- Blindheit
Blindheit (Coecitas), dauernde Beraubung des Gesichts wegen Mangels od. fehlerhafter Beschaffenheit des Sehorgans od. der zu ihm gelangenden Nerven, Folge u. Begleiterin sehr vieler Augenleiden, entweder angeboren (doch seltener als man gewöhnlich glaubt, weil die meisten sogenannten Blindgeborenen in den ersten Wochen od. Monaten ihres Lebens durch die Augenentzündung der Neugeborenen, um die Augen kommen), od. später entstanden. B. ist entweder die Folge von Augenbildungsfehlern, od. von Gehirnleiden, od. von Krankheiten des Auges, welche den Fötus betroffen haben. Die B. hervorrufenden Krankheitszustände des Auges bewirken dieselbe entweder dadurch, daß sie die Durchsichtigkeit der Theile, wie Hornhaut, Linse, Glaskörper (Grauer Staar) aufheben od. die Nervenhaut lähmen (Schwarzer Staar), zuweilen vorübergehend wie bei Bleivergiftungen, od. Zerstörungen einzelner Theile, od. fast des ganzen Auges durch Eiterung od. Verschließung der Pupille durch Verwachsung od. Bedeckungen od. Verschließung der Augenlider etc. erzeugen; bisweilen liegen auch Gehirnfehler zum Grunde. Das Sehvermögen[891] ist entweder völlig aufgehoben, od. es ist noch möglich, Licht u. Dunkelheit zu unterscheiden od. die Umrisse der Gegenstände zu erkennen, bisweilen findet die B. nur am Tage (s. Nyktalopie), bisweilen nur in der Nacht (s. Hemeralopie) statt; auch kommt sehr oft B. Eines Auges vor. Die Heilbarkeit der B. richtet sich nach den ihr zu Grunde liegenden Fehlern der Augen od. des Gehirns, bes. ist die Staaroperation geeignetden Grauen Staarzuheben. Der Verlust des Gesichtssinnes wird von den, von der Geburt an od. bald nachher Erblindeten nicht so schwer empfunden, als man meist glaubt. Mittelst des Gefühls u. Gehörs erlangen dieselben bei gut geleitetem Unterricht (s. Blindenanstalten 3) einen oft bewunderungswürdigen Grad geistiger u. technischer Ausbildung (so Saunderson u. Bazko); sehr gewöhnlich ist die Ausbildung hoher musikalischer Fertigkeit bei Blinden (so Fräulein Paradis u. Dülon u. m. a.). Die Zahl der Blinden, bes. von höherem Alter, ist sehr groß; so wurden z.B. 1821 in sämmtlichen preußischen Staaten, bei einer Volksmenge von 11 Mill. über 13,000 Blinde, meist niederen Standes, also mehr als der 1000. Theil gezählt. Unter mehreren Handwerkern u. bei den Fabrikanten ist B. sehr verbreitet, bes. bei denen, welche sich schnellen u. heftigen Einwirkungen von Licht, z.B. in Schmelzhütten, in Schmieden u. dgl. aussetzen, od. auch bei Licht viel seine Arbeiten verrichten. Auch klimatische Verhältnisse sind dem Auge feindlich u. verursachen leicht B.; vor allen ist Ägypten in dieser Hinsicht von den ältesten Zeiten her verrufen; man rechnet daselbst auf 100 einen Blinden. Überhaupt finden sich in heißen Ländern weit mehr Blinde, als in kalten; so kommt in Norwegen nur auf 1000 Menschen ein Blinder. B. hat in rechtlicher Hinsicht folgende persönliche Beschränkungen zur Folge: ein Blinder ist der Lehnssuccession unfähig; das Testament eines Blinden bedarf mehrerer Solennitäten; als Testamentszeuge kann seine Concurrenz wenigstens leicht angefochten werden; er bedarf für Vermögensübernahme eines Curators; er ist zur Übernahme öffentlicher Ämter, einer Richterstelle, einer Vormundschaft u.a. unfähig; er kann nach Kanonischem Rechte nicht Kleriker werden. Blinde Personen können Regenten werden, doch kommt dies auf die Verfassung der einzelnen Staaten an (s. Hannover). Über die Zurechnungsfähigkeit der Blinden, s.u. Zurechnung. Das Verhältniß der B. der Thiere ist dem der Menschen ähnlich, u. fast alle Augenkrankheiten des Menschen kommen auch bei den Thieren vor, nur ist die Verdunkelung der Hornhaut hier vorherrschend. Ursachen: Beschädigungen des Auges durch Schläge, Stöße, Hiebe, Stiche, ungehörige Fütterung, zu schneller Übergang von Gras zur Körnerfütterung bei jungen Pferden, dumpfiges Heu u.a., Unreinlichkeit der Ställe, schlechte Abwartung, bes. wenn sie dem Staub sehr ausgesetzt sind. Ihr vorzubeugen ist leichter als Heilung. Alle sich bildendenden Augenentzündungen, auch die geringsten, erfordern sorgfältige Schonung u. Behandlung; s. die einzigen Augenkrankheiten, auch Staar. Bei den Pferden unterscheidet man: schönblinde Pferde, deren Auge bei verlorener Sehkraft gesund erscheint, wo aber der Sehnerv gelähmt ist; mondblinde Pferde, bei denen B., wegen Bewölkung der inneren Augenfeuchtigkeiten, periodisch eintritt; stockblinde Pferde, völlig erblindete; ist das Auge nur schwach, so heißen sie nur geblendet.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.