Zucker [1]

Zucker [1]

Zucker (Saccharum), gewisse, durch süßen Geschmack ausgezeichnete Substanzen des Pflanzen- u. Thierreiches, welche aus Kohlenstoff, Wasserstoff u. Sauerstoff bestehen, durch Chlor od. gewisse Metallchloride beim Erwärmen auf 100° in schwarze Massen verwandelt werden u. an der Luft unter Zurücklassung einer schwammigen Kohle mit Flamme brennen können. I. Die verschiedenen Arten des Z-s sind: A) Rohrzucker (gewöhnlicher Z.), besteht in 100 Gewichtstheilen aus 42,1 Kohlenstoff, 6,43 Wasserstoff u. 51,47 Sauerstoff (C12H11O11) u. findet sich in sehr vielen Säften des Pflanzenreiches, welche nicht sauer sind; so im Zuckerrohr, im Mais, im Safte des Zuckerahorns u. der Birke, in der weißen Rübe, Mohrrübe, Runkelrübe, den Bataten, der Asphodillwurzel, den Nectarien vieler Blüthen, den Melonen, Bananen u. meisten tropischen Früchten; künstlich läßt er sich noch nicht herstellen; über seine Gewinnung s. Zuckerfabrikation. Im reinen Zustande ist er farblos u. bildet oft große geschobene vier- u. sechsseitige Säulen des monoklinoëdrischen Systems (Candiszucker, Saccharum candis) von 1,606 spec. Gew., oft auch verworren krystallinische weiße Massen (Hut- od. Weißer Z.). Bei 180° schmilzt er zu einer klebrigen farblosen Flüssigkeit, welche beim raschen Erstarren den glasartigen Gerstenzucker bildet, aber nach einiger Zeit an feuchter Luft wieder krystallinisch u. trübe wird (Absterben). Bei 210° verliert der Rohrzucker Wasser u. geht in eine bittere, nicht mehr gährungsfähige, zum Braunfärben von Branntwein etc. benutzte Substanz über (Caramel = C12H9O9). Bei noch höherer Temperatur erhält man Kohlenoxyd, Kohlensäure, Sumpfgas, brenzliches Öl, Essigsäure u. eine glänzende schwammige Kohle. Er löst sich im dritten Theil seines Gewichtes kalten Wassers u. in allen Verhältnissen beim Sieden. Die Lösung lenkt den polarisirten Lichtstrahl nach rechts ab. Im concentrirten Zustande läßt sie sich in verschlossenen Gefäßen unverändert aufbewahren, u. darauf beruht ihre Anwendung zum Conserviren der Früchte u. des Fleisches. Kocht man eine wässerige Lösung des Rohrzuckers längere Zeit, so verliert er die Eigenschaft zu krystallisiren u. geht in Schleimzucker über, um so schneller, je concentrirter die Lösung ist, od. auch wenn sie stickstoffhaltige organische Substanzen enthält. Durch sehr langes Kochen entsteht Ameisensäure, Essigsäure u. Humin. Verdünnte organische od. unorganische Säuren führen den Rohrzucker langsam, stärkere Säuren aber sehr rasch schon in der Kälte in Schleimzucker über. Läßt man eine angesäuerte Zuckerlösung lange sieden, so tritt völlige Zersetzung ein, u. es scheiden sich branne Blättchen von Sachulmin u. Sachulminsäure ab. Durch Gegenwart von freiem Kalk od. Alkalien beugt man dieser Veränderung vor. Mit viel Hefe zusammengebracht, geht er langsam in Schleimzucker über u. spaltet sich dann wie dieser in Alkohol u. Kohlensäure (C12H11O11 od. 171 Gewichtstheile liefern 4 Äquivalente od. 88 Gewichtstheile Kohlensäure u. 2 Äquivalente od. 92 Gewichtstheile Alkohol), wobei noch kleine Mengen von Proxylalkohol, Butylalkohol etc., sowie Bernsteinsäure u. Glycerin auftreten. Freie Säuren begünstigen die weinige Gährung, während[709] freie Basen Milchsäure- od. schleimige Gährung veranlassen. In Äther u. absolutem Alkohol ist der Rohrzucker unlöslich, in verdünntem Weingeist verhältnißmäßig löslich. Mit den alkalischen Basen bildet der Rohrzucker, ohne sich zu verändern, die Saccharate. Wichtig ist das in Wasser lösliche, bitter schmeckende Kalksaccharat, CaO, C12H11O11, u. das ätzend schmeckende, in kaltem Wasser kaum lösliche Barytsaccharat, BaO, C12H11O11. Beide werden durch Kohlensäure zersetzt, so daß