Hutungsgerechtigkeit

Hutungsgerechtigkeit

Hutungsgerechtigkeit (Weidegerechtigkeit, Hut- u. Weidegerechtigkeit, Hut- u. Triftrecht, Servitus pascendi), die dingliche Servitut; vermöge[648] deren dem Besitzer eines Grundstücks das Recht zusteht, das zum Zweck u. zur Cultur jenes Grundstücks nöthige Vieh auf dem Grundstücke eines Anderen weiden zu lassen. Sie ist eine Unterart des Weiderechts im Allgemeinen, in der Regel eine Realservitut, weshalb auch über den Erwerb derselben durch Vertrag u. Ersitzung, sowie über den Verlust durch Verjährung, freiwillige Aufgabe, Vereinigung des herrschenden u. dienenden Grundstücks etc. in der Regel die gewöhnlichen Grundsätze der Realservituten gelten; sie schließt den Eigenthümer des dienenden Grundstückes, insofern dies nicht ausdrücklich bestimmt ist, nicht von der Mitbenutzung des Weiderechts (Mithut, Jus compascendi) aus u. hindert überhaupt den Eigenthümer des dienenden Grundstückes nicht, jeden mit der Servitutausübung vereinbaren Vortheil aus seinem Grundstücke zu ziehen, namentlich dasselbe wirthschaftlich nach der Landesart u. so, daß die Substanz des Grundstücks nicht darunter leidet, zu benutzen. Blos ungewöhnliche Arten der Benutzung kann er nicht vornehmen, daher z.B. auch nicht Wiesen od. Leede eigenmächtig in Garten- od. Ackerland verwandeln, Gebäude errichten etc. Bei unbestimmter Stückzahl u. Viehart darf der Hutungsberechtigte nur so viele Stücken Vieh auf die Weide bringen, als er mit dem, von seinen Grundstücken (u. zwar nur von denjenigen, welche zur Zeit der Erwerbung der H. mit seinem Gute verbunden waren) selbst gewonnenen Futter durchwintern kann. Daher schließt die H. nicht das Recht in sich, auch Vieh, welches etwa zu einem andern, von dem Berechtigten besessenen Gute gehört, od. welches nur des Handels, des Frachtfuhrwerks etc. halber von dem Berechtigten gehalten wird, mit auf die Weide zu treiben. Ist bei Schafen die Stückzahl bestimmt, so dürfen die Lämmer ungezählt mit den Mutterschafen die Weide bis zur Absetzezeit (zwischen Pfingsten u. Johannis) besuchen. Der Weideberechtigte darf sein Vieh nicht allein, sondern nur unter einem Hirten auf der Weide lassen. Auch darf er kein unreines u. mit ansteckenden Krankheiten behaftetes Vieh auf die Weide bringen. Ist die Viehart unbestimmt, so begreift die H. jede Gattung von Vieh, welche der Cultur der zur Weide bestimmten Grundstücke nicht hinderlich ist, also in der Regel das Zug-, Rind- u. Schaf-, auch das vorzugsweise sogenannte Treibevieh (d.i. solches, welches zum Lasttragen, besonders von den Müllern gehalten wird, Esel, Maulesel, Pferde). Auf die Wiesen dürfen häufig keine Schweine, weil sie die Wiesen umwühlen, keine Gänse wegen ihres ätzenden Düngers, in die Holzungen keine Pferde, Schafe u. Ziegen, weil sie an den Bäumen nagen u. die jungen Lohden abbeißen, getrieben werden. Auf den Äckern, namentlich den Stoppelfeldern, können, im Fall nichts darüber festgesetzt ist, alle Vieharten, jedoch nur nach der hergebrachten Zugordnung, weiden. Die H. kann übrigens auch mit gepachtetem Vieh ausgeübt werden, auch kann das Hutungsrecht mit dem Gute verpachtet werden, allein einem andern Viehbesitzer, der nicht zugleich das berechtigte Gut erpachtet hat, darf der Weideberechtigte nicht gestatten, sein Vieh mit auf die Weide zu treiben. Die H. kann nur zu offenen, nicht zu geschlossenen Zeiten, deren Bestimmung von Localgesetzen od. Gewohnheit abhängt, ausgeübt werden. Diese Zeiten können aber auch vom Eigenthümer nicht willkürlich u. ohne Zustimmung des Hutungsberechtigten abgeändert werden. Er kann sie daher weder länger für geschlossen, noch später für offen erklären, als durch Gesetz, Herkommen od. Vertrag bestimmt ist, kann, zum Nachtheil des Weideberechtigten, seine Früchte nicht länger liegen lassen etc. Unter der H. ist das Mastrecht, d.i. das Recht, das Vieh, besonders die Schweine zur Mast in die Wälder zu schicken, nicht mit begriffen Was überhaupt die Ausübung der H. in Waldungen anlangt, so darf dadurch der Eigenthümer an forstmäßiger Cultur des Holzes nicht gehindert, es darf aber auch der Weideberechtigte nicht durch übermäßige Hegung od. Schonung an der Ausübung der H. beeinträchtigt werden. Überall hat hier das von Alters her gewöhnliche Verhältniß der gegenseitigen Nutzungen zu entscheiden. Jeden Falls wird das gehegte Grundstück nicht auf immer, sondern