- Staël-Holstein
Staël-Holstein, 1) Anne Louise Germaine Baronin von S., geb. 22. April 1766 in Paris, eine Tochter des französischen Minister Necker (s.d. 2); sie entwickelte schon frühzeitig ein glückliches Talent zu schriftstellerischer Thätigkeit u. vermählte sich 1786 mit dem weit älteren schwedischen Gesandten, Freiherrn von Staël-Holstein. Die Revolution gab ihrem Geiste eine vorherrschende Richtung für die neue Gestaltung der politischen Ansichten; sie blieb 1790 nach der Abdankung ihres Vaters mit ihrer Familie noch in Paris u. entriß der Schreckensregierung einige Todesopfer, wie sie auch Vorschläge zur Rettung der königlichen Familie machte, verließ aber endlich Paris u. begab sich zu ihrem Vater nach dessen Landgut Coppet in der Schweiz. Nach Anerkennung der französischen Republik von Seiten Schwedens kehrte sie 1795 mit ihrem Gatten nach Paris zurück u. gewann merklichen Einfluß auf die damaligen Machthaber. In dieser Zeit löste sich ihr eheliches Band, da verschiedenartige Neigungen u. Geistesbildung sie immer mehr von ihrem Gemahl entfernten, indeß begleitete sie denselben, als er krank wurde, 1798 nach der Schweiz, wo er 9. Mai 1802 starb. Sie kehrte nun nach Paris zurück u. lernte Bonaparte kennen; sie mißfiel demselben zwar wegen ihrer politischen Ansichten, erreichte aber doch von ihm Gewährung des Wunsches ihren Vater aus der Liste der Ausgewanderten gestrichen zu sehen. Als aber das unkluge Benehmen Neckers u. die Leidenschaftlichkeit der S. Napoleon lästig wurden, verbannte er sie aus Paris bis auf 20 Meilen im Umkreise. Sie lebte nun literarisch beschäftigt in St. Brice u. in Coppet, bereiste 1803 Deutschland, wo sie sich in Weimar u. Berlin lange aufhielt, u. 1805 Italien; seitdem war A. W. Schlegel, welchen sie in Berlin kennen gelernt hatte, ihr steter Begleiter; 1807 ging sie nach Wien. Die Veröffentlichung ihrer Schrift De l'Allemagne (1810), welche die Franzosen über die hohe geistige Entwickelung Deutschlands belehrte, machte sie Napoleon noch verhaßter, das Buch wurde polizeilich beschlagen u. gegen die Verfasserin ein neues Verbannungsdecret erlassen u. dasselbe auf ganz Frankreich erstreckt, auch mußte sie sich von Schlegel trennen, weil ihr die Verbindung mit demselben die Bewunderung Deutschlands gebracht hatte. Später erhielt sie die Erlaubniß sich in der Schweiz aufhalten zu dürfen, wo sie zu Coppet lebte u. ein, nach ihrem Willen geheim gehaltenes Ehebündniß mit einem französischen Offizier de Rocca schloß. 1812, als ihre persönliche Sicherheit auch in der Schweiz gefährdet war, ging sie nach Moskau, dann nach Petersburg, Stockholm u. Anfang 1813 nach England, von wo sie 1844 nach Frankreich zurückkehrte. Dort wurde sie von den alliirten Fürsten mit Auszeichnung empfangen u. blieb selbst nicht ohne Einfluß. Während der Hundert Tage lebte sie in der Schweiz. Nach der zweiten Restauration erhielt sie durch Eintragung ins Große Buch die zwei Millionen Francs zurück, welche Necker bei seinem Abschiede im öffentlichen Schatze zurückgelassen hatte, u. lebte in Paris mit ihrem Gatten, einem Sohne u. einer Tochter, Albertine, welche 1816 an den Herzog von Broglie vermählt war, in häuslicher Zurückgezogenheit, fortwährend mit schriftstellerischen Arbeiten beschäftigt, u. starb 14. Juli 1817 in Paris. Sie schr.: Drei [665] Erzählungen, Par. 1795, deutsch Lpz. 1797; das Lustspiel Sophie, ebd. 1786; die Trauerspiele: Jeanne Grey, ebd. 1790, u. Montmorency, ebd. 1787; Lettres sur les écrits et le caractère de J. J. Rousseau, ebd. 1788, 2. A. 1789 (deutsch 1789); Réflexions sur le procès de la Reine, Par. 1793; Réflexions sur la paix, ebd. 1794; Réflexions sur la paix interieure, ebd. 1795; De l'influence des passions sur le bonheur des individues et des nations, ebd. 1796, 3. A. 1797 (deutsch Zür. 1797); Considérations sur la révolution française, ebd. 1797, 2 Bde.; De la littérature considerée dans ses rapports avec les institutions sociales, ebd. 1796, 2 Bde., 1800, 2 Bde. (deutsch Lpz. 1804); Delphine (Roman), ebd. 1803, 6 Bde. u.ö. (deutsch, Lpz. 1847, 3 Thle.); Manuscrits de M. Necker publiés par sa fille, ebd. 1805; Corinne ou l'Italie (Roman), ebd. 1807, 2 Bde., 6. Aufl. 1817, 3 Bde., n. A. Lpz. 1855 (deutsch von Schlegel, Berl. 1807, 4 Thle., u. Aufl. 1822); De l'Allemagne, ebd. 1810, 3 Bde., u. Aufl. Lond. 1813, Par. 1814 (deutsch Berl. 1814, 6 Bde.); Réflexions sur le suicide, Stockh. 1812; Dix années d'exil, Par. 1814 (deutsch Lpz. 1822 u. von Ölrichs, Karlsr. 1822); Mémoires et considérations sur les principaux événemens de la révolution franç., Par. 1819, 3 Bde., Lpz. 1819, deutsch von Schlegel, Heidelb. 1816, 6 Bde., u. Aufl. 1825; Oeuvres complètes, herausgegeben von dem Folgenden, Strasburg u. Paris 1820 f., 18 Bde. Vgl. Hort. Allard, Lettres sur les ouvrages de Madame de St., Par. 1824. 2) Auguste Louis, Baron von S.-H., geb. 31. Aug. 1790 in Paris, ältester Sohn der Vorigen, von seiner Mutter u. Wilhelm Schlegel sorgsam erzogen, begleitete dieselbe auf allen Reisen u. kehrte mit ihr 1814 nach Paris zurück. Ein sanftes u. frommes Gemüth, betheilte er sich bei vielen gemeinnützigen Unternehmungen, bei der Bibelgesellschaft, bei der Gesellschaft für gegenseitige Hülfe, bei der der christlichen Moral; auch interessirte er sich sehr für die Griechen u. die Abschaffung der Sklaverei der Neger. Er starb 19. Nov. 1827 in Coppet. Er gab mit dem Herzog von Broglie, seinem Schwager, die Werke seiner Mutter u. Neckers heraus u. schr.: Notice sur Madame Necker, Par. 1820; Lettres sur l'Angleterre, Par. 1825; nach seinem Tode edirte der Herzog von Broglie seine Oeuvres diverses, Par. 1825.
Pierer's Lexicon. 1857–1865.