- Landwehr [1]
Landwehr, Landesvertheidigungsanstalt, vermöge der auch die Staatsbürger bei einem Kriege an den Wehranstalten Theil nehmen u. in eine solche eintreten, wo sie auf Kosten des Vaterlandes besoldet u. bewaffnet die Waffen führen, nach beendetem Krieg aber zu ihrem Herde zurückkehren u. während des Friedens höchstens einige Wochen in den Waffen geübt werden. Die L., so nach einer alten Wehranstalt in Tyrol benannt, wurde zuerst 1796 in Tyrol angewendet, um den damaligen Einfall der Franzosen abzuweisen. Sie war noch unvollkommen u. einem Landsturm (s.d.) ähnlich, bewies sich aber als zweckmäßig, indem die tyroler L. jenen, so wie 1805 einen ähnlichen Einfall zurückwies. Auch in Böhmen, Mähren, Österreich etc. projectirte man 1805 eine solche L., doch kam sie dort nicht zu Stande, nur die Wiener Freiwilligen traten ungefähr in dieser Form wirklich ins Leben, waren aber mehr nach Art der Linie organisirt. Erst im Mai 1808, als der Erzherzog Karl Kriegsminister geworden war, richtete man in ganz Österreich eine nach Art der österreichischen Infanterie bewaffnete u. organisirte L. ein. Sie trug die Uniform der Linie, nur daß die Röcke, statt weiß, röthlich dunkelgrau u. die Kopfbedeckung ein runder, auf einer Seite aufgekrämpter Hut war. Sie wurde im Kriege 1809 gegen die Franzosen ganz wie Linieninfanterie gebraucht u. bewies sich tüchtig u. tapfer. Sie war Anfangs nach den Provinzen in Bataillons getheilt, wurde später 1813–15 den Infanterieregimentern als viertes Bataillon zugetheilt u. focht auch in diesen Kriegen tapfer. Sie betrug 1809 gegen 300,000 u. nach 1811 71,500 Mann. Bei den Russen wurde schon 1807 eine L. angeordnet, die bei dem Einfall der Franzosen in Rußland 1812, obschon gering armirt u. equipirt (sie trugen eine grüne Littevke mit farbigem Aufschlage u. einen Czako od. eine Mütze mit einem Kreuz daran), doch sowohl in Rußland, als auch jenseit der Grenzen, bes. vor den Festungen, gute Dienste that. Hauptsächlich war es der Adel, welcher aus seinen Leibeigenen diese L-en stellte. Zur Zeit des Krimkrieges wurde die L. (Druschinen) zum zweiten Male organisirt. Preußen bildete 1813 die Landwehreinrichtung zum höchsten Grade der Vollkommenheit aus. Als nämlich 1813 dessen König sein Volk zum Kampf rief, verordnete er außer dem stehenden Heere die Errichtung einer L., zu der alle nur irgend entbehrliche Männer bis zum 48. Jahre des Lebensalters zu treten verpflichtet waren. Die Stände jedes Kreises sollten für die Ausrüstung der L. sorgen, dagegen auch ihre ersten Offiziere ernennen. Anfangs bewaffnete man diese L. aus Mangel an anderen Waffen, größtentheils mit Piken, später mit aus Österreich erhaltenen Gewehren. Uniform war eine blaue Littevke mit der Nationalfarbe jeder Provinz aufgeschlagen; Kopfbedeckung eine blaue Mütze mit farbigem Streif u. dem Landwehrkreuz (einem Kreuz von weißem Blech mit der Inschrift: Mit Gott für König u. Vaterland); Lederzeug schwarz. Die L. wurde nach den Kreisen in Bataillone getheilt, vier Bataillone bildeten eine Brigade. Auch zahlreiche Landwehrcavallerie war errichtet. So zog die L. vor die, von den Franzosen besetzten Festungen u. rückte dann nach dem Waffenstillstand, meist das Drittel, doch auch die Hälfte u. noch mehr jedes Armeecorps bildend, in die Linie der Armee ein. Hier focht sie tapfer u. trug wesentlich zum Gewinn der größten Schlachten bei. Bald konnte die L. den Linientruppen gleich geschätzt werden. Gleich nach dem Waffenstillstande waren die vier Bataillone einer Landwehrbrigade zu einem Landwehrregiment von drei Bataillonen (das vierte bildete das Depotbataillon) formirt u.