- Mormonen
Mormonen (Heilige des Jüngsten Tages), religiöse Secte in Nordamerika, deren Stifter Joe Smith, geb. den 23. Dec. 1805 zu Sharon im Staate Vermont, ein schlauer, sinnlicher Mann u. früher mit Schatzgräberei beschäftigt, Engelserscheinungen gehabt haben wollte, welche ihn mit einer seit Jahrhunderten bei Manchester in New-York vergrabenen neuen Bibel (s. unten) bekannt machten. Smith gründete den 1. Junius 1830 seine aus 30 Mitgliedern bestehende Gemeinde, wobei Rigdon, Peterson, Cowdery u. And. thätig waren, gab ihr einen Organismus, welcher jede Gewalt den Priestern zutheilt, u. gründete in Independence im Staate Missouri eine Niederlassung, das Arsenal des Herrn genannt. Die große Intoleranz gegen Andersglaubende u. die Begierde, womit er über den ganzen Staat für seine Partei die Herrschaft zu gewinnen suchte, machten ihn verhaßt u. setzten ihn mit seiner ganzen Secte mannigfaltigen Verfolgungen aus; er wurde sogar verhaftet u. nach seiner Freilassung 1841 aus der Grafschaft Caldwell im Staate Missouri mit Gewalt vertrieben. Wie in Ohio u. Missouri, so ging es den M. auch im Staat Illinois, wo sie eine neue Stadt Nauvoo anlegten u. einen schönen Tempel bauten; es kam hier 1846 zum offenen Kampfe, welcher unter dem Namen des Mormonenkriegs bekannt geworden ist; ihre Stadt wurde mit Sturm genommen u. sie selbst vertrieben. Jedoch entstand unter ihnen selbst Parteiung hauptsächlich über die Frage, ob man sich den Vereinigten Staaten anschließen sollte od. nicht. Sehr nachtheilig wirkte die Einführung der Polygamie seit 1843, es entstanden Unruhen, bei denen Smith 1844 das Leben verlor. Sein Nachfolger Young hielt die Gemeinde mit Besonnenheit zusammen, allein die öffentliche Meinung war ihnen durchaus abgeneigt, u. so zogen sie aus dem Staat Illinois auf höchst beschwerlichen Wegen von 1846 bis 1848 über das Felsengebirge nach dem Großen Ocean u. ließen sich am Großen Salzsee im Utahgebiete nieder. Der hier gegründete unabhängige Mormonenstaat, über welchen mehrere Manifeste in die Welt gingen, erhielt bald großen Zuwachs, indem eine Auswanderungsgesellschaft die Übersiedelung der Armen erleichterte. Die Betreibung der Viehzucht u. der Verkehr mit den nach dem Ocean hin Reisenden brachte viel Gewinn, jedoch soll die Lage des Landes u. der Hauptstadt, Große Salzseestadt genannt, ungesund sein. Ihre Colonie blühte bei der strengen Ordnung, welche unter ihnen herrschte, u. bei ihrem regen Fleiß sehr schnell auf, u. bis 1849 waren 5 Städte gegründet. Die Verfassung ist ganz absolut; die Regierung ist in den Händen der kirchlichen Behörden, der Gouverneur, seit 1850 Brigham Jung, nennt sich einen Propheten Gottes u. gibt seine. Worte für Offenbarungen des Himmels aus, die geistlichen u. weltlichen Geschäfte besorgen das Collegium der 12 Apostel, die Siebziger, der Große Rath, der Rath der Großpriester, der Rath der Ältesten etc. Die Gerichtsbarkeit wird durch 19 Bischöfe in ihren Sprengeln ausgeübt u. die Verbreitung der Secte wird durch 25 Apostel gefördert, welche sich in die verschiedenen Länder[462] vertheilen. Obschon das Verhältniß der M. zu der Union, durch die Congreßacte vom 7. Sept. 1850 geordnet war, so lehnten sich dieselben doch mehrfach gegen die Verwaltungs- u. Gerichtsbehörden auf u. zwangen sie, nach Verbrennung des Gerichtsarchivs, 1856 die Hauptstadt zu verlassen, u. hieraus entstand 1857 ein sehr ernstlicher Conflict mit der Union. Die erste militärische Expedition unter dem zum Gouverneur ernannten Cunning u. Johnsten stieß auf viele Schwierigkeiten, bes. weil die M. in den Prairien das Futter verbrannt hatten, u. es mußten 1858 Verstärkungen nach gesendet werden. Nach. einem Gefecht den 15. Febr. 1858 kam es zu Unterhandlungen, es wurde den M. Amnestie ertheilt, u. am 24. Juni 1858 zog Johnston in die Hauptstadt ein, die von vielen Gläubigen verlassen wurde. Seitdem scheint sich das Verhältniß zwischen Young u. dem Gouverneur freundlich gestaltet zu haben. Auch in anderen Ländern, namentlich in England, Dänemark u. auf den Sandwichsinseln suchten sich die M. auszubreiten; in Norwegen durch einen Schneidergesellen, welcher mit einem norwegischen Schiffer von Aalborg in Jütland nach den Öfter Rüsöer an der Südküste Norwegens kam.
