Webkunst

Webkunst

Webkunst, die Kunst zu weben od. Gewebe zu verfertigen. Im weitesten Sinne versteht man unter einem Gewebe Zeug, Stoff) jeden durch eine regelmäßige Verschlingung von Fäden mittelst einer mechanischen Vorrichtung (Stuhl, Webstuhl, s.d.) erzeugten flächenartigen Körper. Es sind also hierdurch die Gewebe von den Gesteckten verschieden, da letztere blos aus freier Hand od. mit Hülfe sehr einfacher Werkzeuge verfertigt werden. Die Gewebe selbst aber theilt man in eigentliche Gewebe (gewebte Stoffe), bei denen die Fäden sich rechtwinkelig (nur höchst selten schiefwinkelig) durchkreuzen u. Wirkwaaren (gewirkte Stoffe), bei denen die Fäden in Schlangenlinien od. auf andere Weise derart mit einander verschlungen sind, daß sie Maschen bilden, u. wozu außer den auf dem Strumpfwirkerstühle gefertigten Strumpfwaaren (s.d.) auch der auf Maschinen hergestellte Spitzengrund (Bobbinet) u. ähnliche Erzeugnisse zu rechnen sind. Bei den eigentlichen Geweben unterscheidet man die beiden sich kreuzenden Fadensysteme als Kette (Zettel, Werft, Aufzug, Schweif, Anschweif), worunter man die nach der Länge des Zeugstückes laufenden Fäden versteht, u. Einschuß, Schuß (Einschlag, Eintrag), welcher querüber nach der Breite des Zeugstückes läuft. Der Schuß besteht nur in wenigen Fällen aus einzelnen zu beiden Seiten am Rande des Gewebes endenden Fadenstücken, u. zwar, wenn man das Material nicht in langen Stücken haben kann (wie Pferdehaar, Stroh, Rohr u. Holzstreifchen), od. das Material sehr steif ist (wie starker Draht); sonst kehrt er an den beiden Rändern des Gewebes um, geht abwechselnd ohne Unterbrechung im Gewebe hin u. her u. bildet durch seine Umkehr, indem er die äußersten Kettenfäden umschlingt, an den beiden Rändern die Kante, Leiste od. Egge, Sahlband, Sahlleiste od. das Ende, wozu man oft stärkere od. verschiedenfarbige Kettenfäden anwendet; auch im letzteren Falle bezeichnet man das Stück des Schusses, welches von einem Rande zum anderen läuft, mit einem Schußfäden od. Eintragfäden. Die Schußfäden laufen bei ihrer [941] Kreuzung mit der Kette in regelmäßiger Abwechselung bald auf od. vor, bald unter od. hinter den Kettenfäden hin u. sind dadurch mit ihnen verbunden. Durch die Abwechselung dieser Fäden u. durch das Material, die Farbe, Feinheit u. sonstige Beschaffenheit der Fäden, sowie durch die Appretur entstehen die verschiedenen Zeuge. A) Bei den glatten od. schlichtgewebten Stoffen läßt jeder Einschlag faden bei seinem Laufe quer durch die Kette abwechselnd einen Kettenfaden über sich u. dann einen Faden unter sich liegen. Von diesen Geweben gibt es zwei Arten: a) bei den eigentlichen glatten Stoffen liegen alle Kettenfäden in geraden Linien parallel zu einander; weil die Leinwand so gewebt ist, nennt man diese Gewebe leinwandartige; b) bei den Stoffen mit gekreuzter Kette kreuzen sich je zwei benachbarte Kettenfäden in dem Zwischenräume zwischen je zwei Schußfäden, so daß immer der links liegende auf die rechte Seite des rechtsliegenden übergeht, da dies bei der Gaze der Fall ist, nennt man diese Gewebe gazeartige; s.u. Leinwandartige Gewebe. B) Beim Köper (s.d., Keper, Kieper), wozu auch der Atlas gehört, liegt nicht immer nur ein Kettenfaden abwechselnd über u. unter dem Schußfaden u. wechseln mehr als zwei verschiedene Lagen des Schusses mit einander ab. Die Köperzeuge im engeren Sinne, bei denen die Bindungen schräg über das Zeug laufende Linien bilden, nennt man auch croisirte od. über Kreuz gearbeitete Zeuge. C) Bei den gemusterten (façonnirten, deffinirten od. figurirten) Geweben od. den Bildgeweben tritt durch an verschiedenen Stellen verschiedene Fädenverbindung eine Zeichnung als Muster (Dessin, Figur) aus dem anders gewebten Grunde (Fond, Boden) heraus; vgl. Musterweberei. D) Die sammetartigen Gewebe haben auf ihrer Oberfläche kleinere od. größere Fadenschleifen, welche, nachträglich ausgeschnitten, eine kürzere od. längere haarartige Bedeckung (Flor, Pole, Pohle) erzeugen. Sie sind von zweierlei Art, indem der Flor durch Eintragfäden od. durch