- Poseidon
Poseidon, Sohn des Kronos u. der Rhea, Bruder des Zeus u. Pluto, Herrscher über das Meer u. das ganze Gebiet des flüssigen Elementes. Seine Gemahlin war Amphitrite, Kinder von dieser: Triton u. Rhode; außerdem die Aloiden von Iphimede, Agenor u. Belos von Libya, Proteus von Hippothoë, Pegasos u. Chrysaor von Medusa, Busiris von Lysianassa, Eurypylos von Astypaläa, Eurytos u. Kteatos von Molione, Pelias u. Neleus von Tyro, Äolos u. Böotos von Melanippe, Hippothoon von Alope etc. Mehrmals wurde er Vater in Gestalt eines Rosses. Sein Charakter, welcher mehr in den landschaftlichen Localsagen als in den Epen hervortritt, ist die Macht des Flüssigen überhaupt, welche auch auf der Erde in Flüssen u. Quellen wirkt mit ihnen die Erde tränkt u. befruchtet.[406] In der epischen Mythologie der Griechen ist er der Meeresherrscher, welchem diese Herrschaft bei der Theilung der Welt unter die drei Kroniden zugefallen ist. Tief im Abgrund bei Ägä (zwischen Tenos u. Chios) war sein schimmernder Wogenpalast; mit schnell dahinfliegenden goldmähnigen Rossen fährt er, selbst in goldener Rüstung u. den gewaltigen, von den Kyklopen geschmiedeten Dreizack in der Hand, über die Wogen. P. galt sowohl als Befestiger u. Baumeister der Erde (Gaiëochos, Asphalios), denn man dachte sich die Erde auf dem Meere ruhend u. von demselben getragen, weil sie vom Meere in allen ihren Buchten u. Busen umgeben, in allen Tiefen u. innern Schluchten durchdrungen ist; als auch als Erschütterer der Erde (Ennosigaios, Seisichthon), deren ganzes Gebäude, wenn P. seinen Dreizack in ihre Rippen bohrt, bis in die tiefsten Wurzeln erbebt. Daher leitete man alle Erdbeben u. Losreißungen einzelner Landstücke u. Inseln vom Festlande von P. ab, so sollte er mit seinem Dreizack das Festland Lykaonia zerschlagen haben, so daß die Inseln des Mittelmeeres daraus entstanden waren; ebenso galt die Insel Nisyros für ein von Kos abgerissenes Felsenstück, welches er auf den Riesen Ephialtes geschleudert hatte. Umgekehrt sollte der Länderzuwachs einiger Inseln od. durch vulkanische Ausbrüche entstandene neue Inseln von P. geschaffen u. in den Boden des Meeres eingewurzelt worden sein. Auch hatte P. dem Troerkönig Laomedon die Mauern u. Burg Trojas erbaut, als aber dieser ihm den bedungenen Lohn verweigerte, ein Meerungeheuer gegen dessen Tochter Hesione gesendet. Insbesondere tritt in den Sagen von P. das Gebietende, Starke, Trotzige seiner Meeresnatur hervor; dies beweisen seine Kämpfe mit Pallas um Athen u. Trözen, mit Helios um Korinth, mit Here um Argos; ferner die Meeresungeheuer, welche er aus dem Meere sendet, wie die gegen Hesione u. Andromeda, u. der Kretensische u. Marathonische Stier; so wie die Natur seiner Abkömmlinge, der Lästrygonen, des Kyklopen Polyphemos, des Kyknos, Antäos, Busiris, Amykos, Korynetes, Prokrustes, Kerkyon u. Skiron. Deshalb war ihm auch bei den Ioniern der Monat der stürmischen Jahreszeit des Winters vor der Sonnenwende geweiht u. hieß Poseideon; da offenbarte sich die Majestät des Meeres in Empörung u. Wogenschlag am großartigsten. Als der Herrscher des Meeres offenbart er sich nicht nur in dem empörten Meere, sondern besänftigt dies auch, sendet günstige Fahrwinde u. führte als Soter das Schiff ohne Gefahr in den Hafen, wie denn überhaupt aller Verkehr auf dem Meere, Schifffahrt, Handel, Fischfang u. der Seekrieg dem P. unterthan war; bes. wurde der Seesieg ihm zugeschrieben. Ein ebenfalls milderer Charakter, demgemäß P. als der Gott des flüssigen Elementes die Fruchtbarkeit der Erde befördert (daher sein Beiname Phytalmios), spricht sich in den Sagen aus, welche ihn als Gott der Flüsse u. Quellen u. des von diesen herrührenden Regens darstellen, wie in Arkadien, Trözen, Argolis, bei Lerna (Quelle Amymone, s.d.) etc. Auf seine göttliche Wirksamkeit ward Ursprung, Zucht u. Pflege des Pferdes (daher P. Hippios), sowie die an dasselbe anschließenden ritterlichen