Habesch [2]

Habesch [2]

Habesch (Gesch.). Aus den neuesten Forschungen über die Geschichte dieses Landes geht hervor, daß in H. selbst die ganze einheimische Geschichte bis in das 13. Jahrh. n. Chr. entweder gar keine schriftliche Bearbeitung erfahren hat od. daß, wenn etwa solche einst vorhanden gewesen sind, jetzt Alles verloren gegangen ist, daher die Geschichte des Landes H. bis zum 13. Jahrh. u. seines Verhältnisses zu den südarabischen u. nubischen Völkern ganz dunkel ist. Es gibt zwar Verzeichnisse der alten habessinischen Könige von Marianus Victorius, Balth. Tellezius, I. Ludolfus, I. Bruce, Salt, Combes u. Tamisier, Rüppell, aber theils sind diese ganz trockene Listen mit nur einzelnen eingestreuten geschichtlichen Bemerkungen, theils sind sie von den neueren Gelehrten willkürlich combinirt. Die erste Periode begreift die Könige bis Bazen, nach den verschiedenen Quellen 21 od. 26 Könige, darunter die Königin Makeda, welche nach Jerusalem ging u. dort mit Salomo den Ibnal Hakim zeugte; sie regierten 1040 od. 1080 Jahre u. im 8. Jahre der Regierung des letzten dieser Periode, Bazen, wurde Jesus geboren. Die zweite Periode geht von Bazen bis zur Einführung des Christenthums; die Königsnamen werden hier noch unsicherer, da noch eine dritte Liste hinzukommt, welche wieder andere Nachrichten bietet; es werden hier 31 od. 10 od. 12 Könige genannt, welche 125 Jahre regierten; im 13. Regierungsjahre der letzten dieser Periode, der Brüder Abreha u. Atzbeha, welche Axum gebaut haben sollen, kam das Christenthum nach H. Damals waren die Habessinier theils Schlangenverehrer, theils standen sie unter dem Mosaischen Gesetz; der Prediger des Christenthums war Salama, welcher hier blieb u. Bischof von Äthiopien wurde. Die dritte Periode, welche 28 od. 29 od. 31 Könige begreift, beginnt mit Asfeha, Abreha's Sohn, u. endigt mit Delmoad, welche etwa 260 Jahre regierten; in dieser Zeit verbreitete Aragawi das Christenthum in H. weiter. Delmoad wurde vom Throne gestoßen, welchen nun die Zagäische Dynastie bestieg. Aus dieser Dynastie regierten 11 Könige 354 od. 370 Jahre, u. der letzte war Harbai; unter diesem wurde den Zague die Herrschaft wieder entrissen u. die alte Salamonische Dynastie erhob sich 1268 wieder, da ein Sprößling dieses Stammes entkommen war u. ein Nachkomme desselben, Jekuno Amlak, sich auf den Thron schwang u. die Residenz von Axum nach Scheva, dem Rettungsorte seiner Vorfahren, verlegte. Dadurch wurde statt der Geessprache die Amharische die Hof- u. herrschende Sprache in H. (s. Äthiopische Sprache). Auch der Titel Negus für den König scheint seit dieser Zeit aufgekommen zu sein. Der Negus regierte in Kirchen u. Civilsachen vollkommen unumschränkt. 1434–68 herrschte Zera Jakob, welcher Abgeordnete zum Concil nach Florenz schickte. Immerwährende Unruhen im Innern u. Kämpfe mit den Bewohnern der muhammedanischen Provinz Adel u. den Gallas, wozu noch im 16. Jahrh., als die Portugiesen sich dort 1520 ansiedelten, Religionsstreitigkeiten kamen, zerstörten den Flor des Landes; die Portugiesen, von der Regentin Helena 1516 im Namen des minderjährigen Königs David II. zu Hülfe gerufen, befreiten dasselbe von den Feinden u. gründeten eine Colonie. Aznaf-Saged (Claudius), welcher seinem Vater David 1540 folgte, rief, in Krieg mit den Adelenfern verwickelt u. sehr bedrängt, die Portugiesen wiederum zu Hülfe, die ihm auch Christoph de Gama mit 450 Mann u. einiger Artillerie sandten, mit denen es ihm gelang, obgleich de Gama gefangen wurde, die Adelenser zurückzuhalten; doch unterlag er in einem späteren Kampfe denselben u. blieb in. der Schlacht 1550. Papst Julius III. versuchte, wiewohl vergeblich, durch Missionare ihn dem Römischen Stuhle zu unterwerfen; doch legte er, um die Portugiesen sich geneigt zu erhalten, ein Glaubensbekenntniß ab (herausgeg. von Ludolf, Lond. 1661), in dem er sich von dem Verdacht, dem Judaismus anzuhängen, reinigte, u. gestattete den Katholiken freie Religionsübung. Za Denghal (1595–1604), gewonnen von dem Pater Pays, u. vorzüglich Socinios (Susneus, regierte 1605–32) überließen sich ganz dem Einfluß des Römischen Stuhls, ja der Letztere nahm sogar den Portugiesen Mendez als römischen Patriarchen u. Römischen Cultus statt des bisherigen Alexandrinischen auf. Sein Sohn Alan Seghed (Facilides, Basilides, regierte 1632–65)[828] aber ließ den Patriarchen sammt seinem Anhange 1632 über die Grenze schaffen, da sie sich durch Wiederholung der Taufe u. Priesterweihe die Geistlichkeit