochenheit u. Dunkelheit, auf der andern in Mattigkeit u. Weitschweifigkeit aus. c) Der trockene S., welcher alle Verzierungen ausschließt u. ohne auf die Einbildungskraft zu Wirten, sich blos auf Verständlichkeit beschränken will, ist nur in streng wissenschaftlichen Schriften anwendbar, wo die Wichtigkeit des behandelten Gegenstands vorgeht, z.B. bei Aristoteles, Kant; d) der kunstlose (plane) S., welcher Einfachheit nicht absichtlich sucht u. sogar lebhaft und nachdrücklich sein kann, wie bei Xenophon, Cäsar, Garve. e) Der anmuthige S. zeigt sich frei von unnützem Wortgepränge, von erkünsteltem Wohllaut, von zu kühnem Gebrauch der Figuren, dagegen in der fleißigen Auswahl der einzelnen Redensarten u. in der gefälligen Anordnung derselben u. hat den nöthigen Grad von Rundung. f) Üppig od. blumig wird der S., wenn die Ausschmückungen der Rede, z.B. durch Figuren, in Verhältniß zum Inhalt zu reichlich gespendet werden; g) der blühende S. veranlaßt durch, den mannigfaltigen Gebrauch von Verzierungen die Einbildungskraft zu einem nicht kühnen, aber freien, harmonischen Spiel, zu einer productiven, nicht gestörten Bewegung, z.B. bei A. W. Schlegel, Heidenreich, Jakobi; h) der leidenschaftliche[23] (hinreißende) S. zeichnet sich durch einen hohen Grad von Wärme aus u. verlangt einen hohen Grad des Nachdrucks; man findet ihn nur bei Rednern, welche von ihrem Gegenstande tief ergriffen sind, z.B. bei Cicero gegen Verres. C) Da jede Gattung der Rede od. des mündlichen u. schriftlichen Vortrags ihre besondere Weise verlangt, so ist der S. auch nach derselben sehr verschieden. Nach seiner relativen Würde u. nach der Absicht des Schreibenden wird er gewöhnlich eingetheilt in eine niedere od. vertrauliche, eine mittlere u. eine höhere Schreibart. Die a) niedere Schreibart (Genus dicende tenue, welche man nicht mit der niedrigen od. unedel n verwechseln darf) ist die Art des Ausdrucks, wie er meist im gesellschaftlichen Umgange Statt hat u. in Schriften für Leute angewendet wird, zu deren Fähigkeit u. Verhältnissen sich der Schriftsteller herablassen muß, ebenso in vertrauten Briefen, Dialogen, in allen Aufsätzen, welche zur Unterhaltung dienen, bes. in didaktischen Schriften. Bei b) der mittleren Schreibart (Genus dicende mediocre od. medium), in welcher hauptsächlich Belehrung, Ernst, Anstand u. Einfachheit herrscht, dürfen weder vertraulicher Ton, noch Bewunderung erregende Erhabenheit eingemischt sein; der Gebrauch derselben ist in Memorialen, Verträgen, Bittschriften, rechtlichen Aufsätzen etc. gewöhnlich, auch Geschichte gehört hierher, doch verträgt die Darstellung derselben mehr Schmuck, welcher überhaupt von dieser Gattung der Schreibart nicht ausgeschlossen ist, aber nur bescheiden sein muß. c) Die höhere Schreibart (Genus dicende sublime) endlich, zunächst nur die Sprache der dichterischen Phantasie u. der höheren Beredsamkeit, erhebt den Gegenstand, welchen sie darstellt, durch gewählte Worte u. zeigt an ihm nur das Große, in so fern es die Phantasie unterhalten u. höhere Gefühle erwecken kann; indem sie die Anwendung der Figuren verstattet, muß sie doch von Affectation, Übertreibung u. Überladung frei bleiben. Durch leichte, schickliche, motivirte Übergänge der einen dieser drei Schreibarten in die andere wird der Einförmigkeit vorgebeugt, welche durch das Festhalten an der einen entsteht. In dieser gewöhnlich gebrauchten Eintheilung des S-s ist die Verschiedenheit eines prosaischen u. poetischen S-s im Allgemeinen, so wie im Einzelnen eines rhetorischen (rednerischen), philosophischen, didaktischen (dogmatischen), historischen, Geschäfts-, Briefstyls etc. gegeben. Eine geordnete Darstellung der Regeln über den S. heißt Stylistik od. Theorie des S-s; dergleichen schrieben für die Deutsche Sprache Adelung, Über den deutschen S., 1785, 2 Thle.; Moritz, Vorlesungen über den S., fortgesetzt von Jenisch, Braunschw. 