Die religiöse Anschauung der M. ist ein Gemisch von mystischen, chiliastischen u. socialistischen Ideen; ein geschriebenes Glaubensbekenntniß wurde später, um den Vorwurf des Heidenthums zu widerlegen, veröffentlicht, wonach sie an Vater, Sohn u. heiligen Geist glauben. Ihre Predigten enthalten meist Auslegungen von Weissagungen, dabei aber auch eine scharfe Polemik gegen Andersglaubende. Die Heilige Schrift verstehen sie wörtlich u. buchstäblich, u. deshalb ist ihre Lehre reich an Anthropomorphismen. Mit den amerikanischen Baptisten haben sie nur die Untertauchung bei der Taufe gemein, einige ihrer chiliastischen Ideen erinnern an die Irvingianer. Ihr Leben ist sehr gesellig. Durch die Presse suchen sie ihre Sache zu fördern. Die Quelle ihrer Religion ist die Mormonische Bibel (Book of Mormons, deutsch von John Taylor, Hamb. 1832). Als Verfasser derselben bezeichnete Smith einen Propheten Mormon, es hat sie aber ein amerikanischer bankerottirter Kaufmann, Salomo Spaulding (geb. 1761) aus Neusalem im Ohiostaate unter dem Titel: Manuscript found (Das gefundene Manuscript) angeblich nach einer von ihm entdeckten Handschrift im Styl der Bibel von 1809 bis 1812 geschrieben u. Sidney Rigdon, welchem sie ein Buchhändler übergeben hatte, copirt. Von ihm erhielt sie Joe Smith, welcher sie jedoch 1827 durch einen Engel empfangen haben wollte. Dieses Buch, welches zuerst 1830 in Amerika u. 1841 in Europa gedruckt wurde, enthält namentlich Prophezeihungen über die nahe bevorstehende Vereinigung der 12 Jüdischen Stämme, über die Gründung einer Kirche u. eines neuen Reiches Israel u. über eine Verbindung aller religiösen Parteien zu einem Ganzen, woran sich der Untergang der Welt schließt. Es zerfällt in die Bücher Naphi 1 u. 2, Jacob, Enos, Jarron, Ormis, Mosiah, Alma, Helaman, Naphi des Jüngeren, Mormon, Ether u. Moroni, umfaßt den Zeitraum von dem Thurmbau zu Babel bis zu Ende des 4. Jahrh. n.Chr. u. erzählt, wie die Jaroditen, welche als gerechte Leute bei der Babylonischen Sprachverwirrung vor Gott Gnade fanden, nach dem Stillen Ocean u. von da nach der Küste von Nordamerika gebracht, wie sie aber wegen ihres Abfalls von Gott vertilgt wurden, wie später die Nachkommen Josephs u. andere Colonisten auf demselben Wege dahin kamen, wie sie unter einander in große Kämpfe geriethen u. wie unter den Überlebenden Mormon u. sein Sohn Moroni Auszüge aus den Überlieferungen der Vorväter machten. Vgl. Turner, Mormonism in all ages, New-York 1842; Caswall, The prophet of the 19 Century, Lond. 1842; Gunison, The Mormons, Philad. 1852; M. Busch, Die M., Lpz. 1855; Olshausen, Die M., 1855.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.