Venezuela

Venezuela

Venezuela (d.i. Klein-Venedig). 1) (Caracas), sonst Generalhauptmannschaft (Capitanie) der Spanier in Südamerika; 19,652 QM. u. 1,052,000 Ew.; grenzte an das Caraibische u. Atlantische Meer, Neugranada, Brasilien u. Britisch-Guyana, durch den Südamerikanischen Befreiungskrieg von 1811 aufgehoben, woraus sich dann ein eigener Staat, Vereinigte Provinzen von V., in gleichem Umfange wie obige bildete. Nach verschiedenen Ereignissen bestand dann 2) seit 1820 V. als besonderer Föderativstaat der Republik Columbia in demselben Umfange wie jetzt, u. 3) seit 1830 als eigene selbständige Republik, zwischen 1° 8' u. 12° 16' nördl. Br. u. 40° 36' u. 55° 38' westl. Länge (v. Ferro); grenzt im Norden an das Caraibische Meer u. den Atlantischen Ocean, im Osten an Britisch-Guayana, im Süden an Brasilien, im Westen an die Granada-Conföderation. Flächenraum: 35,951 span. Quadrat-Leguas (20,223 geogr. QM.). V. ist zu ein Viertel gebirgig durch Nebenzweige der Cordilleren, als: Sierra Nevada de Merida, Sierra[431] de Perija, Sierra Parima u. mehre Küstengebirge, der übrige Theil ist baumlose Ebene (Llanos, s.d.) od. dichter Urwald. Flüsse: Orinoco, mit fast allen seinen Nebenflüssen, Essequibo (Cuyunu), Sulia u.a.; Seen: Maracaibo, Valencia; Busen: Golf von V., Golf Trieste (mit dem Vorgebirge Tucacas), Golf Paria. Der Boden ist bis auf die felsigen Theile der Gebirge höchst fruchtbar, die Vegetation sehr üppig u. die Producte von großer Mannigfaltigkeit. Hauptproducte sind: Tabak, Baumwolle, Indigo, Kaffee, Reis, Zucker, Vanille, Cacao, Südfrüchte u. namentlich eine große Menge Droguen; von Thieren Pferde, Maulesel, Rindvieh, Kaimans, viel Schildkröten, Fische, an den Meeresküsten auch Perlen; von Mineralien vorzüglich Kupfer, dann auch Silber, Gold, Eisen, Quecksilber, Blei, Steinkohlen, Salz etc. Das Klima ist tropisch, mit einer trockenen einer nassen Jahreszeit, auf den Gebirgen angenehm u. gesund, an den Küsten oft drückend heiß u. namentlich das Orinoco Delta sehr ungesund. Erdbeben sind häufig, bes. an der Küste. Die Bevölkerung ist eine sehr gemischte u. belief sich 1858 auf 1,565,000 Ew., worunter ungefähr 25 Procent Weiße (Hispano-Amerikaner u. Fremde), 48 Proc. Mischlinge von Weihen, Negern u. Indianern in verschiedenen Abstufungen, 5 Proc. Neger (Sklaven), 15 Proc. civilisirte Indianer (Indios reducidos), 1,4 Proc. unterworfene Indianer (Indios catequisados), welche unter der Aufsicht von Missionaren od. weltlichen Staatsbeamten stehen, aber noch eigene Sprachen u. Sitten haben, ungefähr 5,6 Proc. unabhängige Indianer (Indios bravos). Die Indianer sind von den Stämmen Caraiben, Ottomaker, Guarauner, Guahiren, Quiriquiren, Motilonen, Mariusas u.a. Hauptbeschäftigung: Viehzucht u. Ackerbau (Plantagenbau). Der Handel vertreibt Häute u. die Producte der Plantagen. Die Industrie ist erst im Entstehen begriffen (grobe Baumwollenstoffe, Strohhüte, Hängematten, Thongeschirre, Gerberei); Bergbaubetrieb im europäischen Sinne des Wortes hat B. trotz des Mineralreichthums noch nicht; nur in neuester Zeit hat eine englische Gesellschaft die Ausbeute der Kupferminen übernommen. Eintheilung in 13 Provinzen: Apure, Barcelona, Barinas, Barquisimeto, Carabobo, Caracas, Caro, Cumana, Guayana, Maracaibo, Margarita, Merida u. Truxillo. Hauptstadt des Staates: Caracas. Die frühere Einteilung war in 4 Provinzen: Cumana, V., Orinoco u. Sulia. Die Verfassung ist nach der der Vereinigten Staaten von Nordamerika entworfen; sie datirt vom 29. Januar 1859 u. ist die dritte Constitution seit dem Bestehen V-s als unabhängige Republik (ist jedoch während der gegenwärtigen politischen Wirren suspendirt). Jeder, der lesen u. schreiben kann, hat seine politische Berechtigung u. ist Staatsbürger. Diese wählen Wahlmänner (je einen auf 4000) auf zwei Jahre; diese wählen den Präsidenten (General Juan C. Falcon, seit 17. Juni 1863), Vicepräsidenten (beide auf 4 Jahre) u. die Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung (die Hälfte wird aller zwei Jahre neu gewählt); diese besteht aus einem Senat, in welchen jede Provinz zwei Mitglieder sendet, u. aus einem Repräsentantenhaus (je einer auf 25,000 Ew. gewählt). Jede Provinz hat ihre eigene, in derselben Weise gewählte Legislative. Es bestehen vier Ministerien: Äußeres u. Finanzen, Inneres u. Justiz, Krieg u. Manne, Öffentliche