der Z. unverändert abgeschieden wird. Mit Schwefelsäure geht der Rohr- u. Krümelzucker gepaarte Verbindungen ein. Salpetersäure verwandelt den Z. je nach ihrer Stärke u. der Dauer ihrer Einwirkung in Zuckersäure od. Oxalsäure. Ein Gemisch von Salpetersäure u. concentrirter Schwefelsäure führt den Z. in eine explosive Verbindung (Nitrozucker) Aus einer alkalischen Lösung von Kupferoxyd fällt der Rohrzucker kein Kupferoxydul B) Krümelzucker (Traubenzucker, Stärkezucker, Honigzucker, Glycose, Harnruhrzucker), besteht aus 36,36 Proc. Kohlenstoff, 7,07 Proc. Wasserstoff u. 56,57 Proc. Sauerstoff (C12H14O14). Er findet sich in vielen Früchten, neben Schleimzucker so bes. in den Trauben, Kirschen, Äpfeln, Birnen, Erdbeeren etc.; er bildet den körnigen Z. der Rosinen, den mehligen Überzug der getrockneten Pflaumen u. Feigen. Er ist ferner neben Rohr- u. Schleimzucker im Honig enthalten, sowie in ziemlicher Menge im Harne der an Diabetes mellitus Leidenden. Normal findet er sich noch im Dünndarm u. Chylus nach dem Essen, im Blute, im Hühnerei, in der Leber etc. Er bildet sich auch bei der Spaltung vieler Stoffe, wie Amygdalin, Salicin, Populin etc., durch verdünnte Säuren od. Synaptase. Er kann endlich künstlich dargestellt werden durch die Einwirkung von Diastase auf Stärkmehl od. von Schwefelsäure auf Stärkmehl, Holzfaser etc. (vgl. Zuckerfabrikation V.). Er krystallisirt in farblosen, kleinen, doppelt brechenden, vierseitigen Tafeln, welche meist zu blumenkohlartigen Warzen vereinigt sind. Er löst sich erst in 1,022 Thln. kaltem Wasser, in jedem Verhältnisse in siedendem; gegen Alkohol verhält er sich wie Rohrzucker. Man braucht 21/2 Mal so viel Krümelzucker als Rohrzucker, um dem nämlichen Volumen Wasser die gleiche Süßigkeit zu geben; auf der Zunge schmeckt er erst mehlig u. dann schwach süß. Die wässerige Lösung polarisirt das Licht rechts. Mit verdünnten mineralischen Säuren gekocht verwandelt er sich in Ulmin u. Ulminsäure, od. an der Luft auch in Ameisensäure; mit ätzenden Alkalien gekocht in Aldehydeharz u. humusähnliche Substanzen (wie Glycinsäure u. Melassinsäure). Mit Hefe erleidet er bei Gegenwart von Säuren sehr schnell die weinige Gährung; mit gekochter Hefe die schleimige u. mit faulenden Fermenten die Milch- u. Buttersäuregährung. Bei 100° schmilzt er u. verliert 9 Proc. od. 2 Äqu. Wasser (C12H12O12). indem er dem Gerstenzucker ähnlich wird; bei 140° verliert er noch mehr Wasser u. wird Caramel, bei noch stärkerer Hitze verhält er sich wie der Rohrzucker. Gegen Metalloxyde wirkt er als Reductionsmittel; so fällt er aus alkalischen Kupferoxydlösungen schon in der Kälte Kupferoxydul, aus salpetersaurem Quecksilberoxydul od. Silberoxyd die betreffenden Metalle beim Kochen. Mit Kali u. mit Kalk gibt der Krümelzucker Saccharate; mit Kochsalz eine in vierseitigen Doppelpyramiden krystallisirende Verbindung. C) Schleimzucker (nichtkrystallisirbarer Z., Fruchtzucker, intervertirter Z., Chylariose), ist bei 100° wie der Krümelzucker, C12H12O12, u. findet sich in vielen sauren Pflanzensäften, so den Weintrauben, Johannisbeeren, Kirschen, Pflaumen, im absteigenden Saft des Ahorns, dem aufsteigenden Saft der Birke u. entsteht aus dem Rohrzucker durch verdünnte Schwefelsäure, viel Hefe etc. (s. oben). Er bildet auch den Hauptbestandtheil der Melassen od. des Syrups (s. Zuckerfabrication). Bei 100° getrocknet erscheint er als eine glasige Masse, welche leicht an der Luft zerfließt, leicht in Wasser u. Weingeist sich löst, aber in Alkohol u. Äther unlöslich ist. Seine Lösung lenkt den polarisirten Lichtstrahl nach links ab, beim Stehen aber geht sie wieder in rechts drehende Krümelzuckerlösung über. Er ist