Thurm [1]

Thurm [1]

Thurm, 1) ein Gebäude, dessen Höhe im Verhältniß zur Grundfläche bedeutend groß u. dessen Grundfläche quadratisch, polygonal od. rund ist. Bei den Römern u. im Mittelalter waren Thürme gewöhnlich in den Stadt- u. Burgmauern auf Wurf- od. Pfeilschußweite von einander angebracht u. dienten zur bessern Vertheidigung; außerdem bildete den nie fehlenden Haupttheil einer mittelalterlichen Burg der große T. (Bergfried, franz. Donjon), welcher theils zur Wohnung, theils zu Gefängnissen benutzt wurde, seinen Eingang, durch eine Zugbrücke vom Palast (dem Herrengebäude) aus od. durch eine Leiter zugänglich, im zweiten Stockwerk hatte u. den letzten Zufluchts- u. Vertheidigungsort bildete. Auch der Haupteingang zur Burg, das große Burgthor, wurde in der Regel mit zwei Thürmen an den Seiten befestigt. Von den Burgen gingen die Thürme als Befestigungsmittel in die Städte über, wo sich Thorthürme, Mauerthürme, Brückenthürme etc. finden. Einen integrirenden Theil jeder christlichen Kirche bildet der T. mit Ausbildung der romanischen u. sogenannten gothischen Baukunst, wobei er ästhetischerseits das anstrebende, nach dem Jenseits gerichtete Element des Christenthums vertrat, praktischerseits aber dem Auge u. Ohr als Wegweiser diente, indem man ihn erhöhte u. zum Aufhängen der Glocken benutzte. Auch die Rathhäuser wurden seit dem Aufblühen des Städtewesens durch einen T. charakterisirt; jetzt benutzt man, wenn auch in kleinerem Maßstabe, Thürme, bes. als Uhrthürme, zur Auszeichnung öffentlicher Gebäude, od. als sogenannte Belvedères zum Schmuck u. wegen der von ihnen aus sich bietenden[571] Rundsicht zur Annehmlichkeit schön gelegener Landhäuser. Meist bringt man an den Thürmen Uhren (s. Thurmuhren), damit sie in größerem Umkreise gesehen werden können, u. in den Thürmen Glocken an. Kleine Thürmchen, z.B. an Schulen u.a. öffentlichen Gebäuden, dienen bisweilen nur zum Aufhängen der Glocken od. Schellen, u. die Uhr befindet sich am Giebel od. einem andern vorragenden Theil des Gebäudes. Stadtthürme, Rathhausthürme etc. dienen auch dazu, um von ihnen aus die Stadt u. Umgegend übersehen u. mittelst Stürmens od. Anschlagens, durch Rufe u. Signale Feuersbrünste anzeigen zu können. Als besonderes Signalmittel sind in der Nähe von Häfen, Klippen etc. mitten in die See Leuchtthürme (s.d.) errichtet. In letztgenannter Absicht ist in den größeren Stadtthürmen auch eine Wohnung für einen Thürmer od. Thurmwächter angebracht. In diesem Falle führt in der Höhe der Wohnung eine Balustrade od. Gallerie, gewöhnlich auf Tragsteinen ausgebaut od. durch Zurücksetzen der Mauern gebildet, rings um den T., so daß der Thürmer von da nach allen Seiten frei ausschauen kann. Hinsichtlich der Bauart sind die Thürme: a) ganz massiv von unten an gebaut, deren Spitze ebenfalls massiv, od. von Eisen, Zinkg uß, Blei etc. od. hölzern ist; b) ganz od. theilweis hölzern, welche indessen massiv gegründet sind u. endlich c) sogen. Dachreiter; die nur auf das Dach des Gebäudes aufgesetzt sind u. durch Sprengwerke getragen werden. Die erstern erhalten bes. nach unten, sehr starke Mauern, wobei man der Vorsicht halber, sowie auch wegen den Erschütterungen, denen ein T. durch Stürme, Schwingung der Glocken ausgesetzt ist, die Mauern oft verankert u. die aus Quadern od. Werkstücken bestehenden Steine mittelst in Blei vergossenen Klammern verbindet. Der Stabilität des T-es wegen bringt man die Glocken so tief wie möglich an u. sorgt durch Construction eines guten Glockenstuhls für gleichmäßige Übertragung der Last auf die Mauern u. möglichste Beseitigung von Erschütterung derselben. Die Grundform der Thürme ist meist eine regelmäßige u. geht meist weiter oben, sich verjüngend, in andere kleinere über. So z.B. am häufigsten aus dem