Arbeiten, Handel u. Unterricht. Landesreligion ist die Römisch-Katholische. Der Staat hat zwei Universitäten (Caracas u. Merida), eine höhere medicinische Schule in Caracas, 13 Provinzialcollegien (Mittelschulen) u. zahlreiche Privatinstitute; für den Volksunterricht fehlt es jedoch fast ganz an öffentlichen Schulen. Unter den öffentlichen Bibliotheken ist nur die Nationalbibliothek in Caracas von Bedeutung. Die Sklavenkinder sind seit dem Gesetz von 1830 frei. Mit Spanien besteht seit dem 30. März 1845 der Vertrag zu Madrid, welchem zu Folge Spanien die Unabhängigkeit V-s anerkannt, dies sich aber verpflichtet hat, die im Unabhängigkeitskriege confiscirten beweglichen u. unbeweglichen Güter spanischer Unterthanen, soweit sie sich noch im Besitz des Staates befinden, zurückzugeben u. die Staatsschuld, soweit sie bei Anfang des Kriegs bestand, anzuerkennen. Die Finanzen der Republik waren früher in sehr gutem Zustande, sind aber gegenwärtig durch die politischen Wirren gänzlich zerrüttet; die Ausgaben betragen jährlich ungefähr 8 Millionen Pesos, die Einnahmen nur gegen 3 Millionen, die Staatsschuld beträgt über 22 Millionen. Das stehende Heer betrug in den früheren Friedensjahren nur 1000 Mann, worunter 150 M. Cavallerie u. 200 M. Artillerie. Sie waren bes. zur Besetzung der Häfen u. um dieselben gegen Überfälle von Seeräubern zu schützen, bestimmt. An der Westgrenze von Maracaibo standen auch Cavalleriepikets gegen die räuberischen Indianer. Das stehende Heer wurde durch Werbungen auf vier Jahre ergänzt. Neben demselben bestehen Milizen; jeder Venezuelaner ist für diese vom 15. bis 45. Jahre dienstpflichtig; die Miliz zerfällt in die active u. Reservemiliz. Cisterc, etwa 6000 M., muß bei jedem Aufruf des Staatsoberhauptes sich sogleich stellen u. auf den Aufruf des Gouvemeurs der Provinz unentgeldlich dienen; die Reservemiliz zählt 66,000 M. Gegenwärtig beträgt das stehende Heer dagegen über 10,000 M. Die sonst guten Festungen sind jetzt verfallen u. demolirt. Die Flotte besteht aus 2 Dampffregatten u. 4 Golettos, 1 Balandra u. 2 Flecheros. Das Wappen der Republik ist ein dreigetheilter Schild, in dem unteren Felde ein Pferd, in dem oberen rechts eine Garbe Korn, in dem links kriegerische Embleme, das Ganze umgibt die Devise: Libertad, 19 de Abril 1810, 5 de Julio 1811. Die Flagge ist dreifarbig in horizontalen Streifen, oben gelb, in der Mitte blau, unten roth; die Cocarde ist weiß. Der Handel belief sich nach dem Werth des Gesammtumsatzes 1855–56 auf 15 Millionen Pesos, die Schifffahrtsbewegung 1854–55 auf 1158 Schiffe mit 172,055 Tonnen Last. Münzen: Im auswärtigen Handelsverkehr wirb gerechnet nach spanischen od. mexicanischen Silberpiastern zu 100 Centavos (Cents), dagegen im inneren Verkehr nach Piastern od. Pesos Macuquina (Macoquina) zu 8 Realen, einer geprägten Silbermünze, welche zwar dem spanischen od. mexicanischen Piaster an Gewicht gleich, aber statt 14 Loth 6 Grän nur 12 Loth bis 12 Loth 1 Grän sein ist, 12,9 Stück = 1 Feine Mark, 1 Peso = 1 Thlr. 2 Sgr. 8,34 Pf. preuß. Cour., der spanische Piaster wird daher zu 9 columbischen Realen gerechnet, obwohl er noch mehr werth ist. Nach dem neuesten Münzgesetz (vom 25. März 1857) soll die Goldwährung eingefühlt werden u. der Peso fuerte die[432] Münzeinheit der Republik bilden, von welchen 620 aus einem Kilogramm Gold geprägt werden sollen; dieser Goldpeso soll 10 Realen haben u. = 1/2 französisches Zwanzigfrankenstück sein (4 Franken = 1 Thlr. 2 Sgr.), außerdem sollen Goldthaler zu 5 Goldpesos (also = 20 Franken) u. Doublonen zu 10 Goldpesos geschlagen werden. An Silbermünzen sollen geprägt werden: Halbpesos zu 5 Realen, Piecettes zu 2 Realen, Einreal- u. Halbrealstücke, von Kupfermünzen nur Centavos von 750 Milligrammes mit 5 Procent Legirung von Zinn u. Zink cursiren. Da jedoch der Staat keine eigene Münzstätte hat, so sollen diese neuen Münzen im Ausland geprägt werden, doch ist die Ausführung dieses Gesetzes bis jetzt noch nicht zu Stande gekommen. Maße u. Gewichte sind noch die spanisch-castilischen (s.u. Spanien S. 351), obgleich schon 1855 von der Regierung die Einführung des französischen metrischen Systems mit spanischen Benennungen (s.u. Spanien S. 351) der Legislative empfohlen wurde. 4) Früher Provinz, westlich von Cumana, theils eben, theils gebirgig; 2081 QM., 370,000 Ew.