gährnugsfähig. D) Milchzucker, s.d., E.) Schwammzucker, findet sich in vielen Schwämmen, bes. in Agaricus acris, A. volvaceus, A. thejogalus, A. campestris, Boletus juglandis, Peziza nigra, Merulius cantharellus, Helvelia mitra, Phallus impudicus etc., u. ist ein gährungsfähiger, in concentrirter Schwefelsäure sich roth lösender u. aus Alkohol in langen weißen, vierseitigen Prismen krystallisirenderZ. F) Sorbin, s.d. G) Inosit, s.d. H) Mannazucker (C12H14O12) od. Mannit; s.d. I) Eichelzucker (Quercit), s. Eichelzucker K) Phycil od. Erythromannit, s.d. L) Eucalyptuszucker, s.d. M) Glycyrrhizin (Wurzelsüß, Süßholzzucker od. Lakritzzucker), s. Glycyrrhizin, N) Nicht wirkliche Zuckerarten sind: a) Ölzucker (Ölsüß, Scheele'schea Süß), s. Glycerin, u. b) Leimzucker (Glycin, Glykokoll), s. Glykokoll.

II. Verwendung des Z-s. a) Als Nahrungsmittel, zum Versüßen der Speisen etc. dient hauptsächlich der Rohr-, der Krümel- u. Schleimzucker, sowie Gemenge derselben, u. zwar sowohl im festen, wie auch im gelösten Zustande (Syrup). Den Z. als alleiniges Nahrungsmittel zu benutzen, versuchte ein Arzt, starb aber nach einem halben Jahre, indem sich sein Körper mit röthlichen eiternden Flecken bedeckte. Eine besondere Verwendung findet der ordinäre Rohrzucker u. der Schleimzucker zur Fabrikation von Liqueuren, Punsch etc., der Krümelzucker in der Bierbrauerei anstatt des Malzes u. in der Weinfabrikation zum Gallisiren (s.d.). Der Syrup dient ferner zur Conservirung von Früchten u. Fleisch. In der Zuckerbäckerei u. Conditorei wird der Z. vielfach verwendet, so bes. zu den Bonbons, welche durch Färben u. Versetzen des Gerstenzuckers mit etwas Citronsäure od. Weinsäure (was ein. längeres Klarbleiben bewirkt) u. wohlriechenden Ölen od. Essenzen hergestellt werden. b) Als Heilmittel dient der Z. äußerlich als gelindes Ätzmittel zur Beseitigung wilden Fleisches etc., innerlich als demulcirendes, Auswurf beförderndes, zum Theil auch gelind temperirendes Getränk bei Fiebern, ferner als Constituens u. Corrigens von Pulvern, Latwergen, Morsellen, Trochisken, Pasten etc. Als schleimablösendes Mittel enthält er gewöhnlich manche Zusätze, wie Malzextract (Malzzucker), Gummi od. Eiweiß (Lederzucker), Rettigsast, Abkochungen von Kräutern etc. c) In der Industrie wird der Rohr- u. Schleimzucker hauptsächlich zur Fabrikation der Oxalsäure[710] u. Zuckersäure verwendet, die Melasse auch zur Herstellung elastischer Walzen od. Unterlagen beim Drucken. III. Die im Handel vorkommenden Sorten von Z. s.u. Zuckerfabrication. IV. Production u. Consumtion des Z-s. Die Gesammtproduction an Z. auf der Erde war 1857–5848,375,000 Ctnr., u. zwar an Rohrzucker 41,150,000, an Rübenzucker 4,475,000, an Palmenzucker 2,000,000, an Ahornzucker 750,000 Ctnr.; die näheren Angaben s.u. Zuckerfabrication I. A). Auf einem Hectar, = 3,91 preuß. Morgen, werden jährlich an Rohr- od. Rübenzucker gewonnen: in der Havanna u. Brasilien 6000 Kilogramm, auf Bourbon 4000, in den Französischen Colonien 2–3000, in Frankreich 2000–2400, in Deutschland 2500–3000 Kilogr. Außer der in Europa fabricirten Menge Rübenzucker werden 23,153,070 Ctnr. Rohrzucker importirt. Das Consum betrug 1846 auf jeden Kopf jährlich im Zollverband 41/10 Pfd., in Frankreich 61/2, in Spanien 31/2 in Holland 141/2, in Belgien 7, in Rußland 1/2, in Irland 41/2, in England u. Schottland 21, in den Vereinigten Staaten 141/2, in Cuba 56, in Venezuela 100 Pfd. Seitdem hat sich der Consum im Zollverein (1859) auf 8 Pfd. jährlich pro Kopf gesteigert. Der Consum betrug 1857 im Zollverein 2,432,908 Ctnr., wovon 341,845 Ctnr. Colonialzucker u. 2,091,063 Ctnr. Rübenzucker war; producirt wurden 2,066,000 Ctnr., so daß 25,063 Ctnr. Rübenzuckereinfuhr nöthig war.

