Salisches Gesetz

Salisches Gesetz

Salisches Gesetz (Lex Salica), das alte Volksrecht der Salischen Franken, welches in verschiedenen Redactionen in Lateinischer Sprache, indessen untermischt mit einzelnen altdeutschen, von den spätern Abschreibern aber verunstalteten Wörtern (der Malbergischen Glosse), erhalten ist. Der älteste Theil des Gesetzes scheint nach mehren Prologen u. Epilogen, welche über die Entstehung desselben Aufschluß geben, noch in heidnischer Zeit ohne Einfluß des Königthums durch Vermittelung der Volksvorsteher aufgezeichnet worden zu sein, was etwa auf die Mitte des 5. Jahrh. hinweist. Er wird in den Handschriften als Pactus Salicae, Tractatus lege Salicae, L. Salica bezeichnet u. umfaßt in dieser Gestalt 65 Titel. Als Heimath des Gesetzes läßt sich nach einer Andeutung im 47. Titel die Gegend zwischen der Leye u. Sambre bezeichnen. Es wird erzählt, daß vier Männer (Wisogast, Bodogast, Saligast u. Widogast), aus der Masse des Volkes ausgewählt, an drei Gerichtsstätten (Bothem, Salehem u. Widohem) od. in drei Gerichtsversammlungen zusammengekommen wären u. über alle wichtigen Fragen, welche Anlaß zum Streite geben könnten, nach gepflogener Erörterung das Recht festgesetzt hätten.[792] Der Inhalt der Satzungen stellt sich zum Theil als altfränkisches Gewohnheitsrecht dar; zu einem großen Theil besteht derselbe aber auch in willkürlichen Festsetzungen, wie in sehr genauen Bestimmungen über Bußen, Wehrgeld u. dgl. Dieser ursprüngliche Text wurde im 6. Jahrh. durch mehrfache Zusätze erweitert u. zum Theil abgeändert, wobei schon der Einfluß des Christenthums u. die Zeichen einer mehr vorgeschrittenen Cultur sichtbar sind. Eine weitere Redaction, welche vielleicht unter Pipin entstand, führt den Text in 99 Titeln, zum Theil auch mit anderer Anordnung auf. Noch später entstand der in den meisten (etwa 50) Handschriften u. Ausgaben enthaltene Text mit 70 Titeln, welcher, in besserem Latein, unter Weglassung aller Malbergischen Glossen, theils auf dem erweiterten Text in 65, theils auf dem in 99 Titeln beruht u. in mehren Handschriften wieder in 3 od. 4 Bücher getheilt ist. Er führt in den Handschriften nicht mehr den Titel Pactus, sondern L. Salica, Liber legis Salicae u. wird in den Ausgaben als L. Salica mandata s. reformata bezeichnet. Öfters hat man diese neueste Redaction des Gesetzes Karl dem Gr. zugeschrieben u. in das Jahr 768 gesetzt; allein wenn es auch möglich ist, daß die Reinigung des Textes durch diesen Kaiser veranlaßt wurde, so kann doch dabei nicht eine eigentlich gesetzgeberische Thätigkeit angenommen werden, da der Text keine wesentlichen Veränderungen u. Zusätze erhalten hat. Auch in dieser Gestalt erstrecken sich die Bestimmungen des Gesetzes hauptsächlich auf die Bußen bei Diebstahl, Tödtung, Raub u. anderer Gewaltthat, falschem Zeugniß etc. Einige Titel handeln auch von dem gerichtlichen Verfahren, insbesondere für den Streit über Mobilien u. für die Rückforderung geliehener Sachen; ferner über Ansiedlung in einer fremden Mark, die subsidiäre Haftung der Familie für das Wehrgeld u. das Erbrecht in Grundstücken, welches nur Männern zugesprochen wurde. Neben dem ursprünglichen Gesetz finden sich noch verschiedene Anhänge, welche meist aus Gesetzen späterer fränkischer Könige, insbesondere von Childebert I. u. Chlothar I., einem Capitulare Karls d. Gr. vom Jahr 803 u. von Ludwig dem Frommen vom Jahr 819 bestehen. Über die Malbergischen Glossen, so genannt, weil ihrem Vorkommen in den Handschriften stets die Bezeichnung Malb. od. Mall. vorangesetzt ist, besteht ein Streit, ob man dieselben als deutsche od. als keltische Wörter anzusehen habe, welche letztere Ansicht bes. von Leo (Die Malbergische Glosse, ein Rest altkeltischer Sprache u. Rechtsauffassung, Halle 1842, 45) aufgestellt worden ist; doch hat J. Grimm den Beweis geliefert, daß diese Wörter der Deutschen Sprache angehören, wie denn auch die sie vornämlich enthaltenden Handschriften nach Deutschland hinweisen (vgl. Grimm, Geschichte der Deutschen Sprache, S. 548–64 [2. Ausg. S. 383 ff.], Clement, Die L. Salica u. die Textglossen in derselben germanisch, nicht keltisch, Manh. 1843). Die Einschaltung der Glossen erklärt sich wahrscheinlich dadurch, daß sie althergebrachte Schlagwörter enthalten, mit welchen der Richter, wenn er die Bußen aussprach, die Sache kurz zu bezeichnen gewohnt war. Noch im 9. Jahrh. scheint die L. Salica, wie die vielen aus jener Zeit herrührenden Handschriften beweisen, nicht geringe praktische Anwendung gefunden zu haben. Aus dieser Zeit stammt auch das Bruchstück einer althochdeutschen Übersetzung, welche von Mone in Trier aufgefunden wurde (vgl. Pertz, Über einige Handschriften deutscher Rechts- u. Gesetzbücher, Berl. 1857). Selbst noch aus dem 12. Jahrh. findet sich bei Otto von Freising (IV, 32) ein Zeugniß fortdauernder Anwendung. Ausgaben von Tilius, Par. 1573; von Herold, Bas. 1557; Lindenbrog, 1613; E. A. Feuerbach, Die Lex Salica u. ihre verschiedenen Recensionen, Erlangen 1831; Laspeyres, L. Salica, Halle 1833; J. M. Pardessus, Loi Salique, Par. 1843; J. Merkel, L. Salica, Berl. 1850. Vgl. noch Wiarda, Geschichte u. Auslegung des S-n G-es u. der Malbergischen Glossen, Brem. 1808; H. Müller, Der L. Salica Alter u. Heimath, Würzb. 1840; Waitz, Das alte Recht der Salischen Franken, Gött. 1846; Jul. Grimm, De historia legis Salicae, Bonn 1848; Holtzmann, Über das Verhältniß der Malbergischen Glossen zum Text der L. Salica, 1852.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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