1808; Pölitz, Theorie des deutschen S-s, 1801, 2 Thle.; Bürger, Lehrbuch des deutschen S-s, Berlin 1826; Falkmann, Stylistik, 3. Aufl. Hann. 1835; Herling, Theoretisch-praktisches Lehrbuch der Slylistik, ebd. 1837. 2 Bde. u.a. 4) (Kunststyl), Darstellungsweise in der Kunst, bedingt, wie bei dem Schriftstyl, durch den Darstellenden u. durch das Dargestellte; nach Semper das zu künstlerischer Bedeutung erhobene Hervortreten der Grundidee u. aller innern u. äußern Coefficienten, die bei der Verkörperung derselben in einem Kunstwerke modificirend einwirkten. Man unterscheidet nach Bauweise u. Charakter griechischen, ägyptischen, gothischen, Renaissancestyl, sowie nach Formen Rundbogen- u. Spitzbogenstyl u. nach Zeitepochen Styl Ludwigs XIV., Frühgothischen, Spätrenaissancestyl. Aber jeder selbständige Künstler hat auch einen individuellen S. (Manier); ist er originell u. von objectiver Vortrefflichkeit, so beginnt mit ihm eine neue Schule. Dann hat jede Kunstgattung ihren eigenen S., durch den Inhalt u. die Bestimmung des Gegenstandes bedingt; über die verschiedenen S-e, s. Malerei, Bildhauerkunst, Baukunst. Endlich spricht man von einem Kunstwerk, es habe S., u. meint damit Einfachheit, Würde, Gesetzmäßigkeit. 5) (Mus.), Eigenthümliches, Charakteristisches eines Musikstücks; a) der strenge ob. gebundene S. (canonische, thematische, imitatorische Schreibart) zeichnet sich bes. dadurch aus, daß die möglich größte Sorgfalt auf die Reinheit des Satzes angewendet ist, alle Dissonanzen nach den Regeln gehörig vorbereitet u. aufgelöst werden u. daß die ganze Behandlung solcher in diesem S. geschriebenen Tonstücke thematisch ist, d.h. der Hauptsatz darin vorherrscht, u. die Kunst des doppelten Contrapunktes, die Fuge (s. b.) u. die canonischen Nachahmungen darin angewendet sind. Da nun die auf solche Art abgefaßten Tonstücke im Ausdrucke eine gewisse Würde haben u. ihre rhythmische Bewegung gewöhnlich langsam ist, so eignet sich ihre Ausführung mehr für große Räume, z.B. Kirchen, u. man wendet daher den strengen S. gern bei der Kirchenmusik an (Kirchenstyl). b) Der freie ungebundene S. (galante Schreibart) ist mehr der Ausdruck des erhöhten Gefühls u. der von der Situation eingegebenen Phantasie (lyrischer S.). Der Tonsetzer bindet sich hierbei nicht so genau an die Regeln des Contrapunktes, läßt manche Dissonanzen, um die Wirkung zu verstärken, frei eintreten etc. u. hat mehr den Ausdruck seines darzustellenden Gefühls im Auge. Meist herrscht im freien S. nur Eine Melodie, welche blos durch die beigegebene Harmonie unterstützt, gehoben u. verschönt wird. Sonst sprach man auch noch vom Kammer- od. Concertstyl (s. Kammermusik), Theater- od. Opernstyl (s. Theatermusik u. Oper) und einem sogenannten vermischten S., welcher vorzugsweise dem Oratorium eigen sein sollte; aber da man in allen diesen Gattungen von Musik, sowohl vom strengen, als auch vom freien S. nach Erfordern Gebrauch machen muß, so bedient man sich dieser Eintheilung nur noch zur Bezeichnung des Orts u. der Gelegenheit, an u. wobei solche Musikstücke aufgeführt werden, 6) Die verschiedene Rechnungsart nach dem Julianischen u. Gregorianischen Kalender; hier unterscheidet man einen alten S. (Stylus vetus) nach dem Julianischen (bei den Russen noch gewöhnlichen), u. einen neuen S. (S. novus) nach dem Gregorianischen Kalender; beide unterscheiden sich um 12 Tage; daher datirt man gewöhnlich 11. (23.) Februar, d.h. am 11. Febr. nach dem alten, od. am 23. Febr. nach dem neuen S.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.