Böotĭen

Böotĭen

Böotĭen (Böotia). I. (a. Geogr.), Landschaft des eigentlichen Hellas, von etwa 58 QM. Flächeninhalt, grenzte im N u. NO. an den Euripos, im S. an Attika u. Megaris, im W. an Phokis u. Lokris; Berge: Parnassos, Kithäron, Helikon, Ptoon, Parnes u. deren einzelne Zweige u. Höhen, Tilphossion, Libethrion, Kirphis, Hedylion, Kerykion, Hyphanteion u. m. a.; mehrere Ebenen, wie die von Chäronea, Lebadea, Orchomenos, Haliartos, Platää u. Tanagra, das Athamanische u. Tenerische Gefilde u. die Parasopia am Asopos; Flüsse: Asopos u. Kephissos; See: Kopais u. die kleineren Hylike u. Harma; Klima: rauh, häufige Nebel, der Winter kalt; Producte: Weizen, Gemüse, Früchte, Eisen, Marmor, Thon. B. zerfiel in eine Anzahl (14) Bundesslaaten; Städte waren: Koronea, Alalkomenä, Lebadea, Orchomenos, Chäronea, Aspledon, Kopä, Anthedon, Aulis, Arne, Tanagra, Haliartos, Thespiä, Leuktra, Platää, Thebä u.a. Die Bewohner (Böoter), standen den andern Griechen, bes. den Athenern, in Bildung nach; sie galten, wohl mehr als sie es verdienten, für träg u. dumm, plump, bäurisch, handfest, aber im Gefecht ausdauernd u. tapfer; sie liebten Musik, bes. die Flöte; auch Dichter, wie Pindaros u. Hesiodos, selbst Dichterinnen, wie Korinna, stammten aus B. Die Sprache der Böoter war ein Idiom des dorischen Dialektes (s.u. Griechische Sprache); von den griechischen Gottheiten wurden hier bes. Pallas (in Alalkomenä) u. Here (auf dem Kithäron) verehrt, u. der Letztern das Fest Dädalea gefeiert. Hauptbeschäftigung war Ackerbau; Handel dagegen wurde als entehrend betrachtet u. wenig getrieben, Kleinhandel schloß in Theben sogar auf 10 Jahre von obrigkeitlichen Würden aus. Künste blühten hier wenig, wiewohl in Theben u. inandern Städten B-s Kunstwerke aufgestellt waren. Aus der Zeit des Epaminondas gibt es schöne Münzen, welche, wie alle böotische, mit dem mehr od. weniger gewölbten, langrunden, an beiden Seiten mit einem halbrunden Ausschnitt versehenen Böotischen Schild bezeichnet sind; die Rückseite zeigt bald ein zweihenkeliges Gefäß, auf den Bakchosdienst anspielend, od. das epheubekränzte Bakchoshaupt, od. den schlangenwürgenden Herakles etc. Die Verfassung der einzelnen Staaten war oligarchisch, an der Spitze standen Archonten, neben ihnen ein Rath u. eine Volksversammlung; nach dem Peloponnesischen Kriege ward die oligarchische Verfassung durch die Demokratie gestürzt.

II. (Gesch.). Die ältesten Bewohner B-s, welche der Sage angehören, waren die Hektaner, Aoner, Temmiker, Hyanter u. Andere; aus Phönicien soll um 1500 v. Chr. Kadmos eingewandert sein; in Orchomenos saßen die Minyer (s.d.). Nicht lange vor dem Trojanischen Kriege ereignete sich der Zug der 7 Fürsten gegen Theben (s.d.), welchen ihre Söhne, die Epigoni, wiederholten (s.u. Theben). Zu dem Trojanischen Kriege schickte B. viel Schiffe u. Mannschaft. Zu den alten Stämmen wanderten 60 Jahre nach dem Trojanischen Kriege die Böoter, ein griechisch-äolischer Stamm, aus Thessalien ein, welcher jene Stämme theils vertrieb, theils (wie die Kadmeer u. Minyer) in sich aufnahm. Die Vertriebenen ließen sich theilweis in Äolis in Kleinasien nieder. Als ihren Stammvater nannten die Böoter den Böotos, einen Sohn des Poseidon od. Itonos. Die Böoter waren von Alters her Mitglieder des Thessalischen Amphiktyonenbundes; zugleich aber bildeten sie auch unter sich einen Bund (Böotischer Bund). Der Bundesstaaten waren vor Alters wahrscheinlich 14, darunter Theben, Orchomenos, Lebadea, Koronea, Kopä, Haliartos, Thespiä, Tanagra, Anthedon; später nur 12. Alle diese Städte waren in ihrem Gebiete ganz frei, die anderen kleineren Orte waren von ihnen abhängig. Zur Leitung seiner Angelegenheiten hatte der Bund an seiner Spitze einen Archon u. dieser einen Rath von 4 Männern zur Seite; die ausführende Behörde waren die Böotarchä, deren jeder Staat 1, Theben 2 stellte u. deren Amt 1 Jahr dauerte, doch konnten die alten wieder gewählt werden; der Bundessitz war in Theben. Obgleich die Staaten B-s so ein inneres Band hatten, gab es doch fortwährende Streitigkeit unter ihnen; diese Streitigkeiten wurden durch die Eifersucht Athens auf Theben, welches nach der Hegemonie über die andern Staaten strebte, genährt. Die meisten stellten sich unter Thebens Macht, aber Orchomenos blieb selbständig, Thespiä u. Platää suchten durch Anhänglichkeit an Athen Schutz; daher kam es, daß in den Perserkriegen nur diese beiden Staaten mit Athen standen, während die anderen mit Theben den Persern halfen. Dafür züchtigten 457 v. Chr. die Athener B. in der Schlacht bei Önophyta, eroberten u. zerstörten Tanagra u. unterwarfen sich fast ganz B.; allein ein Heer Aristokraten schlug 447 v. Chr. die Athener, die Verbannten kehrten heim, die böotischen Städte erhielten ihre alte Verfassung wieder u. Theben trat von Neuem an die Spitze des Bundes. Als endlich [83] Athen u. Sparta im Peloponnesischen Kriege sich gegenseitig geschwächt hatten, standen in Theben Pelopidas u. Epaminondas (s. b.) auf, welche ihrem Vaterlande die Hegemonie über Griechenland verschafften, s. Griechenland (Gesch.). Auch Orchomenos ward von Theben zerstört. Obgleich mit dem Tode des Epaminondas 362 v. Chr. die Hegemonie Thebens über Griechenland aufhörte, so behielt es doch seinen Einfluß auf die böotischen Angelegenheiten, bis Philippos von Macedonien mit Griechenland auch Theben u. so B. durch den Sieg bei Chäronea 338 demüthigte u. Alexander d. Gr. 335 Theben zerstörte. Seit dieser Zeit behielt B. die Vereinigung der einzelnen Staaten bei, war aber ohne alle politische Bedeutung. In dem Kriege der Römer mit König Perseus von Macedonien hielten es die einen der Staaten mit den Römern, die andern mit den Macedoniern; so löste sich der Böotische Bund; es erhob sich Partei gegen Partei. Dies u. der Römer Druck verödeten das Land, so daß Strabo nur noch die mittelmäßigen Orte Tanagra u. Thespiä kennt; alle übrigen Städte lagen in Ruinen od. waren Flecken geworden. Vgl. Klütz, De foedere boeotico, Berl. 1821; Ten Breujel, De foedere boeot., Grön. 1834; Kopp, Historia Boeotorum, Grön. 1836; H. Francke, Der Böotische Bund, Wismar 1843.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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