[98] in jeder Provinz nach eigenen Nummern benannt (z.B. siebentes schlesisches Landwehrinfanterieregiment) worden; man hatte gestrebt, durch Anstellung von Linienoffizieren in ihnen u. durch andere Maßregeln ihre etwaigen Mängel zu verbessern. Nach der Schlacht bei Leipzig wurden auch in den wieder eroberten u. 1815 in den neu acquirirten Provinzen L-en organisirt. So hatte Preußen 1815 bei der Rückkehr Napoleons von Elba 64 Landwehrinfanterie- u. 28 Landwehrcavallerieregimenter, zusammen gegen 150,000 Mann u. 20,000 Pferde. Nach dem zweiten Pariser Frieden bestand diese Einrichtung eine Zeit lang fort, es wurde aber zugleich bestimmt, daß die L. in die des ersten Aufgebots, zu welcher alle Männer, die ihre Dienstzeit im stehenden Heere, also das 25. Jahr, zurückgelegt u. noch nicht das 32. Jahr erreicht haben, gehören, u. in die des zweiten Aufgebots, zu dem alle Männer von 32 bis 39 Jahren gezählt werden, bestehen solle. Verhältnisse verschiedener Art haben in jüngster Zeit eine Aufhebung resp. Neuorganisation der L. nothwendig erscheinen lassen (s.u. Preußen, Geogr.). Nach der Schlacht bei Leipzig ahmten die anderen, bes. norddeutschen Staaten Preußen nach u. stellten L-en zur Bekämpfung Frankreichs. So stellten Sachsen, die Sächsischen Herzöge, beide Hessen, die Freien Städte etc. L-en, bei deren Errichtung bald die, bald, jene Ausnahmen von den Systemen Preußens u. Österreichs stattfanden; auch Hannover errichtete während des Krieges lauter L. Nach dem zweiten Pariser Frieden, zum Theil (wie in Sachsen) auch früher, wurden diese L-en in den einzelnen norddeutschen Staaten wieder aufgelöst od. bestanden höchstens noch einige Zeit auf dem Papier fort, od. wurden durch die von dem Deutschen Bunde verordneten Reserven ersetzt. In Baiern wurde die Nationalgarde früherer Zeit in L. umgeformt u. ihre Verpflichtung weiter ausgedehnt; doch wich diese Organisation von der anderer Staaten bedeutend ab. Jetzt ist jeder Baier bis zum 40. Jahre zur 1. Klasse, u. die, welche über 40 Jahre u. noch rüstig sind, zur 2. Klasse landwehrpflichtig; Erstere treten auf königlichen Aufruf innerhalb der Grenzen, Letztere nur innerhalb ihrer Bezirke in Thätigkeit. Jetzt ist die L. nur innerhalb der Städte u. Märkte innerhalb der sieben Kreise am rechten Rheinufer, so wie die Bataillonscommandanten der Bezirke auf dem Lande in Thätigkeit, s.u. Baiern (Geogr.). In einigen Staaten, wie in Hessen, wurde sie nach dem Frieden bis auf den künftigen Krieg wieder suspendirt, in anderen, wie in Sachsen u. den Sächsischen Herzogthümern, gänzlich aufgehoben. Vgl. außer den Werken über die Organisation der einzelnen Armeen von Ciriacy, Witzleben, Gerwien, Rüstow, Hirtenfeld u. A. Die Preußische L. u. ihre Bedeutung, Koblenz 1852; Closen, Die Preußische L., 1855; Lange, Geschichte der Preußischen L., Berl. 1857.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.