u. durch Eingriffe in die Rechte des Königs auch diesen zu Feinden gemacht hatten. Seitdem haben die Jesuiten in H. nicht wieder festen Fuß fassen können. Der Haß gegen die Römische Kirche dauerte fort, u. zu Anfang des 18. Jahrh. wurden sogar mehrere katholische Priester, welche sich eingeschlichen hatten, hingerichtet. Unter König Joas (1753–69) wurden die Gallas die mächtigste Hofpartei u. entzündeten einen Bürgerkrieg, der die Folge hatte, daß Michael Suhut, Statthalter von Tigré, die erste Staatswürde eines Ras erhielt, welchen Titel in der Folge jeder Statthalter annahm. Dieser Michael Suhut verschaffte dem Reisenden James Bruce die Gunst des Königs Tekla Haimonot II., des Nachfolgers von Joas, welcher ihm nicht allein Sicherheit des Reisens gewährte, sondern ihm auch eine Hofbedienung gab u. die Statthalterschaft über Ras el Fil ertheilte. Als 1809 u. 1810 der Engländer Salt H. besuchte, regierte König Aito Egwala Sion, der mit noch mehreren Prätendenten im Bürgerkrieg begriffen war. Auf Itsa Guarlu folgte 1817 Itsa Takley Gorges. Unter diesen Schattenregierungen, welche sämmtlich ein Spielball der mächtigeren Ras (Statthalter) wurden, war dem Negus von der Macht früherer Herrscher nichts geblieben als das Richteramt in Gondar, seiner Residenz, u. die Einkünfte dieser Stadt. Die Ras von Tigré, Amhara u. Schoa hatten sich völlig unabhängig gemacht. Bald der Eine, bald der Andere versuchte es sich an die Stelle des Negus zu setzen, doch keiner vermochte gegenüber der Eifersucht der übrigen das Reich zu vereinigen, dabei zerrütteten die Kriege der Statthalter unter einander das Land immer mehr. Sabagades, welcher seit 1823 sich auf den Thron von Tigré geschwungen hatte u. sich zum Negus machen wollte, wurde von den anderen gegen ihn verbundenen Fürsten 1831 am Tekazze besiegt, gefangen u. dann getödtet. Ihm folgte in Tigré der Ras Ubie, in Amhara stand Ras Ali an der Spitze u. Schoa beherrschte der Gallasfürst Sahlé Selassi. Die von Europa aus, sowohl katholischen als protestantischen nach H. gesendeten Missionäre hatten nur geringen Anklang im Lande gefunden, u. auch durch Reisende, wie die Franzosen Combes, Tamisier, Ferrot, Rochet d'Héricourt, die Engländer Salt u. Harris u.a. hatten keine wesentlich vortheilhaften Verbindungen angeknüpft werden können, da die Anarchie im Lande fast allen Verkehr hinderte od. doch hemmte. Während nun Ras Ali u. Ubie (bei dem sich der deutsche Reisende Schimper in Tigré niedergelassen hatte) in andauerndem, aber entscheidungslosem Kriege (1841–47) ihre Kräfte gegenseitig aufrieben, hatte unterdessen Detschatsch-Matsch (Thürhüter) Kasa, Statthalter der Provinz Goara, seine Macht mehr u. mehr auszudehnen vermocht u. sich die Provinzen Zana, Wochni, Sarago, Dagossa, Agumeder, Agau, sowie verschiedene Gallaprovinzen im Süden unterworfen. Ras Ali hatte Kasa's, seines Schwiegersohnes, wachsende Macht mit scheelen Augen betrachtet. Und da nun Kasa auch der Mutter des Ali die Provinz Dembea abnahm u. den schuldigen Tribut nicht mehr bezahlte, verlieh Ali die Provinzen des Kasa an den Detschatsch Buru Godschu von Godscham. Dieser fiel alsbald in seine neuen Lande mit großer Macht ein, Kasa wich zurück, sammelte aber seine Kräfte, schlug sodann den Buru Godschu am Tsanasee gänzlich (1852), vertrieb dafür den Ras Ali aus Gondar u. bemächtigte sich in den nächsten Jahren auch Tigré's (1856) u. Schoa's. Hierauf ließ sich Kasa von dem koptischen Patriarchen zum Negus von Äthiopien krönen u. nahm den Namen Theodor I. an. Dieser Staatsstreich flößte den in H. angesiedelten Europäern um so mehr Furcht ein, als der neue Herrscher alsbald die römisch-katholischen Missionäre, welche sich durch Unduldsamkeit gegen die Landeskirche verhaßt gemacht hatten, aus dem Lande verwies, während die protestantischen unangefochten blieben. Dem Fortschritt huldigend versuchte Theodor europäische Civilisation einzuführen, Polygamie u. Sklaverei abzuschaffen u. entwarf kühne Pläne, die Grenzen seines Reichs zu vergrößern, starb aber 1857. Seltsamer Weise betrachtet die Pforte H. als eine türkische Provinz u. belehnt den jedesmaligen Pascha von Dschedda mit derselben, während doch die Türken das Land nie erobert haben. Als Zeichen der Herrschaft u. um den Verkehr zu sperren, unterhält die Pforte auf Massua eine Besatzung, ohne jedoch die geringste Autorität auf dem gegenüberliegenden Festlande zu besitzen.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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