- Etruskische Mythologie
Etruskische Mythologie. Die etruskische Religion, eine polytheistische, war ihrem Charakter nach tiefsinnig, düster u. phantasiearm, aber von großem Einfluß auf das öffentliche u. Privatleben. A) Die Götter (Äsar) zerfielen in 2 Ordnungen: a) die oberen od. verhüllten (lat. Dii superiores, D. involuti) dunkle, namenlose, im Geheimen wirkende, unvergängliche, im ersten Heiligthum des Himmels wohnende Gottheiten, Tina befragte sie, wenn er durch einen Blitz die Veränderung des bisherigen Zustandes verkünden wollte; b) die niederen, zusammenseienden (lat. Diiconsentes, D. complices), benamt, der sichtbaren Natur u. dem Menschengeschlecht näher stehend, vergänglich, 12 an Zahl, 6 männliche u. 6 weibliche, darunter Tina, ihr Herr u. König, dann Kupra, Menrva, Vejovis, Summanus, Sethlans, Saturnus, Mars; außerdem Vertumnus u. Janus od. Neptun. Nächst Neptun war eine bedeutende Seegöttin zu Cere die Matuta. Ungewiß ist, wohin die Schicksalsgöttin Nortia zu rechnen ist. Die Penaten, Götter des Hauses, welche Segen, Nahrung u. Gedeihen gaben u. in dem Inneren des Hauses, in der Vorrathskammer, verehrt wurden, waren wohl keine besondere Klasse von Göttern; Fortuna (vielleicht Nortia), Ceres, Genius Jovialis u. Pales scheinen die allgemein verehrten gewesen zu sein. Andere geben 4 Klassen derselben an, nämlich [933] Penaten des Tina, des Neptun, der Unterweltsgötter u. der sterblichen Menschen, welche vielleicht als Dämonen des Himmels, des Meeres, der unterirdischen Räume u. der Erde gedacht wurden. Bes. wichtig in der E-n M. war die Lehre von dem Genius, dem Gotte mit der allgemeinen Kraft der Zeugung, welcher die Verbindung zwischen Göttern u. Menschen vermittelte. Ausgezeichnete Menschen hießen seine Söhne, so z.B. der Wunderknabe Tages (s.d.). Geisterwesen waren die Laren, Lemures od. Larvä u. Manes (s.d. a.), auch Furien scheinen der E-n M. nicht fremd gewesen zu sein. Von unbekannter Bedeutung sind Ancharia u. Voltumna, sabinischen Ursprungs Feronia u. Soranus. Andere, später eingeführte Götterwesen waren Turnes (Mercur) u. Tinia (Bacchus); der Dienst der Venus u. des Hercules sind ebenfalls als alt nicht sicher nachzuweisen. Auch feindliche Gottheiten spielten in der E-n M. eine große Rolle, woraus sich die häufigen Sühnopfer u. die Furcht vor Fascination erklärt. Zu ihnen gehörten die Götter der Unterwelt Mantus u. Mania. Seltsame u. fremde Dämonen werden nur im Allgemeinen genannt; ihnen wurden Menschenopfer gebracht. Überhaupt scheint die Vorstellung von der Unterwelt u. den unterirdischen Göttern bei den Etruskern verhältnißmäßig sehr ausgebildet gewesen zu sein; die Ansichten davon aber waren Schrecken u. Furcht erregend. Die Heroen in der E-n M. scheinen sich auf wenige Repräsentanten der alten Städte u. Ahnen der berühmtesten Geschlechter beschränkt zu haben, dagegen war die griechische Heroenmythologie, mit einheimischen Sagen verschmolzen, hier zeitig eingebürgert. Bes. sind zu nennen Nanus (Nanas), Tarchon, Halesus, Aucnus (Ocnus), Aulestes, Corythus. Die Volkssage kannte gewiß auch gespenstische Wesen u. Ungeheuer, wie die volsinische Volta lehrt. B) Kosmogonie nach Suidas: der Demiurg bestimmte der Welt 12 Jahrtausende zum Lebensalter u. stellte jedes Tausend unter die Herrschaft eines Zeichens des Thierkreises. Die Schöpfung dauerte 6 Jahrtausende, 6 andere sollte sie bestehen. Im 1. wurde Himmel u. Erde, im 2. das Firmament, im 3. Meer u. Gewässer, darauf die beiden großen Lichter, darnach die Seelen der Thiere, zuletzt der Mensch geschaffen. Wahrscheinlich ist diese Angabe