Die frühere Geschichte von V. ist die der Föderativrepublik Columbia (s.d. S. 283 f. u. Südamerikanischen Revolutionskrieg III.). Nachdem sich 1829 die Republik Columbia aufgelöst hatte, constituirte sich am 17. Novbr. 1831 V. als selbständiger Staat. Der erste Präsident war Jose Ant. Paez, ein Eingeborener. Ihm folgte Vargas; da sich aber gegen diesen Jose Tadeo Monagas, ein Spanier von Geburt, erhob, weil seine Partei den Mischlingen die in der Constitution gewährten Rechte wieder zu entziehen trachtete, so trat Paez ins Mittel, stellte die gestörte Ruhe wieder her u. blieb erst als Vicepräsident, dann als Präsident bis 1842 an der Spitze der Regierung, u. 1842 wurde Carlos Soublette Präsident. Am 20. April 1843 wurde eine Revision der Verfassung bewirkt, welche mit dem 1. Oct. in Geltung trat. Durch den Madrider Vertrag vom 30. März 1845 erkannte Spanien die Unabhängigkeit der Republik V. an, wogegen sich B. verpflichtete die in dem Unabhängigkeitskriege confiscirten Güter spanischer Unterthanen, welche noch im Besitz des Staates wären, zurückzugeben u. die Schuld V-s beim Ausbruch des Kriegs als Staatsschuld V-s anzuerkennen. 1846 brach ein Bürgerkrieg zwischen der indianischen u. Negerbevölkerung einer- u. der europäischen Bevölkerung andererseits aus, u. Paez wurde zum Diktator ernannt. Es gelang ihm den Krieg zu unterdrücken, u. durch seinen Einfluß wurde der General José Tadeo Monagas Präsident. Man hoffte, daß diese Wahl die Spanier versöhnen u. Ruhe im Staate zurückkehren würde. Indeß Monagas suchte den Einfluß des ehrlichen Paez möglichst zu schwächen u. dann die Verfassung umzustürzen. Am 20. Jan. 1848 wurde der Congreß von Caracas eröffnet, u. da am 24. die Repräsentanten in geheimer Sitzung Beschlüsse faßten, welche gegen den Präsidenten waren, so drang der Pöbel, welchen der Präsident für sich gewonnen hatte, in den Sitzungssaal u. ermordete fünf Repräsentanten. Der Präsident stellte bei seinem Erscheinen die Ruhe wieder her u. löste den Congreß auf Paez floh u. sammelte in Maracaibo ein Heer, worauf am 11. März der Hafen von Maracaibo u. die benachbarte Küste vom Cap S. Roman auf der Halbinsel Paraguana bis Point Espada von der Regierung in Blockadezustand erklärt wurde. Ende Mai wurde Maracaibo von den Aufständischen geräumt u. von den Regierungstruppen besetzt. Da die Aufständischen im Besitz der Flotille waren, so behielten diese immer die Herrschaft über die See von Maracaibo. Paez ging nach Curaçao u. machte von da verschiedene Versuche nach V. zurückzukehren; er landete am 2. Juli 1849 in Coro, welches sich für ihn erklärt hatte, fand indeß keine hinreichende Unterstützung u. wurde am 14. Aug. 1849 in Coro mit seinen zwei Söhnen u. mehren Offizieren gefangen, im Juli 1850 jedoch unter der Bedingung, daß er das Land verließ, freigegeben. Der Präsident Jose Gregorio Monagas, welcher im Jan. 1851 seinem Bruder Jose Tadeo Monagas gefolgt war, wurde bei Bekämpfung des im Mai 1853 ausgekrochenen Aufstandes vielfach vom Zufall begünstigt. Am 15. Juli 1853 wurde Cumana, der Hauptsitz der Empörung, durch ein Erdbeben zerstört, worauf sich Alles dem General Tadeo Monagas unterwarf. Allein die schon vorher bestandene Zerrüttung der öffentlichen Zustände, u. namentlich der Finanzen, wurde durch diesen Sieg nicht in Ordnung umgewandelt. Um die Mittel zur Bestreitung der ordentlichen Ausgaben herbeizuschaffen, mußten gewagte finanzielle Maßregeln angewendet werden u. die Verwaltung der Staatsschulden war eine sehr unregelmäßige. In V. hatten die Farbigen bedeutenden Einfluß errungen; schon seit der Zeit Bolivars waren eine Menge Sklaven nach u. nach zur