- Gepaarte Verbindungen
Gepaarte Verbindungen (Chem.). Gewisse organische Verbindungen haben die Eigenthümlichkeit, daß sie mit organischen od. unorganischen Säuren eine innige Verbindung eingehen, ohne daß die Sättigungscapacität der Säuren irgend eine Veränderung erleidet. Die Verbindungsweise nennt man Paarung (Accouplement) u. das Zeichen der Paarung zweier Körper ist ⌢; die dadurch entstehenden Verbindungen heißen G. V. Die organischen Substanzen, welche mit Säuren G. V. bilden können, heißen in Bezug auf die G. V. Paarling (Copula). Die G. V. unterscheiden sich wesentlich von den Salzen, u. es ist sehr zweifelhaft, ob man bei der Paarung überhaupt noch von elektrochemischen Gegensätzen sprechen darf. Wenn man die Ansichten Gerhardts über die Constitution der organischen Verbindungen gelten läßt, nach welchen alle diese Körper aus Wasser, Ammoniak u. Oxalsäure abgeleitet werden können, aus welchen drei Verbindungen durch Paarung u. Substitution alle organischen Körper entstehen, so möchte es wohl wenige Verbindungen in der organischen Welt geben, die nicht auf den Namen einer gepaarten Anspruch machen könnten. Am besten studirt sind die gepaarten organischen Säuren. Die Säure, welche man zuerst als eine gepaarte erkannte, ist die Mandelsäure C16H7O5, die aus Ameisensäure u. Bittermandelöl besteht; die Amigdalinsäure C40H27O25 besteht aus Ameisensäure u. den beiden Paarlingen Bittermandelöl u. Zucker; die Milchsäure C6H5O5 besteht aus Ameisensäure u. Aldehyd. Kolbe, der diese Verhältnisse genauer untersucht hat, stellte zuerst die Ansicht auf, daß die Säuren der Gruppe CnHn-1O3 gepaarte Oxalsäuren seien, d.h. Säuren, in denen ein Kohlenwasserstoff CnHn + 1 mit Oxalsäure verbunden sei, wofür unter Anderem das Zerfallen der Buttersäure u. Baldriansäure im Galvanischen Strom unter Aufnahme von Sauerstoff in Kohlensäure u. dem entsprechenden Kohlenwasserstoff spricht. Es wäre sonach Baldriansäure = Valyloxalsäure = (C8H9)⌢C2O3; ferner Ameisensäure = H⌢C2O3 = Wasserstoffoxalsäure; Essigsäure = C2H3⌢C2O3 = Methyloxalsäure; Propionsäure = C4H5⌢C2O3 = Äthyloxalsäure etc. Da jedoch die Existenz von Oxalsäure in diesen Verbindungen aus mehr als einem Grunde bezweifelt werden kann, so ändert Kolbe seine Ansicht über die theoretische Constitution dieser Körper dahin ab, daß er jene Kohlenwasserstoffe als copulirt mit je 2 At. Kohlenstoff u. demnach als Typus des in den Säuren mit 3 At. Sauerstoff verbundenen Atomcomplexes als (CnHn + 1)⌢C2 annahm Demzufolge wäre Ameisensäure = H⌢C2. O3, Essigsäure = (C2H3)⌢C2. O3, Propionsäure = (C4H5)⌢C2. O3 etc., u. dementsprechend die Formeln für die niederen Oxyde (CnHn + 1)⌢C2. O2 u. (CnHn + 1)⌢C2. O, z.B. acetylige Säure = (C2H3)⌢C2. O, Acetyloxyd = (C2H3)⌢C2. O. Ebenso wie die Radikale CnHn + 1 können auch andere mit einem Doppelatom Kohlenstoff gepaart auftreten, so z.B. ist: Benzoësäure = (C12H5)⌢C2. O3, Bernsteinsäure = (C2H2)⌢C2. O3, Fettsäure = (C8H8)⌢C2. O3. Die Zahl der stickstoffhaltigen gepaarten Säuren ist eine außerordentlich große; in vielen Fällen hat der stickstoffhaltige Paarling den Charakter eines Amids. Oft ist auch der Paarling das Amid