Kettenfäden gebildet wird. Das Erstere ist bei dem Manchester (s.d.) u. einigen dahin gehörigen Stoffen, das Letztere bei dem eigentlichen Sammet, Plüsch u. Felbel (s.d. a.) der Fall. E) Durch bloße Farbenverschiedenheiten in Schuß u. Kette entstehen schillernde Zeuge od. Ehangeants (s.d. 2), melirte Zeuge (s.d.), gestreifte Zeuge (s. Irisiren 2), carrirte, würfelige, gewürfelte od. quadrillirte (s.d.) Zeuge u. die diesen ähnlichen gegitterten Zeuge, bei denen jedoch die Längs- u. Querstreifen schmal sind u. weit auseinanderstehen, so daß sie gewissermaßen ein Gitter über einem andersfarbigen Grunde bilden; ferner die geflammten (flammirten, chinirten) Zeuge, welche entweder leinwandartig mit Schuß od. Kettenfäden gewebt werden, die aus zwei verschiedenfarbigen Fäden gezwirnt sind, od. aus Fäden, welche beim Feinspinnen aus zwei od. drei verschiedenfarbigen Vorgespinnstfäden gesponnen wurden; die so erzeugten feinflammigen Zeuge nennt man jaspirte Stoffe, während die eigentliche Flammirung, Chinirung od. das Chine in größeren, isolirten Flammen besteht, welches man durch stellenweises Bedrucken der gescherten Kette erhält. Die W. ist eine sehr alte Erfindung; bei den Hebräern galt Naema, Lamechs Tochter u. Schwester Tubaltains, bei den Ägyptiern Isis, bei den Griechen Athene als Erfinderin der W. Mit der Athene soll sich Arachne in einen Wettstreit in dieser Kunst eingelassen haben u., von der Göttin besiegt, in eine Spinne verwandelt worden sein. In Arkadien soll König Arkas, welcher sich von der Adrastea hatte unterrichten lassen, die W. eingeführt haben. In Griechenland war das Weben nicht blos eine Beschäftigung der Dienerinnen, sondern auch der freien Frauen, u. Linnen u. Wolle waren die einzigen Stoffe, worin die Griechinnen webten. Sie webten nicht Stücke Zeug, sondern einzelne Gewänder, Decken etc. In den ältesten Zeiten war der Zettel an dem Webebaum senkrecht angehängt, wie es noch jetzt in Indien u. bei der Fertigung der Hautelissetapete gewöhnlich ist; daß er über dem Brust- u. Kettenbaum horizontal ausgespannt wurde, kam in Griechenland erst später, nach ägyptischem Vorgang, auf Daher wurde in Griechenland stehend gewebt, bei den Ägyptiern dagegen sitzend, u. in Ägypten übten vorzugsweise Männer diese Beschäftigung. Bei den Hebräern webten die Weiber (mit Ausnahme ihres Aufenthaltes in Ägypten, wo nach Landessitte auch Männer die W. trieben), u. zwar nicht blos für den Hausbedarf, sondern auch als Erwerbszweig. Beim Weben wurden die Aufzugfäden auf den hochgeschäfteten Weberbaum gezogen u. stehend der Einschlag mit dem Weberschiffchen eingewoben u. mit dem Spaten festgeschlagen. Neben der einfachen Linnen- u. Baumwollenweberei kommt auch früh bei den Hebräern die Buntweberei, mit Einschlag von Gold-, sowie blauen u. rothen Purpurfäden, ebenso die Damastweberei vor, bei welcher letztern Figuren eingewebt wurden. Die Seidenweberei soll auf der Insel Kos von einer Frau, Pamphilia, erfunden worden sein (s. Seide S. 781). In Rom war früher das Weben auch Beschäftigung freier Frauen, aber später überließen sie es den Sklavinnen. Auch die germanischen Frauen webten Wolle u. Flachs, doch ist die älteste Art des deutschen Webstuhles nicht bekannt. Im Mittelalter wurde die W. auf einen hohen Grad der Vollkommenheit gebracht, u. die Erfindung der verschiedenen Webstühle u. die Ausbreitung der Baumwolle u. Seide, so wie die feinere Bearbeitung des Linnen zu Cambray, in den Niederlanden zu Brüsseler Spitzen, in Sachsen zu Damast trug viel zur Vervollkommnung der W. bei. Hauptsächlich zeichneten sich in neuerer Zeit Italien u. Südfrankreich in Seidenweberei, die Lausitz, Schlesien, Westfalen, Holland, Irland in Leinweberei, Schlesien, Sachsen, der Rhein, die Niederlande u. England in Tuchweberei, England, die Niederlande, Sachsen, die Schweiz in baumwollenen Geweben aus. In der neueren Zeit hat die Maschinenweberei, bes. in baumwollenen Stoffen, die Handwebkuust überflügelt; vgl. Webstuhl V.


Pierer's Lexicon. 1857–1865.

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