- Khiwa
Khiwa 1) ein Khanat in Asien, in der Freien Tatarei, begreift eine etwa 60 Meilen lange u. 20_–25 Meilen breite Oase am unteren Amu Darja bis zu dessen Mündung in den Aralsee u. ist fast überall von Wüsten umgeben. Rechnet man letztere mit, so beträgt der Flächengehalt des Staates mehr als 10,000 QM., die Bevölkerung wird zu 2 1/2 Millionen angenommen, jedoch werden hiervon nur 1 1/4 Millionen auf die Usbeken (das herrschende Volk) u. andere seßhafte Stämme, sowie auf die Sklaven gerechnet, während die Karakalpaken (180,000), die nomadisirenden Turkmanen (480, mm) u. die Kasacken (540,000), so wie einige andere Stämme, als nur nominell der Oberhoheit des Khans unterworfen betrachtet werden. Das einzige Culturland des Khanats, die obenerwähnte Oase, umfaßt etwa 670 QM., von denen aber nur 190 QM. angebaut werden, bewässert von dem Amu Darja u. den zahlreichen von demselben abgeleiteten Kanälen. Der nördliche Theil dieses Culturlandes ist sehr flach u. daher häufig überschwemmt, die Bewohner nennen sich Aralen, d.h. Inselbewohner, weil sie zumeist auf Inseln wohnen, welche die Arme des Amu Darja umschließen. Im Osten dieser Niederung erstreckt sich der ansehnliche Höhenzug Scheichdschelli. Außer dem Aralsee gibt es noch viele andere Seen, wie der Laudan, der Dankara u.a. Klima: strenge Winter u. trockene Luft mit großen Gegensätzen der Temperatur des Tages; im Sommer große Hitze, Regen gibt es verhältnißmäßig wenig; dabei ist jedoch das Klima gesund, ansteckende Krankheiten kommen fast gar nicht vor, öfter dagegen Viehseuchen. Producte: Obstsorten, Wein, Maulbeerbaum, Süßholz, Tamariske u. der Baum Saxaul (s.d.), Weizen, Reis, Spelz, Hirse, Mais, Baumwolle, Sesam, Krapp, Melonen, Anis, Fenchel, Koriander, Senf u.a. m. Die Vieh- u. Seidenwürmerzucht ist gering, Kameele u. Esel sind seltener, Pferde häufiger, dazu gibt es Rindvieh u. fettschwänzige Schafe. Die Urbevölkerung sind die Sarten od. Tadschik's, die bes. Handel u. Gewerbe treiben, doch auch Landbesitz haben; die Usbeken wohnen hauptsächlich in Städten u. treiben zumeist Ackerbau, doch auch Jagd u. Fischerei; die Karakalpaken, im Norden, sind durchgehends arme Nomaden; die Turkmanen leben, meist im Süden u. Westen, hauptsächlich von Viehzucht. Im Nordosten leben Kirgisen (Kasacken); die Perser sind durch Raubzüge als Sklaven ins Land gekommen, sind aber jetzt zum Theil frei; die Jamschiden sind erst durch Raubzüge aus der Umgegend von Herat hierher versetzt; Tataren, Araber u. Juden gibt es ebenfalls, doch wenige. Die herrschende Religion ist die muhammedanische, u. zwar sind alle Völker Sunniten, nur die Perser sind Schiiten. Die Industrie ist sehr dürftig: geringe Baumwollen- u. Seidenzeuge, aber gute glacirte Töpferwaaren. Die Ausfuhr besteht bes. in Rohproducten, namentlich in Baumwolle, doch auch in Teppichen; eingeführt wird bes. Tuch, eiserne Geräthe, Zucker, Thee etc. An der Spitze des Staates steht ein e. blicher Khan (gegenwärtig Ali Kuli-Khan), welcher völlig unumschränkt regiert. Das Heer des Khans besteht in 20,000 Mann, die Einkünfte desselben betragen etwa 2 Mill. Gulden. Münzen läßt der Khan prägen in Gold: Tilla – 15 Abbas = 3 3/4 Rubel Silber; in Silber: Aktänga od. Sitscherik = 3/4 Abbas = 18 3/4 Kopeken Silber, u. Kara-tänga = 1/2 Abbas; in Kupfer: Pull = 1/2 Kopeken u. Abbas = 50 Pull. Die Städte des Landes, deren es in dem cultivirten Theile 25 gibt, sind sämmtlich mit einer Lehmmauer umgeben. Vgl. Basiner, Reise durch die Kirgisensteppe nach Khiwa, Lpz. 1848; Murawiew, Reise durch Turkmänien nach Khiwa (1819–20), Berl. 1824; Helmersen, Nachrichten über Khiwa etc., ebd. 1839. 2) Hauptstadt des Reichs K. in fruchtbarer Gegend am Amu Darja, mit einer Lehmmauer umgeben; Residenz des Khans, Moscheen, Citadelle, in Form eines Rondels, mit Brustwehr u. Schießscharten, eine Art von Universität; 20,000 Ew.
