Etrurien [1]

Etrurien [1]

Etrurien (Tuscia, bei den Griechen Tyrrhenia, a. Geogr. u. Ant.), Landschaft der Italia propria, lag zwischen Ligurien, dem Cispadanischen Gallien, Umbrien u. Latium u. wurde begrenzt von dem Tyrrhenischen Meer, dem Fluß Macra, den Apenninen u. dem Tibris. Das Land war im Allgemeinen eben u. wurde nur von Ausläufern der Apenninen durchschnitten; Berge waren der Argentarius, Ciminius u. Soracte; Vorgebirge: das Promontorium Lunae u. Palinurum; Flüsse: Macra u. Tibris, letzter mit seinen Zuflüssen Clanis u. Cremera, außerdem mehrere Küstenflüsse: Vesidia, Aufer, Arnus, Cecinna, Alma, Umbro, Ossa, Almina, Armine, Martha, Minio; Seen: Lacus Trasimenus, Clusinus, Prelius, Vulsiniensis, Ciminius, Vadimonis u. Sabatinus, u. hatte am Meeresgestade zwar Sümpfe (daher nicht überall gesund), aber auch treffliche Baien; es brachte fast alle Producte Italiens, obgleich, bei der im Ganzen hohen Lage u. bergigen Beschaffenheit, noch keine Südfrüchte in E. wuchsen; es gab aber Getreide, bes. Weizen u. Dinkel, Flachs, Wein, Bauholz, Wildpret (bes. Eber), Fische, Wachs, Korallen, Eisen, Marmor, Alabaster, Peperin, Töpferthon, Mineralwässer; über die Beschäftigung der Einwohner s. unten; über die Einwohner selbst s. Etrurien (Gesch.). E. war in seiner Blüthenzeit eingetheilt in 12 Districte, die sich nach den Hauptstädten nannten: das Gebiet von Clusium, Perusia, Cortona, Arretium, Volaterrä, Vetulonium, Rusellä, Tarquinii, Volsinii, Falerii (nach dessen Zerstörung Cosa), Veji, Cäre; daneben finden sich auch noch als Bundesstädte: Pisä, Fäsulä, Aurinia od. Caletra, Volci u. Salpinum genannt. Unter den Inseln, welche zu E. gehörten, war die wichtigste Elba. Verfassung: wo Etrusker wohnten, sowohl in E., als im Paduslande, hatten sie einen Zwölfstädtebund, am bekanntesten ist der in E.; aus gegenseitiger Eifersucht wurde zwar keiner zum Haupt od. Vorstande gewählt, doch hatte seit frühester Zeit u. bes. seit dem 6. Jahrh. v. Chr. Tarquinii Ansprüche auf die Leitung des Bundes gemacht u. behielt dieselbe bis zu seinem Sturze durch Rom, s. Etrurien (Gesch.). Die Staaten wurden überhaupt weniger durch ein politisches, als durch ein religiöses Band zusammengehalten, Die Versammlung der Bundesstaaten wurde bei dem Tempel der Voltumna (nahe am Tibris, zwischen Ameria, Volsinii u. Falerii) gehalten. Die regelmäßigen Versammlungen waren im Frühjahr, u. zwar mit Opfern, Spielen u. Markt verbunden; zu außerordentlichen kam man auf den Antrag einzelner Staaten zusammen. Stimme bei den Berathungen hatten wahrscheinlich nur die Häupter der Staaten; Gegenstand der Berathung war meist Krieg, an welchem gewöhnlich alle Bundesglieder Theil nahmen. Die Verfassung der einzelnen Staaten, in welche der Bundestag sich nicht mischte, war aristokratisch; es gab eine Anzahl adeliger Familien, die allein auf die (wohl nicht erbliche) Würde eines Königs (wahrscheinlich Lucumo) Anspruch hatten, die in ältester Zeit verfassungsmäßig war, später aber aufgehoben u. durch jährliche Magistrate ersetzt wurde. Der König trug als Auszeichnung eine Toga praetexta u. Bulla aurea, wurde Oberfeldherr u. hatte wahrscheinlich auch richterliche Gewalt; vor ihm gingen Lictoren mit Fasces; vor ihm erschienen die Tuscer alle 8 Tage, um ihn zu begrüßen u. mit ihm über ihre Angelegenheiten zu berathen. Der Senat bestand aus den ältesten Gliedern der Adelsgeschlechter; die anderen Landeseinwohner waren theils im Stande bürgerlicher Freiheit, theils im Verhältniß der Unterthänigkeit u. hatten wenig Rechte, Letztere stammten wahrscheinlich von den alten unterworfenen Siculern u. Umbrern; vgl. Clientel. Kriegswesen: als Waffen dienten ihnen runde Schilde, metallne Helme mit hohen Federbüschen, Panzer u. Beinschienen, lange Stoßlanzen, auch leichte Waffen, wie Wurfspieße, Pfeile u. Schleudern gab es; die Fußsoldaten bildeten den eigentlichen Kern des Heeres; Kriege wurden feierlich angekündigt (vgl. Fetiales). Der Kriegsruhm der Etrusker dauerte aber nicht lange, u. früh schon dienten Söldner in ihren Heeren. Familienleben. Der Älteste der Familie war der Erbe der Besitzung u. Repräsentant der Familie; sie erhielten oft den Ehrennamen Lar od. Lars (d.i. Herr), dagegen hießen die jüngeren Söhne gewöhnlich Aruns. Zur Bebauung der Acker hatte man Leibeigene. Handel u. Beschäftigungen: die Hauptquelle des Wohlstandes in E. war der Ackerbau, man baute bes. Dinkel u. Weizen, Flachs, Wein, Öl; im Süden waren reiche Tannenwälder, deren schöne Stämme viel ausgeführt wurden, die Wälder bargen Wild, bes. Eber; die Viehzucht gab gute Ackerstiere, Schafe, deren Wolle schon früh von den etruskischen Frauen gesponnen wurde, Pferde, Schweine; Fischfang war ein Hauptnahrungszweig in den Küstengegenden; der Gewerbfleiß bestand im Schmelzen des Eisens, das man bes. aus Elba herüberholte, u. Verfertigen von Gefäßen aus Alabaster u. Thon. Mangel an guten Häfen u. die von Etruskern selbst stark betriebene Seeräuberei hinderte in den ältesten Zeiten das Gedeihen des Handels, aber zur Zeit ihrer Blüthe waren sie nächst Phöniciern, Puniern u. Griechen das bedeutendste Handelsvolk im Mittelmeer. Mit den Puniern hatten sie zum Schutz gegen Seeraub Tractate, worin die Einfuhrartikel bestimmt u. den Fremden Schutz zugesichert war. Ausgeführt wurde bes. Holz, geschmolzenes Eisen, Getreide, Wein, Thongefäße, Schuhe, Erzarbeiten; eingeführt Elfenbein, Weihrauch, edle Metalle. Im Innern des Landes waren ihre Märkte, bes. bei Bundesversammlungen am Tempel der Voltumna (s. oben). Den Verkehr erleichterten die schon früh in E. gewöhnlichen Münzen, aus Kupfer u. Erz gegossen, auch wurden Silbermünzen, bes. in Populonia, gefertigt.