derselben Säure, mit welcher er copulirt ist, u. so entstehen die Aminsäuren; so gibt z.B. das Oxamid, indem es sich mit Oxalsäure verbindet, die Oxaminsäure. Von den stickstoffhaltigen Säuren sind z.B. als gepaarte Säuren anzusehen: die Taurocholsäure (Cholsäure + Taurin), die Glykocholsäure (Cholsäure + Glycin), die Inosinsäure, welche man nach Liebig als zusammengesetzt aus Essigsäure, Oxalsäure u. Harnstoff betrachten kann. Nicht zu verwechseln mit den gepaarten Säuren sind jene sauer reagirenden u. basensättigenden Verbindungen, die aus der Vereinigung einer Säure mit einem organischen Oxyde hervorgehen, wobei aber die Hälfte der Sättigungscapacität der Säure verloren gegangen ist. Solche Säuren, wie die Ätherschwefelsäure, muß man zu den sauren Salzen rechnen. Ehedem sah man auch eine große Anzahl von Säuren, welche durch die Einwirkung von Salpetersäure auf verschiedene organische Verbindungen entstehen, für gepaarte Salpetersäuren an. Die Zahl derselben ist in der neueren Zeit aber beschränkt worden u. wird mit der Zeit vollständig verschwinden, da die Constitution dieser Säuren sich nicht nach der Theorie der Paarung, sondern durch Substitution erklärt; so ist die Pikrinsäure (Kohlenstickstoffsäure) blos phenylige Säure, in welcher 3 Äquiv. Wasser durch 3 Äquiv. Untersalpetersäure ersetzt sind. Was die übrigen G-n V. anlangt, so sind die Kenntnisse hierüber noch höchst mangelhaft. Die organischen [213] Basen, welche Berzelius als mit Ammoniak gepaarte Körper betrachtet, sind mindestens in Bezug auf die flüchtigen Basen nicht zu den G-n V. zu rechnen, sondern sind nur Ammoniak N + 3 H, in welchem 1, 2 od. 3 Äquiv. Wasserstoff durch die Radikale der Alkoholreihe od. durch sauerstoffhaltige Gruppen ersetzt sind. Nach Wertheim sind die nicht flüchtigen organischen Basen eigenthümliche Verbindungen (Pseudosalze) einer flüchtigen Base mit einer elektronegativen Gruppe, so z.B. das Piperin eine Verbindung von Picolin mit der Gruppe C58H30NO10. Von den indifferenten G-n V. sind nur wenige mit Sicherheit bekannt; von großer Wichtigkeit ist in dieser Beziehung das Salicin, das aus Saligenin u. Zucker; das Athamantin, welches aus Oreoselon u. Baldriansäure besteht. Höchst wahrscheinlich gehören alle indifferente organische Körper, wie die Kohlenhydrate, der Zucker, die Stärke etc. zu den gepaarten Körpern, denn eine Spaltung des Zuckers bei der Gährung in Alkohol u. Kohlensäure unter Mitwirkung eines Fermentes unterscheidet sich wesentlich nicht von dem Zerfällen des Salicins unter Mitwirkung der Synaptase. Gerhardt fand, daß bei der Vereinigung zweier Körper zu einer G-n V. stets 2 At. Wasserstoff u. 2 At. Sauerstoff in der Form von Wasser austreten; nach Piria werden allgemein bei der Verbindung von n Körpern 2 (n – 1) At. Wasser ausgeschieden, bei der Spaltung einer G-n V. dagegen werden eben so viel Äquivalente Wasser wieder aufgenommen, als bei der Vereinigung austraten. Die Zerlegung einer G-n V. erfolgt in der Regel durch Gährung od. Einwirkung von Säuren od. Basen unter Gegenwart von Wasser u. Wärme, zuweilen auch durch die Wärme allein.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.