aber aus einer orientalischen entlehnt (vgl. die Mosaische Schöpfungsgeschichte). Den Menschen u. menschlichen Dingen waren gewisse Zeitalter gesetzt, u. der Übergang aus dem einen in das andere wurde stets durch Erscheinungen u. Vorzeichen am Himmel u. auf der Erde angedeutet. Dem etruskischen Staate waren zu seinem Bestehen 10 Zeitalter bestimmt, davon bestanden die 4 ersten aus je 105 Jahren, das 5. aus 123, die 6. aus 119, das 7. aus eben so viel etc. C) Anthropologie u. Eschatologie. Die Seelen der Menschen waren durch den Genius mittelbar von Tina gezeugt (s. oben A). Diese Kraft wirkte in den Sterblichen, denen die Götter günstig waren, auch nach dem Tode fort, so daß der aus. der Unterwelt heraufbeschworene Todte selbst wieder ein Genius wurde; auch konnten durch gewisse, bestimmten Göttern gebrachte Opferthiere die Seelen göttlich u. den Gesetzen der Sterblichkeit entzogen werden. Aber nicht Götter jeglicher Art wurden aus ihnen, sondern nur Penaten u. Laren. An gewissen Tagen stand der Zugang zur Unterwelt offen (s. Mundus), u. dann konnten, für diese Tage, auch andere Seelen die Oberwelt besuchen. Um denselben aber keinen schädlichen Einfluß auf die menschlichen Angelegenheiten zu gewähren, so galten jene Tage als religiosi, an denen keine entscheidenden Angelegenheiten ausgeführt werden durften. D) Cultus. a) Die Priester, welche Collegien bildeten u. denen der Dienst der Götter u. die Erforschung des Willens der Götter, bes. durch Opferschau (s. Haruspices), Erklärung von Wunderzeichen (s. Prodigium, Portentum), Blitzdeutung (Fulguratores), auch die Städtegründung oblag, waren Leute aus den edeln Geschlechtern u. die Hauptpriesterthümer waren erblich, so wie sich die Kunde der Divination durch Unterweisung von Vater auf Sohn fortpflanzte. Doch konnten auch andere Leute darin unterrichtet werden, u. es scheint in Etrurien Priesterschulen gegeben zu haben, wie die Druidenschulen in Gallien. Die etruskischen Priester waren aber auch in den Nachbarstaaten, bes. in Rom, mit ihrer Kunst angesehen u. wurder oft dahin gerufen, um Zeichen zu deuten; zu Augustus Zeit waren etruskische Haruspiker über die ganze römische Welt verbreitet. Ihre Disciplin war in mehreren Büchern aufgezeichnet (s.u. Etruskische Sprache). b) Von Opfern gab es 2 Klassen: solche, wo das Thier blos geschlachtet wurde, wahrscheinlich Sühn- u. Ersatzopfer; u. solche, bei denen der Wille u. der Rath der Götter befragt wurde; hier wurden von dem Opferthiere die edleren Eingeweide dargebracht, das Übrige von den Theilnehmern des Opfers genossen. Außer Thieropfern waren bei den Etruskern auch Menschenopfer gebräuchlich (s. oben). Hieron soll die Menschenopfer in Etrurien untersagt haben. Weil die Etrusker überhaupt viel auf das Sinnliche gaben, so gaben sie auch dem Gottesdienste viel äußeren Glanz. c) Über die Tempel der Etrurier s.u. Etrurien (a. Geogr.). Zum Cultus gehören bei den Etruskern auch d) Spiele u. Feste, u. die Spiele wurden daher mit eben so großer Gewissenhaftigkeit abgehalten, als Opfer u. andere Religionshandlungen; auch galten alle besonderen Zufälle, Erscheinungen, ja die geringsten Unregelmäßigkeiten dabei von besonderer Vorbedeutung. Dies war bes. der Grund, die Darstellungen musikalischer u. orchestrischer Kunst durch Jahrhunderte in derselben Gestalt zu erhalten. Bei solchen Festen u. Spielen fanden feierliche Aufzüge (Pompen) Statt, welche von Musikern, Tänzern, Histrionen, Kämpfern (Faustkämpfern) begleitet wurden. S. Müller, Die Etrusker, Bd. II. S. 1 ff.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.