Freiheit gelangt, sie saßen im Congreß u. bekleideten im Heere u. in der Verwaltung Stellen u. gewannen täglich mehr politischen Einfluß. Der im Februar 1854 zusammengetretene Congreß gab daher ein Gesetz, welches die sofortige Befreiung aller Sklaven anbefahl u. wohl den Sklavenbesitzern eine Entschädigung zusprach, dieselbe aber in werthlosen Papieren auszuzahlen gestattete. Mehre andere gesetzliche Bestimmungen desselben Congresses waren gegen die Fremden gerichtet. Überhaupt suchte der Präsident, welchen die Weißen nicht liebten, seine Stütze in den Schwarzen, während sein Bruder Tadeo ihm hierin entgegen war. Dessenungeachtet ernannte der Congreß Beide zu Oberfeldherren. Im Juni 1854 brach eine neue Empörung aus, welche sich für General Paez erklärte; allein dieser blieb in seinem Asyl in Nordamerika u. der Aufstand war, aus Mangel an Einigkeit unter den Führern, bis zu Ende Juli unterdrückt. Da die Todesstrafe für politische Verbrechen abgeschafft war, so ließ der Präsident die gegnerischen gefangenen Generale von seinen Soldaten auf dem Marsche umbringen. Im Januar 1855 wurde Tadeo Monagas wieder Präsident. Eine von den Negern beabsichtigte Meuterei zu Gunsten seines Bruders kam nicht zu Stande. Als der neue Präsident die geistlichen u. weltlichen Würdenträger der Republik empfing, schilderte ein Bischof die öffentlichen Zustände V-s folgendermaßen: Alle Physischen, moralischen u. politischen Leiden scheinen sich vereinigt zu haben, um diese unglückliche Republik zu verderben. Nothstand, Darniederliegen des Landbaues in Folge der Plötzlichen Befreiung der Sklaven ohne Entschädigung der Besitzer, Bedrängniß der Familien, drohende Forderungen von Seiten auswärtiger Mächte, Krankheiten, Erdbeben, die Grabesstille der Presse, der gesetzlichen Stimme des Volkes, um seine Beschwerden auszusprechen; eine erschöpfte Staatskasse,[433] welche nicht die einfachsten Bedürfnisse eines geordneten Staatshaushaltes zu decken vermag; eine ungeheuere Staatsschuld, welche zehn Menschenaltern vorgreift; Agiotage, Ohnmacht der Gerichte. Raub, Mord, die Leiden guter Bürger in der Verbannung, Gehässigkeit der Parteien u. überall Bürgerkrieg; das sind die Übelstände, denen abzuhelfen der neue Präsident berufen ist. In einer Botschaft vom 14, Febr. 1855 an den Congreß entwarf der Präsident eine ähnliche Schilderung, ohne daß seine Verwaltung jedoch etwas Wesentliches geleistet hätte. Er lenkte vielmehr die öffentliche Aufmerksamkeit von den inneren Angelegenheiten auf die äußeren, indem er sich im April 1855 vom Congreß ermächtigen ließ 50,000 M. zu bewaffnen u. eine Kriegsanleihe von 4 Mill. Piastern aufzunehmen zu einem Kampfe gegen Neugranada, weil dieses an die Herstellung der Republik Columbia dachte u., ohne B. zu fragen, den Bau einer Straße beschloß, wobei V. betheiligt war. Indessen verstummten alle politischen Beschwerden bei den gräßlichen Verheerungen der Cholera. Im Herbst 1855 schienen die Ereignisse in Centralamerika u. die um sich greifende Politik der Nordamerikanischen Union eine Sinnesänderung in dem Präsidenten hervorgebracht zu haben; denn er zeigte sich plötzlich geneigt die alte Republik Columbia (V., Neugranada u. Ecuador) wieder herzustellen; was er dabei erlangte, war eine Vergrößerung seiner Gewalt. In der Botschaft, womit er am 20. Januar 1856 den Congreß eröffnen ließ, war die Verkommenheit namentlich der Finanzlage sehr treffend geschildert, ohne daß er jedoch ein anderes Mittel zur Abhülfe anzugeben wußte, als die Wiederherstellung von Columbia u. die Verleihung einer diktatorischen Gewalt an den Präsidenten auf unbestimmte Zeit, um die Pläne der Regierung