Unverkennbar ist der Zusammenhang der Etruskischen Kunst mit der griechischen des unteren Italiens; allein eben so unverkennbar sind nationale Eigenthümlichkeiten, welche die Grundlage der nachmaligen römischen Kunst bilden. Der Blüthepunkt derselben fällt in die Zeit der Herrschaft der tarquinischen Könige. Unter den Denkmalen der Baukunst sind die augenfälligsten jene aus großen, recht- od. auch vieleckig behauenen, ohne Mörtel zusammengefügten Steinen aufgeführten Mauern (Cyklopische od. Pelasgische Mauern), u. die damit verbundenen Thore, an denen man zugleich das große Eigenthum dieser Kunst, die Construction des Gewölbschnittes, wahrnimmt, die in großartigster Anwendung bei Kanalbauten vorkommt. Von[931] Grabmälern unterscheidet man 3 Gattungen: kreisrunde, massive Unterbauten mit einem kegelförmigen Aufsatz (Gräber in den Nekropolen von Tarquinii, Viterbo, Vulci etc.): ferner Felsenhöhlen mit, in die Felsen gehauenen Façaden, oft architektonisch gegliedert u. mit einem Kranzgesims abgeschlossen (zu Orchia, Aria, Toscanella, Sutri, Bomarzo); u. unterirdische Grabkantmern (Hypogeen), mit flacher od. giebelförmig erhobener Decke, mit Malereien an den Wänden (in Vulci, Corneto etc.). Der etruskische Tempelbau war von dem orientalischen u. dorischen ausgegangen, hatte aber in seiner Abweichung durch Breite u. Schwerfälligkeit nie das Ernste u. Würdige des dorischen erreicht; die Säulen auf Basen stehend, waren schlanker u. standen weiter auseinander. Der Plan dieser Tempel erhielt durch die Rücksicht auf das etruskische Auguraltemplum Modificationen; das Gebäude war mehr quadratisch, die Celle im Hintertheil, die Vorhalle bestand aus Säulen. Wenn der Tempel 3 Cellen hatte, so nahmen sie die ganze hintere Hälfte ein; hatte er nur eine, so wurden auch noch auf beiden Seiten der Celle Säulen gestellt. Unter den Denkmalen der Bildnerei sind vor allen, da sich nur wenige Werke aus Stein erhalten haben, die aus Thon (Terracotten) u. Erz zu nennen, welche letztere Kunst in E. einen hohen Grad technischer Vollendung erreicht hatte. Unter ersteren stehen die verschiedenartigen Gefäße oben an, die man häufig in den Gräbern findet; eine Gattung (Aschengefäße) sind mit menschlichen Köpfen, statt der Deckel, u. mit Armen, statt der Henkel, versehen. Ferner kleine Erzfiguren, die dem Hausgottesdienst gedient zu haben scheinen. Von der Malerei u. Zeichenkunst besitzt man schätzbare Überbleibsel an den Wandgemälden der Gräber, den Vasenbildern u. den Gravirungen auf Metallspiegeln. Ihr Inhalt ist dem täglichen Leben, vornehmlich den religiösen Vorstellungen entnommen. Die Zeichnung ist ziemlich mager, die Formen conventionell ohne Naturnachahmung, das Gefälte durch seine Linien ohne erhebliche Züge u. Massen. Der Farbenauftrag besteht in einfachem Coloriren ohne Schattengebung; in den Ornamenten zeigt sich am ersten ein feineres Schönheitsgefühl. Inzwischen zeigen die vorhandenen Werke einen verschiedenen Styl, von gemessener Strenge an bis zu flüchtiger Manier. Die vollständigsten Sammlungen der Werke etruskischer Sculptur u. Zeichenkunst bewahren die Museen von Bologna, Florenz, Rom, Neapel, Berlin, München, Paris etc., die besterhaltenen Malereien befinden sich in den Gräbern von Corneto.

