- Merŏë
Merŏë (a. Geogr.), eine Landschaft im Innern Äthiopiens, zwischen den Quellflüssen des Nil, Astapos u. Astaboras (daher eine Insel genannt), soll Anfangs Saba geheißen u. erst nach einer Schwester des Kambyses den Namen M. erhalten haben u. entspricht wohl dem heutigen Shendy, wogegen Andere auch Sennaar noch dazu ziehen: das Land war fruchtbar; hatte große Wälder u. Berge, worin sich viele wilde Thiere fanden, es gab Edelsteine, Gold, Eisen, Kupfer, Salz, Datteln, ägyptische Mandeln, Johannisbrod, Ebenholz. Die gleichnamige Stadt lag am östlichen Ufer des Astapos, südlich von dessen Vereinigung mit dem Astaboras, galt wegen ihres hohen Alters für die Mutterstadt aller Äthiopen, war sehr groß u. ihatte den berühmten Tempel des Amun mit Orakel; dabei die kleine Nilinsel Tadu, welche ihr als Hafen diente (beim jetzigen Shendy); oberhalb der Stadt standen zwei Gruppen Pyramiden, gegen 80 Stück, aus Sandsteinen, jede mit einem Vorbau (Propylon) auf der Ostseite, worin der Eingang. Die meisten sind eingestürzt, von den noch stehenden ist die höchste nicht viel über 60 Fuß.[155] Sie sind mit Hieroglyphen u. Sculpturen versehen. Etwa 1000 Schritt vom Fluß entfernt finden sich viele Mauertrümmern, die man für die Ruinen der Stadt M. hält. Landeinwärts im jetzigen Wady Oretaib sind die Ruinen eines ungeheuern, mit einer Mauer umgebenen Gebäudes, das Ein. für das Ammonium, Andere für einen königlichen Palast halten, welchen die Könige während der Nilüberschwemmung bezogen. Die Ruinen von Dschibel el Birkel bei Meroeh sind von Tempeln. Die Einw. waren gebildeter als alle andern Äthiopen, trieben starken Karavanenhandel nach Ägypten u. Afrika, wie denn M. der Mittelpunkt des südasiatischen u. afrikanischen Handels war. M. war ein Priesterstaat, die Priestercaste, von weißer Farbe, scheint von Indien aus ihren Ursprung gehabt zu haben; sie hatten den Dienst des Amun u. Osiris zu leiten u. standen selbst unter der Leitung des Orakels. Die Priester wählten einen König, u. sie hatten über sein Leben zu gebieten, so daß er sich, auf ihren Befehl, selbst ermorden mußte. Bis zum 10. Jahrh. v. Chr. stand M. nebst Äthiopien an Kriegsglück den ägyptischen Königen nach; nach dem 10. Jahrh. aber wurde Ägypten von M. aus beherrscht, u. Sabakon, Sevechos u. Tirhakah waren äthiopische Könige in Ägypten, s.d. (Gesch.). Zur Zeit seiner Blüthe soll es ein Heer von 250,000 Mann ins Feld haben stellen können. Nachmals trat ein Gleichgewicht zwischen Äthiopien u. Ägypten ein. König Ergamenes, um 300 v. Chr., auf welchen der freiere, auch seit einiger Zeit schon in Ägypten heimische griechische Geist eingewirkt hatte, rückte mit seinem Heere vor die Priesterveste, ermordete die Priester u. machte sich frei. Die fernere Geschichte ist unbekannt, aber zu Neros Zeit war die Stadt M. schon zerstört.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.