in Betreff der Volkswohlfahrt zur Ausführung bringen zu können. Der Congreß von 1856 überließ die Entscheidung dieser Fragen einer folgenden, vollständig neu zu erwählenden Versammlung, ohne sonst etwas gethan zu haben. In diesem Jahre hatte V. einen Streit mit Holland wegen der Insel Aves im Süden der Jungferninseln. Holland hatte seit längerer Zeit keine Ansiedelung auf diesem Inselchen unterhalten u. V. dies benutzt, um Besitz davon zu nehmen u. wegen Ausbeutung der dortigen Guanolager mit einem nordamerikanischen Hause zu unterhandeln. Beide kamen jedoch überein diese Streitfrage von einem Schiedsgerichte entscheiden zu lassen. Die Finanzen des Staates waren in der traurigsten Lage. Die äußere Schuld betrug zu Ende des Jahres 1856 mehr als 20 Mill. Piaster Capital u. mehr als 2 Mill. Piaster rückständige Zinsen. Die Einnahmen deckten die Ausgaben kaum zu einem Drittheil, so daß es unmöglich war alle eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Ereignisse in Nicaragua u. in Panama gaben dem Streben der Spanisch-amerikanischen Staaten nach einer engeren Schutzverbindung neues Leben. Am 8. Novbr. 1856 schlossen die Staaten von V., Neugranada, Guatemala, Salvador, Costa Rica, Mexico, Chile u. Peru, von denen mehre bereits gegen das Auftreten Walkers u. dessen Anerkennung Seiten der Union Verwahrung ausgesprochen hatten, durch ihre Bevollmächtigten in Washington ein Schütz- u. Trutzbündniß unter gegenseitiger Gewähr ihres dermaligen Gebietes. Zugleich wurde Lima als der Ort eines im December 1857 abzuhaltenden Congresses bezeichnet, welchen die genannten Staaten in diesem Vertrage übereinkamen zur Herstellung einer allgemeinen Schutzverbindung aller Spanisch-amerikanischen Staaten zu beschicken. Am 19. April 1857 wurde die neue Staatsverfassung verkündigt u. Tags darauf ernannte der Congreß den General Tadeo Monagas aufs Neue zum Präsidenten u. dessen Schwiegersöhn Oriach zum Vizepräsidenten der Republik auf sechs Jahre. Der Congreß genehmigte auch einen mit der Nordamerikanischen Union abgeschlossenen Handels u. Schifffahrtsvertrag. Im Übrigen ging das Jahr 1857 ziemlich ruhig hin, obwohl es nicht an Zeichen allgemeiner Unzufriedenheit fehlte. Anfang März 1858 revoltirte plötzlich eine Abtheilung von 150 Soldaten u. gleichzeitig erhob sich General Juliane Castro, der in Valencia commandirte; bald verbreitete sich der Aufstand über Puerto Cabello, Cumana, Barquisimeto; die Bevölkerungen schlössen sich den aufständischen Soldaten an u. am 12. März bedrohte Castro mit 10,000 Mann Caracas; doch kam es zu keinem Blutvergießen, der Präsident Monagas entschloß sich abzudanken, General Castro zog hierauf am 18. März in Caracas ein u. errichtete eine provisorische Regierung, an deren Spitze er selbst als provisorischer Präsident trat. Monagas begab sich unter den Schutz der französischen Gesandtschaft, welche in Folge dessen fünf Tage lang von einer drohenden Volksmasse belagert wurde. Erst nachdem die neue Regierung durch ein Protokoll vom 26. März dem Ex Präsidenten freies Geleit ins Ausland zugesichert hatte, stellte sich dieser den neuen Gewalthabern zur Verfügung; diese aber erfüllten ihre Versprechen nicht eher, als bis sie im August 1858 durch das Erscheinen einiger französischer Schiffe vor La Guaira u. Puerto Cabello erzwungen wurden. Diese Streitigkeit spann sich auch später noch weiter fort; am 12. Septbr. 1859 Überschickte das Gouvernement von V. dem französischen Generalconsul Levraud, welcher der Unterstützung der Partei Monagas beschuldigt wurde, Plötzlich seine Pässe (doch erhielt Frankreich hierfür im Januar 1860 die geforderte Genugthuung).