Groß war die Liebe der Etrusker zur Musik, die sie bei ihren Festen, Opfern, Tänzen, sogar auf die Jagd begleitete. Das National kleid der Etrusker war die Tunica u. Toga, die Zeuge webten die Frauen aus den selbstgesponnenen Fäden, die Königs- u. Fürstenkleider zeichneten sich durch den Purpursaum aus. Vorzügliche Aufmerksamkeit schenkten sie den Fußbedeckungen, u. die Tyrrhenischen Schuhe, eine Art Sandalen, waren im ganzen Alterthum berühmt, die Sohle war von Holz u. hoch, die Riemen waren vergoldet; die Lucumonen trugen Hüte aus Fellen, die Frauen spitze Mützen von Wolle. Das Barthaar wurde abgeschoren. Nahrung. Das etruskische Nationalgericht war die Puls, ein Brei aus Dinkelmehl (das Mehl wurde mit Drehmühlen gemahlen); doch wurden die Mahlzeiten mit steigendem Luxus sehr üppig, u. die Etrusker galten für Schwelger. Bei ihren Mahlzeiten lagen sie, auch Frauen waren zugegen, welche den Wein credenzten u. zutranken. Es scheint bei diesen Mahlen auch noch zu anderen Ausbrüchen der Wollust gekommen zu sein, deren sich die etruskischen Mädchen überhaupt nicht entblödeten. Über die Sprache u. die Religion der Etrusker s.u. Etruskische Sprache u. Etruskische Mythologie. Vgl. Dempster, De Etruria regali, Flor. 1723, 2 Bde., Fol.; Gori, Museum etruscum, Flor. 1737–43, 3 Bde., Fol.; Hancarville, Collection of Etrusc. antiq., Neap. 1766, 4 Bde., Fol.; Inghirami, Monu menti Etruschi, Flor. 1821 ff., 7 Bde. u. 7 Bde. Kupfer; O. Müller, Die Etrusker, Bresl. 1828, 2 Bde: Micali, Monumenti ant., Flor. 1832; Hamilton Gray, Tour to the sepulchres of Etruria, 1839; G. Dennis, The cities and cemeteries of Etruria, Lond. 1848, 2 Bde. (deutsch von Meißner, Lpz. 1852).


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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