Übungen zurückgeführt; das Pferd sollte entweder durch seinen Dreizack aus dem Felsen herausgeschlagen, od. von der von ihm befruchteten Erde geboren worden sein. In Thessalien hieß dieses erste Roß Skyphios, in Böotien Arnion (d. t. Schlachtroß), u. es soll von P. dem Adrastos od. dem Haliartos geschenkt worden sein. Auch die Bändigung des Rosses wird dem P. zugeschrieben, bes. nach der korintischen Sage vom Peggsos u. Bellerophon. Die von P. geschaffenen u. seinen Lieblingen (wie dem Idas, Pelops, Pelens) geschenkten Rosse hatten Flügel, Vernunft u. Stimme. Der Cultus des P. war über ganz Griechenland ausgebreitet u. heimisch in Thessalien u. Böotien (bes. in Theben, Orchomenos, bei Onchestos), wo die, ritterliche Übungen mit kühner Seefahrt ausübenden Minyer u. äolischen Völkerschaften wohnten, auf dem Isthmos, wo die alten Heiligthümer des P. mit der Zeit ein Nationalgottesdienst für alle Griechen wurden, in Korinth, Nauplia, Trözen, auf der Insel Kalauria (einst berühmt durch ihre für Handel u. Schifffahrt wichtige Poseidonische Amphiktyonie), auf den Vorgebirgen Malia u. Tänaron, in Messenien zu Pylos, in Elis (hier der berühmte Tempel auf dem Vorgebirge Samikon), in Achaia (bes. Ägä u. Helike) u. an dessen Küsten, überhaupt fast auf allen Vorgebirgen: in Arkadien, in Athen, auf Euböa, Skyros, Tenos; in den griechischen Colonien, so in den zwölf Städten des kleinasiatischen Ionien, wo jährlich auf dem Vorgebirge Mykale im Dienst des Helikonischen P. die Stammesfeier der Panionier begangen wurde, in den dorischen Colonien (so in Halikarnassos in Karien, Posidonia in Lucanien, Potidäa, Kerkyra), endlich auf den Inseln Kreta u. Rhodos. An allen angesehenen Cultusstätten des P. fanden ritterliche Wettkämpfe statt, vorzüglich aber bei Onchestos am Kopaischen See u. auf dem Isthmos (s. Isthmische Spiele); seine Feste hießen Poseidonia. Die Symbole des P. waren der Dreizack (Triaina, der ursprünglich die Harpune des Thunfischjägers bedeutet); ferner der Stier als Symbol der stürmischen, die Erde überschwemmenden u. brüllend einhertobenden Wogen, der Delphin als Symbol des friedlichen u. beruhigten Meeres; heilig war ihm auch die Küste. Die ihm dargebrachten Opfer bestanden in Stieren, Schafböcken u. Pferden, letztere wurden ihm zu Ehren in das Meer gestürzt. Man dachte sich den P. mit dunkelwallenden Locken (daher Kyanochalles), mächtig gewölbter Brust (daher Eurysternos), mit Augen, welche wie das Meer schimmern, u. mit dunklem Mantel umhüllt. Mit seiner Gemahlin Amphitrite auf dem Wagen sitzend wurde er von geflügelten Rossen über das Meer gezogen. Die Bildwerke: Kolossalbilder des P. gab es in Helike, mit dem Seepferde auf der Hand, auf dem Isthmos ein 7 Ellen hoher von den Griechen nach den Siegen über die Perser aufgestellter Koloß, zu Tenos die 9 Ellen hohen Statuen des P. u. der Amphitrite, in dem korinthischen Hafen Kenchreä etc. Die kleineren Bildwerke auf Münzen stellen ihn dar den Dreizack in der Hand, bald sitzend, bald stehend, od. auf einem Stiere od. Pferde reitend, zu Wagen od. in der Umgebung von Seegeschöpfen; bald schreitet er mit geschwungenem Dreizack einher, bald ist er in ruhiger Stellung abgebildet, den einen Fuß auf einem Felsen, auf der Prora eines Schiffes od. auf einem Delphin aufgestützt, ins Weite hinausschauend, in seiner Rechten den Dreizack, aber nur als stützenden Stab. In Rom wurde der italische Neptunus, welcher ursprünglich wohl nur ländlicher Gott der Pferde war (daher Equester genannt), wahrscheinlich[407] erst dann mit dem griechischen P. vereinigt, als die Römer allmälig Seehandel zu treiben u. eine Seemacht zu bilden anfingen. Man feierte ihm hier unsern dem Tibris, in der jetzigen Strada Giulia in Rom, die Neptunalia im Juli od. August od. September. Vgl. Panofka, P. u. Dionysos, Berl. 1845; Gerhard, Über Ursprung, Wesen u. Geltung des P., ebd. 1851.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.