V. Den Namen Z. leiten Einige von Dschagara, dem malayischen Namen für Lontarzucker, welcher aus dem Palmenwein von Borassus flabellifer gekocht wird; Andere von dem griech. σάκχαρ (σάκχαρι, σάκχαρις, σάκχαρον, lat. saccharum), den aus den Gelenken des Bambusrohres (Bambusa arundinacea) ausschwitzenden Saft (arab. Tabaschir). Dieser von Dioskorides, Galenos u. Arrian erwähnte Saft krystallisirte sich, war dann im Äußern dem Salze ähnlich u. zwischen den Zähnen zerreiblich. Ebenso erwähnen Theophrast u. Seneca eines Honigs, welcher von einer Rohrpflanze komme u. als Arzneimittel gebraucht werde. Die Alten scheinen sonach den Z. schon in ziemlich reinem Zustande gekannt zu haben. Er kam durch die Kriegszüge Alexanders des Großen aus Asien nach Europa. Sein Gebrauch blieb immer nur sehr eingeschränkt, erst nach den Zeiten der Kreuzzüge wurde er durch die Venetianer allgemeiner verbreitet u. kam zuerst nach Cypern, von da nach Sicilien, wo er 1148 in Menge gebaut wurde. 1419 ließ ihn der Herzog von Visco nach Madeira u. Porto Santo verpflanzen, von wo er nach den Canarias u. von da nach Brasilien kam u. nach Einrichtung der Westindischen Colonien Bedürfniß jeder Haushaltung wurde. Die Engländer singen erst 1643 an zu St. Christoph u. Barbados Z. zu bauen. Als die Holländer durch die Portugiesen aus Brasilien vertrieben u. in Guadeloupe aufgenommen wurden, legten sie daselbst 1648 die erste Zuckerrohrplantage an. Die Franzosen pflanzten das Zuckerrohr auf die Antillischen Inseln, z.B. Martinique, u. brachten es gegen das Ende des 17. Jahrh. nach S. Domingo. Erst gegen das Ende des 18. Jahrh. fing man auch in Pennsylvanien an das Zuckerrohr mit Erfolg zu bauen. Überhaupt hat man bemerkt, daß es zwischen den Wendekreisen in feuchtem Boden am besten gedeiht. Im 15. Jahrh. entdeckte man erst die Kunst aus Zuckerrohr Z. zu sieden, u. noch später die ihn zu raffiniren. Zuckerraffinerien gab es in Brasilien u. Neuspanien etwa um 1580; in Deutschland sollen namentlich in Augsburg schon 1573 u. in Dresden 1597 Zuckerraffinerien gewesen sein; Holland soll erst seit 1648, England seit 1659 u. Hamburg noch später dergleichen Anstalten errichtet haben; die Französischen Colonien lernten die Kunst Z. zu läutern erst 1693 durch die Portugiesen u. Holländer kennen. 1797 wurde von Marggraf der Zuckergehalt der Rübe entdeckt u. 1798 der erste Rübenzucker fabrikmäßig von Achard Cunnern in Schlesien dargestellt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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