nur so lange der H. entzogen, bis die jungen Lohden nicht mehr verbissen, d.h. die Gipfel derselben nicht mehr vom Viehe erreicht u. abgefressen werden können. Bei Behütung der Äcker ist die Stoppelhütung von der Brach- od. Dreischhütung zu unterscheiden. Die erstere findet statt, wenn die Sommer- u. Winterfrüchte gereist u. vom Felde eingeerntet sind. Ist die Stoppelhütung ohne Beschränkung eingeführt, so kann der Feldeigenthümer sein Feld umackern, wenn er will. Doch finden da häufig noch besondere Bestimmungen statt, z.B. daß die Feldeigenthümer bis nach Ablauf einer gewissen Zeit die Stoppeln nicht umackern dürfen. daß der Weideberechtigte nicht eher in die Stoppeln treiben darf, bis auch Andere in dem fraglichen Orte hineintreiben etc. Wer diese Gerechtigkeit besitzt, darf darum nicht sein Vieh auch in die Brachfelder treiben; wer dagegen die Gerechtigkeit zur Brachfelderhütung hat, kann mehrentheils rücksichtlich des Besömmerns der Brache u. sonst mehrfache Einschränkungen des Eigenthums in Anspruch nehmen. Nach diesem Allen läßt sich der Unterschied zwischen beschränkter u. unbeschränkter H. leicht finden. Die beschränkte H. kann dies aber sein nach Art u. Zahl des Viehes u. der Grundstücke, nach Art der Ausübung etc., ja auch der Dauer nach. Ist dies Letztere bis zu einem bestimmten Tage festgesetzt, so fragt es sich, ob dieser Tag nach dem alten Julianischen, od. dem verbesserten Gregorianischen Kalender bestimmt ist. Es ist dabei auf die Berechnungsart zu sehen, welche zur Zeit der Bestellung der H. galt. Im ersten Falle entsteht dadurch eine, die Landescultur hindernde Differenz von jetzt zwölf Tagen. Wenn übrigens das berechtigte Grundstück (Praedium dominans) an Mehrere vereinzelt, verpachtet, verkauft, od. unter sie getheilt wird, so können sie insgesammt die Servitut nur verhältnißmäßig u. in so weit ausüben, wie sie der Einzelne unter den vorigen Verhältnissen ausübte. Oft werden dann die Weideplätze getheilt u. durch Grenzsteine (Weidsteine) verlagt. Hat aber eine Commun eine ausschließliche H., so muß sich, weil die Commun als eine moralische Person anzusehen ist, das dienende Grundstück (Praedium serviens) eine Vermehrung der ausübenden Personen u. ihres Viehstandes gefallen lassen. Der ausschließlichen H., d.i. der, welche nur dem einen herrschenden Grundstück, selbst mit Ausschluß des Eigenthümers des Grundstücks zusteht, ist die [649] Koppelhutungsgerechtigkeit (Koppelhut) entgegengesetzt, d.i. diejenige, welche von Mehreren zugleich auf denselben Grundstücken ausgeübt wird. Dies ist der Fall, wenn Jemand auf seinem Grundstücke mit einem Dritten das Weiderecht auszuüben hat (Mithut), wenn Jemand auf einem fremden Gute mit dessen Eigenthümer od. mit Anderen die H. hat (Jus compascui), wenn Jemand auf einem solchen fremden Grundstücke die H. zusteht, dessen Eigenthümer wiederum auf dem Grundstücke des Weideberechtigten die H. hat (Jus compaseulationis reciprocum), endlich wenn ein Gemeindeglied mit anderen Gemeindegliedern die Grundstücke der Commun od. die ganze Dorfflur od. auch Grundstücke eines Dritten, z.B. einer benachbarten Dorfflur, behüten darf (Jus compasculationis im strengen Sinne). Unter Mehreren, welche die Koppelhut haben, steht zuweilen Einem, besonders aber oft dem Eigenthümer des dienenden Grundstücks, welcher die Mithut hat, auch die Vorhut zu, d.i. das Recht, binnen einer bestimmten Zeit das, der gemeinschaftlichen Hütung unterworfene Grundstück vor den Anderen voraus zu behüten. Die Anderen haben die Nachhut. Bei der Beurtheilung des rechtlichen Verhältnisses einer Koppelhut bedarf es immer einer genauen Prüfung, ob eine wahre Dienstbarkeit vorhanden ist od. nicht. Oft beruhen dergleichen Verhältnisse auch nur auf nachbarlicher Freundschaft od. einem Gesellschaftsvertrag, der einseitig auflösbar ist. Die H. schließt endlich die Triftgerechtigkeit (s.d.) in sich, da sie ohne diese nicht bestehen kann. Vgl. Strampfer, Abhandlung vom Hutrecht, Erl. 1798; Münter, Das Weidrecht, Hannov. 1804; Fölix, Über Weidgang u. Weidgerechtigkeit nach den jm Rheinland bestehenden Gesetzen, Köln 1818. Ueber die Ablösung der, einer rationellen Cultur der Ländereien oft sehr nachtheiligen Hutungsgerechtigkeiten, vgl. Ablösung der Grundlasten u. Dienste.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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