Kaschmir [1]

Kaschmir [1]

Kaschmir (sanskr. Kaçmira, Kaschemir, von den Engländern auch häufig Cashmere od. Cashmeer) geschrieben), ist 1) gegenwärtig im weiteren Sinne der Name für die Besitzungen des Ghulab-Singh (s. unten) im nordwestlichen Theile Indiens, wo sie im Norden durch das Gebirge Karakorum von Tibet geschieden werden, in Osten an Tibet, in Süden an die britschen Districte von Spiti u. Lahonl u. das Pendschab, in Westen an das Pendschab u. das Land der Huzareh in Afghanistan grenzen. Außer dem eigentlichen K. umfaßt das Reich des Ghulab-Singh noch die Landschaften Jamu, Balti (Baltistan) od. Iskardo, Ladakh, Chamba u. einige kleinere Gebiete, zusammen mit einem Areal von etwa 2800 QM., mit 2 Mill. Einw.; 2) das eigentliche K. ist ein größeres Längenthal des Himalaya am nordwestlichen Ende desselben, welches von zwei mächtigen schneebedeckten Ketten rings eingeschlossen wird u. mit seiner Thalsohle durchschnittlich 1000 Fuß über dem Meere liegt. Seiner ganzen Länge nach wird es vom Flusse Dschilum od. Behat (dem Hydaspes der Alten) durchströmt, welcher in der Mitte den Walar- od. Wüllersee bildet u. im Osten das Thal durch den engen Paß Baramula verläßt, um seine Gewässer dem Indus zuzuführen. Die ganze Länge des eigentlichen Thalbeckens beträgt ungefähr 26, die größte Breite etwa 14 Meilen, das Areal etwa 220 QM.; zieht man die Grenzen der Landschaft jedoch über die höchsten Rücken der umschließenden Himalayaketten, so mag das Areal derselben 8–900 QM. betragen. K. ist nur durch wenige u. beschwerliche [355] Pässe zugänglich; die wichtigsten derselben, welche zu jeder Zeit passirt werden können, sind: der Naboy an der östlichen Grenze, der Banihal im Süden, der Baramulapaß nach Süden zu, der Punchpaß an der Westgrenze, der Dubbpaß ebendaselbst; unter den Großmoguls wurde der Pir-Panjalpaß gewöhnlich für die Elephanten gewählt. Die Landschaft ist berühmt wegen ihres milden, in jeder Hinsicht gemäßigten Klimas, ihrer Fruchtbarkeit, ihres guten Anbaues u. der vielfachsten Naturschönheiten. Die Bewohner, deren Zahl gegenwärtig nur noch etwa 200,000 beträgt (1820 noch 800,000, aber seitdem durch Erdbeben, Pest u. Hungersnoth soweit herabgekommen) sind Hindus arischen Stammes, zeichnen sich aber von ihren südlicheren Stammesgenossen durch weißere Hautfarbe, größere Reinheit u. entschiedenere Ausprägung des kaukasischen Racentypus, größere Schönheit u. geistige Anlagen aus; sie sprechen eine eigene Enkelsprache des Sanskrit, das Kaschmiri, u. besitzen ein eigenes Alphabet, welches von der Devanagarischrift abgeleitet ist. Eine eigentliche Literatur in der Landessprache ist nicht vorhanden; literarisch wird gewöhnlich das Persische, welches alle Gebildeten verstehen, angewendet. Der größte Theil der Bewohner hat den Islam angenommen, doch zählte der Vrahmanismus noch viele Bekenner, der hier viele Tempel u. Heiligthümer besitzt u. für den K ein heiliges Land ist. Die Bewohner treiben Ackerbau, welcher durch künstliche Bewässerung unterstützt wird, bes. auf Weizen, Gerste, Hirse u. Reis, ferner auf Gemüse, Safran, Tabak u. dgl.; auch Obst- u. Weinbau; das Product des letzteren hat Ähnlichkeit mit dem Madeira. Die Viehzucht ist zum Theil Alpenwirthschaft; wichtig ist insbesondere die Zucht der feinhaarigen Kaschmirziege; die Pferde sind nicht groß, aber tüchtig u. dauerhaft. Die Waldungen liefern treffliches Nutzholz; der malerische Tschunar (Platanus orientalis) ist namentlich seit der Mogulherrschaft allerorts zur Zierde angepflanzt. Die Industrie stand einst in höchster Blüthe, ist aber gegenwärtig sehr herabgekommen, noch immer den ersten Rang nimmt die, wiewohl jetzt sehr beeinträchtigte Weberei der kostbaren Kaschmirshawls (s.d.) ein; sonst fertigt man Wollenzeuge, Zucker, lackirte Waaren, Papier, Rosenöl u. Rosenwasser etc., auch wurden früher viel Flußschiffe in K. gebaut. Der Handel wird durch die Schwierigkeit der Verbindungen sehr erschwert; Trauben u. Melonen werden nach Hindostan ausgeführt. Von Mineralien werden Eisen, Gold, Edelsteine, sowie reichlich Salz gewonnen. Die wichtigsten Städte des Thales sind außer der gleichnamigen Hauptstadt Islamabad, Shupeyon, Pampur, Sopur, Bijbahar, Baramula u. Shahbad. 3) (Serinagur, d.i. Wohnung des Glücks, im Alterthum Kaspatyros), Hauptstadt des Landes, unweit des Dschilum, schlecht u. eng gebaut, hat jetzt nur noch 40,000 Ew., während noch 1809 die Bevölkerung auf 150,000 Ew. geschätzt wurde. Das merkwürdigste Gebäude ist der ehemalige Palast der Großmoguln; in der Nähe der prächtige Garten Schahilmar, ehemals die Sommerresidenz der Großmoguln.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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