Unmittelbar nach seinem Einzug in Caracas rief Castro den so lange proscribirten u. in New Jork lebenden Paez, sowie andere Verbannte zurück; auf den 5. Juli 1858 wurde ein von allen Venezuelanern zu wählender Großer Nationalconvent nach Valencia einberufen, um dem Lande eine neue Constitution zu geben. Die Mitglieder der neuen provisorischen Regierung konnten sich jedoch über ein bestimmtes Handeln nicht vereinigen, da die Revolution nicht von einer einzelnen Partei durchgeführt, sondern Oligarchen (die alte sogen, conservative Partei) u. Liberale gleichmäßig dabei betheiligt waren. Die Sitzungen des Nationalconvents dauerten sechs Monate lang; die am 31. Decbr. 1858 votirte u. am 29. Jan. 1859 verkündete neue Constitution neigte sich der Centralisation in der Executivgewalt zu u. wurde dadurch ein Grund zur Unzufriedenheit für die ziemlich zahlreichen Anhänger des Föderativsystems; die Anhänger Monagas gaben feindselige Absichten kund, die Liberalen waren unzufrieden u. selbst die Oligarchen unter sich nicht in Übereinstimmung. Dieser Zwiespalt zeigte sich schon in der Organisation der neuen Executivgewalt; der General Castro wurde zum Präsidenten, Manuel Felipe Tovar zum Vicepräsidenten der Republik ernannt u. Beiden als[434] Designado noch Pedro Gual beigegeben. Am 3. Febr. 1859 wurde der Nationalconvent geschlossen, nachdem noch Caracas als Regierungssitz anerkannt worden war. Statt die gehoffte Ruhe zu finden, gerieth aber das Land in größere Unordnung als zuvor. Auflehnungen der mächtigen Partei Monagas u. offene Kämpfe der in der Executivgewalt zusammengebrachten Parteien machten den Bürgerkrieg bald allgemein. Anfangs schien Castro, welcher sich zuletzt den Liberalen zuwandte, die Oberhand zu behalten, so daß Paez am 3. Juni Caracas wieder verließ. Aber schon im August wurde Präsident Castro nach einem Kampfe m den Straßen von Caracas zwischen den Liberalen u. den Oligarchen (Partei von Gual u. Tovar) gestürzt, u. an seiner Stelle Gual zum provisorischen Präsident erhoben. Zwar befand sich der Haupthafen der Republik La Guaira mit der Hauptzollstäte noch im Besitze der Föderalisten (Partei Monagas) unter dem General Aguado, welcher von da aus die Hauptstadt bedrohte, doch wendete ein Sieg des Generals Rubin diese Gefahr ab. Bald darauf wurden die Liberalen auch in anderen Theilen des Landes geschlagen, u. so konnte Anfang April 1860 der bis dahin durch den Krieg mit den Föderalisten in den verschiedenen Provinzen verhinderte Zusammentritt des Congresses erfolgen. Manuel Felipe Tovar wurde zum Präsidenten, Gual zum Vizepräsidenten gewählt u. ihnen der General Leon de Febres Cordero als Designado beigesellt; am 19. April wurde die neue Negierung eingesetzt. Aber auch Tovar war nicht im Stande dem zerrütteten Lande die Ruhe wieder zu geben. Die Finanzen waren in der äußersten Unordnung, seit zwei Jahren hatte man die Zinsen der Staatsschuld nicht bezahlt, über sieben Monate Hatten die Beamten leinen Gehalt erhalten. Schon im Aug. 1860 begannen neue Unruhen der listen; u. da Tovar von seiner eigenen Partei aufgegeben wurde, so richteten sich in dieser allgemeinen Verwirrung die Blicke des Landes auf den General Paez, welcher im März 1861 zurückkehrte ü. zum Oberbefehlshaber über sämmtliche Truppen ernannt wurde. Als aber Tovar dessen Gewalt möglichst zu beschränken suchte u. Paez deshalb sein Amt wieder niederlegte, sprach sich die öffentliche Stimme so entschieden für den Letzteren aus, daß der Präsident Tovar am 8. Mai sein Amt niederlegte. Hierauf trat der bisherige Vicepräsident Gual an seine Stelle u. Paez nahm wieder den Posten als Oberbefehlshaber der Truppen mit den ausgedehntesten Vollmachten ein. Die ersten Waffenerfolge des Letztern waren günstig für die Regierung; aber das von Gual ernannte Ministerium verübte Gewaltthätigkeiten aller Art, u. der Bürgerkrieg wüthete mit erneuter Heftigkeit. In