Viereck ins Achteck, od. aus dem Kreis ins Polygon u. umgekehrt. In der Regel sind die Thürme mit den zugehörigen Gebäuden verbunden, seltener freistehend (wie der Campanile in Florenz u. Venedig, schiefe T. in Pisa). Die schönste u. reichste Ausbildung des T-es verdanken wir dem Gothischen Styl. Hervorzuheben sind: der Stephansthurm in Wien, der T. des Strasburger Münsters (der höchste), der T. der Kathedrale von Freiburg im Breisgau, der Glockenthurm in Florenz. An Kirchen u. Privatgebäuden, namentlich älteren, auch wohl an Thürmen selbst, sind bisweilen kleinere runde od. eckige Thürmchen angebaut, welche die Treppen (Wendeltreppen) enthalten u. Treppenthürme genannt werden. Die Form des Thurmdaches richtet sich nach der des T-es. Es ist entweder sehr spitz u. schlank, durchbrochen od. voll u. heißt dann Helm. Weniger häufig kommen Kuppeldächer (Hauben) auf Thürmen u. Dächer mit mannigfach geschwungenen, ein- u. ausgebogenen Flächen (Zwiebeldächer), an türkische u. russische Bauformen erinnernd, an Kirchthürmen vor. Der obere durchbrochene Theil des Thurmdaches, wenn ein solcher vorhanden, heißt Durchsicht od. Laterne. Thürme für besondere Zwecke sind: Pulverthürme, Leuchtthürme, Belagerungsthürme etc. Eine besondere Art Thürme sind die bei den Türken gewöhnlichen Minarets (s. Moschee). 2) (Kriegsw.), schon bei den Alten u. im Mittelalter waren an der Escarpe od. äußeren Seite der alten Stadtmauern vor Erfindung des Schießpulvers runde od. viereckige Türme zur Seitenvertheidigung in der Weite eines Pfeilschusses angebracht. oft waren sie eben so hoch, als die übrige Mauer, meist überragten sie aber dieselbe. Aus ihnen entstanden später die Bastionen (s. Bollwerk 2) u. die eigentlichen Thürme kamen außer Gebrauch. Erst später wendete sie Vauban bei seinem zweiten u. dritten Systeme unter dem Namen der Bollwerksthürme (s.d.) wieder an. Montalembert aber hat sie casemattirt u. so in vielfach veränderter Gestalt angegeben, jedoch so, daß die Gewölbe nicht auf der äußeren Umfassungsmauer, sondern auf inneren Strebepfeilern ruhen u. in bedeckten Geschützständen mehre Reihen Geschütz über einander enthalten. Schon der schwedische General Carlberg gab dergleichen Thürme zuerst an, aber die Gewölbe ruhten auf den äußeren Umfassungsmauern des Thurmes u. mußten daher, wenn diese eingeschossen waren, leicht einstürzen. Wahrscheinlich erhielt Montalembert, als er 1757 bei dem schwedischen Heere war, Nachricht von diesen Thürmen u. bildete dieselben weiter aus, s. Montalembertsche Thürme. In einer ähnlichen Gestalt erschienen die auf Veranstaltung des Erzherzogs Maximilian von Österreich bei Linz 1830 erbauten Thürme, s. Maximilianische Thürme. Ähnliche T., nur mit Gewölben nach alter Manier angelegt, wurden seit den ältesten Zeiten als Reduits größerer Festungswerke (Donjons) benutzt u. dienten als Warten den Einwohnern als Zufluchtsort u. um den nahenden Feind bei Zeiten zu erkunden etc. Dergleichen Warten waren bes. an der italienischen u. spanischen Küste als Zufluchtsort gegen die Barbaresken aufgeführt. Eine ähnliche Bestimmung erhielten die Thürme unter dem Namen Martellothürme (s.d.); 3) bei Salzwerken u. Wasserleitungen ähnliche Gebäude, in welchen die Soole od. das Wasser durch Kunstwerke in die Höhe gebracht wird; 4) so v.w. Gefängniß, da sich dieses sonst in den Thorthürmen befand; 5) ein Offizier im Schachspiel (s.d.); 6) der obere Theil einer Laterne; 7) eine Abtheilung von Pfeifen in dem äußern Gehäuse der Orgel, welche entweder im Halbzirkel od. in Form eines Dreiecks neben einander stehen. Gewöhnlich sind es zinnerne Pfeiler, s.u. Orgel V.; 8) ein Berg, dessen Krone in einer Spitze endigt.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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