Khiwa, im Mittelalter Kharism od. Khowaresm, ist ein Theil des Landes der alten Chorasmier in Sogdiana; diese standen zur Zeit der Achämeniden unter persischer Hoheit u. bildeten mit den Parthern, Sogdern u. Ariern die 16. Präfectur des Persischen Reiches. Auch im Mittelalter erscheinen sie unter der Herrschaft der persischen Seldschuken u. wurden von Statthaltern regiert; im 11. u. 12. Jahrh. war hier Statthalter Nuschtegin Ghardscha, dessen Enkel Itsis das Unglück des Sultans Sandschar gegen die Ghusen benutzte u. sich zum unabhängigen Schah von K. machte. Dessen Urenkel Ala Eddin Tekesch war in vielfältige Kriege mit seinen Brüdern u. Söhnen u. mit den persischen Seldschuken verwickelt, er pflanzte zuerst den Halbmond auf Fahnen u. Zelte, welcher fortan Wappen der Osmanen wurde. Unter seinem übermüthigen Sohn Ala Eddin Mohammed (regierte 1200–20), welcher auch über Samarkand u. Bokhara herrschte, wurde K. von Dschingis-Khan überschwemmt, der Sultan selbst mußte fliehen u. st. auf einer Insel des Kaspischen Meeres. Sein Sohn Dschelal Eddin Mankberni, welcher die Wissenschaften liebte u. eine neue Zeitrechnung (Tharah Dschelali) einführte, hatte Krieg mit Dschingis-Khan, in dem er endlich unterlag. Mit ihm endigte die Dynastie der Schahs von K., u. das Land kam unter die Mongolen 1387 unternahm Timur einen Feldzug gegen K., dessen Statthalter sich empört hatten u. nun zu dem Tatarkhan von Kiptschak geflohen waren. Timur ließ die Hauptstadt zerstören u. versetzte die Einwohner nach Samarkand. Das Land wurde fortan von mongolischen Herrschern regiert, kam aber später nach u. nach unter die Herrscher von Bokhara, die Kirgisen u. Usbeken, welche Letztere das Khanat K. gründeten. 1691 lud der Khan von K. durch eine Gesandtschaft den Czar Peter den Großen ein, zum Schutz ihres beiderseitigen Handels eine Festung am Kaspischen Meere anzulegen, u. bat 1714 die Russen um Hülfe gegen die Turkmanen u. Kirgisen; aber die Turkmanen hatten den Czar schon für sich gewonnen, u. 1717 zog ein russisches Heer unter Bekewitsch zur Eroberung Khiwas aus, wurde aber ganz vernichtet. Seitdem schlossen sich die Khane feindselig gegen Rußland[462] ab u. führten das ganze 18. Jahrh. Mord- u. Raubkriege gegen Iran, unter den Khanen Muhammed Emili Inakh, Ichmed Bider u. Evez Inakh. Muhammed Rahim-Khan, 1802–26, sicherte durch eine kräftige Verwaltung, Hebung des Handes u. Unterdrückung des usbekischen Kriegeradels seine Herrschaft u. machte sich durch seine Siege über Persien gefürchtet. Sein Nachfolger Rahman Kuli Khan war durch eine seiner Gemahlinnen, eine Kirgisenfürstin, den Russen feindselig u. behandelte die russischen Gefangenen sehr hart. Deshalb, od. vielmehr um den Eroberungen der Engländer, welche der Khan begünstigte, in Afghanistan ein Gegengewicht zu geben, unternahmen 1839 die Russen unter General Perowsky von Orenburg aus mit 20,000 Mann Kosacken u. Hülfsvölkern u. 10,000 Kameelen einen Zug gegen K. Perowsky schlug den weiteren Karawanenweg, zwischen dem Kaspischen u. dem Aralsee, ein u. drang bis an die Emba vor. Von Menschen fand er wenig Widerstand, desto größer aber waren die Hindernisse, welche ihm die Natur in den Weg legte. Die Kälte mehrte sich, Schneegestöber hinderte den Marsch, u. machte denselben unmöglich, Perowsky mußte sich daher bei Al Bulak concentriren, u. da der größere Theil der Kameele u. Pferde wegen der Kälte gefallen war, Ende Januar 1840 umkehren; er langte in dem traurigsten Zustande wieder in Orenburg an. Später wurden durch Vermittelung Englands die russischen Gefangenen von dem Khan ausgeliefert. 1846 st. der Khan Rahman Kuli u. sein Bruder Babad Khan folgte ihm, u. diesem folgte in neuester Zeit Ali Kuli Khan. Seit dem Frieden von 1854 mit Rußland, steht der Khan eigentlich in einem Abhängigkeitsverhältniß zu diesem Reiche.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.