- Lithauische Sprache u. Literatur
Lithauische Sprache u. Literatur. Die Lithauische Sprache bildet das wichtigste Glied des lithauischen Zweiges des Lituslawischen Hauptastes des Indogermanischen Sprachstammes u. wird noch in einigen Theilen des alten Großherzogthums Lithauen od. in Theilen von Ostpreußen, des Königreichs Polen u. der angrenzenden Gouvernements von Rußland gesprochen. Nach den drei Zweigen der Lithauer, eigentlichen Lithauern, Samogitiern u. preußischen Lithauern (s.u. Lithauen, Gesch.) unterscheidet man auch drei Hauptmundarten der Lithauischen Sprache, unter denen für den Sprachforscher die preußisch-lithauische die wichtigste, zugleich aber auch die bekannteste ist; das Schamaitische ist weniger rein, indem ihr viele polnische Wörter einverleibt worden sind. Die Vocale sind die gewöhnlichen, a, e, i, o, u, scharf od. gedehnt gesprochen, heller od. dumpfer, außerdem existirt noch ein Umlaut (uo) ů. Unter den Consonanten sind Kehllaute g u. k, Gaumenlaute ż (dsch), ć od. cz (tsch), Zischlaute c (z), s (ss), ss (sch), z (s), Zungenlaute d, t, l u. ł (rl), r, n u. Lippenlaute b, p, m, w. Die Aspiration h fehlt, ein Strich im Vocal bezeichnet den in der Schrift ausgefallenen Nasal. Das i vor Vocalen vertritt gewöhnlich den Halbvocal j u. ist hier eben so häufig wie in den Slawischen Sprachen. Der Ton fällt in der Regel auf den längsten Vocal in mehrsylbigen Wörtern. Geschlechter werden drei im Nomen wie im Adjectivum durch Formen unterschieden, dreifach ist auch der Numerus; der Casus gibt es sieben: Nominativ, Genitiv, Dativ, Accusatio, Vocativ, Instrumentalis u. Locativ. Das Adjectivum wird fast wie das Substantivum declinirt. Die Formen für den Comparativ u. Superlativ sind esnis od. esne, u. ausas od. ausa. Die Zahlwörter sind: wienas 1, du 2. trys 3, keturi 4, penki 5, szessi 6, septyni 7, asstůni 8, dewyni 9, dessimti 10 etc. Die Pronomina sind im Ganzen diesilben, wie in den übrigen indogermanischen Sprachen. Das Verbum bildet durch besondere Formen das Präsens, Futurum; Perfectum, Imperfectum, ferner den Conjunctiv, Imperativ, Infinitiv u. mehrere Participien; das Plusquamperfectum entsteht durch Zusammensetzung. Der Dual geht in drei Personen durch. Das Passivum wird in allen Zeiten durch das Hülfszeitwort umschrieben, dagegen sind besondere Formen für das Facititiv, Inchoativ, Frequentativ u. Reciprocum. An Partikeln jeder Art ist das Lithauische sehr reich. Zur Bildung der Denominativa, Gentilia, Patronymika u. Diminutiva dienen eine bedeutende Anzahl von Bildungsformen. In der Anordnung des Satzes herrscht eine ziemlich ungebundene Freiheit; das Verbum nimmt indeß häufig die letzte Stelle ein. Das Abjectiv steht willkürlich vor u. hinter dem Substantivz dasselbe gilt von der Stellung des Genitivs. Der Anfang des Vater Unser lautet: tewe müsu, kurs essi danguje, buk szwenczamas wardas tawo; d. h. o-Vater unser, welcher bist im-Himmel, werde geheiligt Name dein. Bis auk die neueste Zeit herab waren die besten Arbeiten über die Lithauische Sprache die von Ruhig, Vater u. Sohn (Grammatik, Königsb. 1747, Wörterbuch, ebd. 1747), verbessert u. vermehrt herausgegeben von Mielcke (Königsb. 1800, 2 Bde.). Die älteste Grammatik ist die von Dan. Klein, lithauischem Pfarrer in Tilsit (lateinisch 1654, deutsch 1654); ihm folgten Sappun, Schultzen, Haack, Ostermeyer (Königsb. 1791) u. Koljakowsky; außerdem gaben die Jesuiten schon 1713 eine Lithauische Spracklehre heraus (Universitas literarum lithuanicarum, polnich Wilna 1829). Wörterbücher lieferten noch Haack u. Szurwid (lateinisch, polnisch u. lithanisch nach dem Samogillschen Dialekt, Wilna 1677, 1718); den Ansprüchen der neueren Sprachwissenschaft haben Nesselmann mit seinem Wörterbuch (Königsb. 1854) u. Schleicher mit seiner Grammatik (Prag 1856, mit Lesebuch, 1858) geliefert.
