- Minos
Minos, nach Homer Sohn des Zeus u. der Europa, Bruder des Rhadamanthys, Vater des Deukalion u. der Ariadne, ist der alte mythische König von Kreta, auf dessen Person die Kretischen Sagen vor dem Trojanischen Kriege übertragen wurden; er ist der Sonnenheld von Kreta, verwandt mit dem phönicischen Herakles Melkart. Die spätere Zeit vertheilte die von M. handelnden Sagen auf zwei Personen dieses Namens u. nahm einen M. I., Sohn des Zeus u. der Europa, welcher von dem Gemahl der Europa Asterios adoptirt wurde, u. einen M. II. an, Enkel von M. I. u. Sohn des[303] Lykastes u. der Ida, welcher mit seiner Gemahlin Pasiphae, einer Tochter des Helios u. der Perseis u. Mondgöttin, die Akallis, Xenodike, Ariadne, Phädra u. den Katreus, Deukalion, Glaukos u. Androgeos gezeugt hatte. Als Nachfolger seines Adoptivvaters Asterios herrschte M. in Knossos über die Insel Kreta u. die die umliegenden Inseln bewohnenden Karier in neunjährigen Perioden, ging als Vertrauter des Zeus alle neun Jahre in eine heilige Höhle, um dort mit seinem Vater Zeus Umgang zu pflegen u. Gesetze für seine Unterthanen von ihm zu empfangen; diese Gesetze (Minoische Gesetzgebung, s.u. Kreta, a. Geogr.) galten in Griechenland als die ältesten. Bei seiner Wahl zum König opferte M. seinem Vater Zeus am Meere u. bat dabei zu Poseidon, ihm den Opferstier aus dem Meere zu senden; da erhob sich aus dem Meere ein schneeweißer Stier, welchen M. aber nicht opferte, sondern seiner Heerde einverleibte. Über diesen Mißbrauch seiner Gabe erzürnt flößte Poseidon der Gemahlin des Minos eine widernatürliche Liebe zu dem Stiere ein, deren Frucht der Minotaurus ist. In anderen Kretischen Sagen erscheint M. als Jäger, welcher in den Bergen u. Wäldern Kretas das Wild u. die Nymphen jagt, auch zur Diktynna u. Prokris in Liebe entbrannte, weshalb Pasiphae ihn aus Eifersucht verzaubert, so daß seine Liebe allen Frauen zum Verderben gereicht, bis Prokris ihn durch einen Gegenzauber heilt. Als sein Sohn Androgeos von dem attischen Könige Ägeus gegen den Marathonischen Stier geschickt u. von diesem getödtet worden war, überzog M. Attika mit Krieg, eroberte Megara, dann Athen, welches sich durch einen alle acht Jahre zu entrichtenden Tribut von sieben Jünglingen u. sieben Jungfrauen löste, die dem Minotauros vorgeworfen wurden, bis Theseus Athen davon befreite, den Minotauros tödtete u. die Ariadne entführte. Als M. den aus dem Labyrinth entflohenen Dädalus (s.d.) verfolgte u. ihn beim Könige Kokalos in Kamikos auf Sicilien traf, erstickte ihn Kokalos in einem warmen Bade; seine Begleiter errichteten ihm bei Agrigent ein Grabmal, mit welchem ein Heiligthum der Aphrodite verbunden war. Nach späterer Sage wurde M. mit Rhadamanthys u. Aiakos Todtenrichter in der Unterwelt.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.