der Nacht des 28. Aug. 1861 bemächtigte sich der Oberst Echezuria in Caracas des Präsidenten, der Minister u. der hervorragendsten Oberoffiziere, bildete eine Provisorische Regierung u. proclamirte die Dictatur des Generals Paez, welcher am 7. Septbr. Don Valencia in Caracas eintraf u. sich der Regierung bemächtigte, deren Seele der zum Generalsecretär u. 1862 zum Substituten des Diktators ernannte Pedro Rojas war. Aber alle Versuche durch eine versöhnliche Politik den Föderalen jeden Grund zur Fortsetzung des Bürgerkrieges zu nehmen, waren vergeblich; selbst eine persönliche Zusammenkunft zwischen Paez u. Falcon, dem hervorragendsten Führer der Föderalen, zu Carabobo war ohne Erfolg. So mußte Paez den Krieg gegen den föderalen Aufstand von Neuem aufnehmen; am 1. Jan. 1862 erließ er Proclamationen, in denen er die Bürger u. Soldaten zu den Waffen rief, u. verlieh gleichzeitig durch ein organisches Decret eine neue Konstitution, in welcher er den Venezuelanern alle möglichen Freiheiten versprach, sich selbst aber bis zur definitiven Neugestaltung der Republik zum Depositar der obersten Gewalt einsetzte u. alle ministeriellen Functionen in die Hände zweier Generalsecretäre der Civilverwaltung u. des Kriegs vereinigte. Gewaltthätigkeiten u. Erpressungen aller Alt waren die Mittel, mit denen der Dictator seine Macht aufrecht erhielt. Der Bürgerkrieg dauerte mit wechselndem Glücke der Parteien fort; im Mai 1862 griffen die Föderalisten offen Caracas an, doch gelang es Paez den Angriff zurückzuschlagen. Gegen das Ende des Jahres 1862 stand die Provinz Maracaibo mit 2000 Mann gegen die Regierung; die Besatzung des Forts San Carlos hatte sich für die Rebellen erklärt, Paez am 5. Januar 1863 über den Hafen u. die Küste dieser Provinz den Blockadezustand verhängt. In der Provinz Coro behauptete sich General Falcon gegen die Regierungstruppen, die Provinzen Barquisimeto u. Carabobo waren mit Ausnahme der größeren Städte gleichfalls in den Händen der Rebellen. Selbst in der Provinz Caracas konnte nur die Hauptstadt Caracas selbst u. deren Hafen La Guaira als in unbestrittenem Besitze der Regierung betrachtet werden, u. nicht selten kamen in der nächsten Umgebung Gefechte vor. Erst am 23. März 1863 kam zu Cocha bei Caracas zwischen den Föderalisten u. der Regierungspartei ein Friedensvertrag unter folgenden Bedingungen zu Stande: Waffenstillstand, Einberufung von vier Repräsentanten jeder Provinz (zwei von jeder Partei), in deren Hände die Regierungsgewalt niedergelegt werden u. welche dann einen neuen Präsidenten erwählen sollten; bis dahin sollte Paez an der Spitze der Civilverwaltung bleiben, General Falcon aber, das Haupt der Föderalisten, Chef sämmtlicher Truppen werden. In Folge dieser Convention legte Paez die Präsidentenwürde nieder. Die in Gemäßheit derselben erwählten Repräsentanten versammelten sich am 17. Juni 1863 zu Vittoria u. erwählten den General Juan E. Falcon zum provisorischen Präsidenten, den General Ant. Guzman Blanco zum provisorischen Vicepräsidenten der Republik. Doch erklärte sich General Leon de Febres Cordero an der Spitze der Garnison von Puerto-Cabello gegen die Übertragung der höchsten Gewalt an die Versammlung zu Vittoria u. organisirte eine Gegenregierung. Am 24. Juli 1863 zog der neu erwählte Präsident Falcon in Caracas ein u. berief, um eine legale Regierung herzustellen, auf den 10. Decbr. 1863 eine Constituirende Versammlung. Vgl. Codazzi, Resumen de la geografia de V., Par. 1841; Wappäus, Die Republiken von Südamerika, Gott. 1843; L. Glöckler, B. u. die deutsche Auswanderung dahin, Schwerin 1850; Codazzi, Atlas fisico e politico de V., Caracas 1840; R. M. Baralt, Resumen de la historia de V. hasta el año 1797, Par. 1841; Derselbe u. R. Diaz, Resumen de la historia de V. desde el año 1797 hasta el de 1830, ebd. 1841, 2 Bde.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