Eine eigentliche Lithauische Literatur hat sich nicht entwickelt; zur Schriftsprache wurde das Lithauische erst gegen Ausgang des 16. Jahrh. erhoben, seit welcher Zeit auch Verschiedenes geschrieben u. gedruckt worden ist. Die ersten Anfänge der nithanischen Literatur sind im Preußischen Lithauen zu suchen, wo die Bibel übersetzt wurde. Unter der Regierung Friedrild Wilhelms I. waren die protestantischen Pastoren Bretkunas, Chilinski, Büttner u. Quandt schriftstellerisch thätig; jedes Dorf erhielt eine Schule in der Kreisschule zu Tilsit wurde ein Lehrer der Lithauischen Sprache angestellt u. bei der Königsberger Universität ein lithauisches Seminar erruhtet, aus welchem Doneleitis, Ruhig, Mielcke u. andere um die L. S. u. 9. verdiente Männer geistlichen Standes hervorgingen. Auch im Polnischen (russischen) Lithauen wurde das Volk nicht vergessen; der Bischof von Samogitien, Fürst Giedroic, übersetzte 1816 das N. T.; der Canonicus Nik. Danklza übertrug die Sittenlehre Jaktsujek's ins Lithauischez zu den werthvollsten lithauischen Schriften gehören die Predigten des Jesuiten Constantin Szuewid (st. 1630). Das lithauische Volk ist reich an Liedern (Dainos), welche bei Festen, Gastmälern, Trinkgelagen, bei der Arbeit, bei Luft u. Schmerz gesungen werden, doch sind nur erst wenige gesammelt u. (von Ruhig, Lessing, Herder, Mielcke, Baczko, von Rhesa, Königsb. 1825, Stauewicz [Daynas Zemaicziu, Wilna 1829] in Schamaitischer Mundart, Schleicher) herausgegeben. Sie zeichnen sich durch anmuthige[430] Naivetät, durch zarte Empfindungen u. durch Sittlichkeit aus; viele enthalten noch Anklänge an die alte vaterländische Mythologie, in den meisten herrscht die dialogische Form. Die Melodien dazu bewegen sich gewöhnlich in lang gehaltenem Rhythmus u. ernsten klagenden Molltönen, was selbst bei den Trinkliedern der Fall ist. Auch von Räthseln (Misla) ist der Lithauer ein großer Freund. Der bedeutendste Nationaldichter der Lithauer ist Doneleitis, Pfarrer zu Tolminykemen (st. 1780), welcher ein didaktisches Gedicht die Jahreszeiten (herausgegeben von Rhesa, Königsb. 1818) schrieb. Andere namhafte Dichter sind Simeon Stanjewicz, welcher Fabeln, der Priester Anton Drozdowski (geb. 1754, st. 1834 zu Komaje), welcher außer weltlichen Liedern im Volkston, auch geistliche Hymnen dichtete, die noch jetzt in allen lithauischen Kirchen gesungen werden; Dionys Paszkiewicz, Kreisschreiber zu Rosiano (geb. 1760, st. 1830), welcher eine lithauische Übersetzung von Virgils Aneide verfaßte, sowie als Lieder- u. Epigrammendichter auftrat. Das Gesangbuch der protestantischen Lithauer (seit 1781 gedruckt) entbält viele Lieder, welche übersetzt sind, bes. von Schwab, Schimmelpfennig, Schuster, Mielcke, Klein, Lowin, Schröder u. A. Unter den Prosaschriftstellern verdienen außer den meisten der Genannten noch Erwähnung: Jos. Rupeiko, Canonicus von Samogitien, übersetzte Chodzko's Pan Jan Swislocz; der Geistliche Cyprian Nezabitowski übersetzte Klink's Buch über die Bienen; Simeon Staniewicz (der 1859 an einem Wörterbuche arbeitete) u. der Geistliche Gojlewicz. Unter den neueren, auf Erbauung u. Belehrung des Volks gerichteten Schriften ist namentlich der von Iwinski publicirte Kalender zu nennen; eine Geschichte Lithauens vom Grafen Plater ist gleichfalls veröffentlicht worden. In Königsberg erscheint seit einer Reihe von Jahren eine lithauische Wochenschrift. Vgl. Ruhig, Betrachtungen über die Lithauische Sprache, Königsb. 1745; P. v. Köppen, Über den Ursprung, die Sprache u. Literatur der lithauischen Völkerschaften, aus dem Russischen von Schrötter (Mitau 1829); Th. Narbutt, Dzieje Starozytne narodu Litewskiego (Wilna 1835, 1. Bd.); Schleicher, Lituanica (Wien 1854); Lepner, Der preußische Lithauer (1740, neu herausgegeben von Jordan, Tilsit 1848); Schleicher, Handbuch der Lithauischen Sprache, Prag 1856 f.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.