Игры ⚽ Нужен реферат?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Venezuela — Venezuela …   Deutsch Wörterbuch

  • Vénézuela — Venezuela República Bolivariana de Venezuela (es) République bolivarienne du Venezuela (fr) …   Wikipédia en Français

  • Vénézuéla — Venezuela República Bolivariana de Venezuela (es) République bolivarienne du Venezuela (fr) …   Wikipédia en Français

  • Venezuela — • A republic formed out of the provinces which, under Spanish rule, constituted the captaincy general of the same name Catholic Encyclopedia. Kevin Knight. 2006. Venezuela     Venezuela   …   Catholic encyclopedia

  • VENEZUELA — Du point de vue de sa superficie (912 050 km2) et de sa population (21 177 300 habitants en 1994), le Venezuela est loin d’occuper le premier rang en Amérique latine. Malgré la crise pétrolière, son P.N.B. par habitant (2 900 dollars en 1992) est …   Encyclopédie Universelle

  • VENEZUELA — (Span. República Bolivariana de Venezuela), republic in northern South America; general population:   24,000,000; Jewish population (2005), est. 15,500 (mainly in the cities of caracas , Valencia, Maracay, Maracaibo, Barquisimeto, San Cristóbal,… …   Encyclopedia of Judaism

  • Venezuela — Venezuela. □ V. tártago de Venezuela. * * * Venezuela es un país ubicado al norte de América del Sur. Limita al norte con el Mar Caribe y el Océano Atlántico, al sur con Brasil, al oeste con Colombia, con Guyana al este …   Enciclopedia Universal

  • Venezuela — Venezuela, Eisenbahnen. V. (Klein Venedig), Bundesrepublik im Norden von Südamerika, im Norden vom Karaibischen Meer, im Osten vom Atlantischen Ozean und Britisch Guyana, im Süden von Brasilien, im Westen von Columbien begrenzt, 972.000 km2,… …   Enzyklopädie des Eisenbahnwesens

  • Venezuela — [ven΄ə zwā′lə, ven΄əzwē′lə; ] Sp [ ve΄ne swe′lä] 1. country in N South America: 352,143 sq mi (912,047 sq km); pop. 19,405,000; cap. Caracas: official name Bolivarian Republic of Venezuela 2. Gulf of inlet of the Caribbean, on the NW coast of… …   English World dictionary

  • Venezuēla — (Vereinigte Staaten von V.), Föderativrepublik in Südamerika (s. Karte »Peru etc.«), zwischen 0°50 12°12 nördl. Br. und 60°30 73°30 westl. L., grenzt nördlich an das Antillenmeer, nordöstlich an den Atlantischen Ozean, östlich an das britische… …   Meyers Großes Konversations-Lexikon

  • Venezuela — Venezuēla, Ver. Staaten von V., Föderativrepublik im N. Südamerikas [Karten: Südamerika I, I, 10, II], 942.300 qkm, (1904) 2.590.981 E. (1 Proz. Kreolen, sonst Mischlinge [bes. Mulatten und Zambos]; meist kath.), im SO. von dem Bergland von… …   Kleines Konversations-Lexikon

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”